Im November will die Bundesregierung zu einem weiteren Dieselgipfel einladen. Er hätte aus Sicht der IG Metall viel nachzuholen. Denn das erste Treffen am 2. August hat seine Ziele deutlich verfehlt.
Der Gipfel war nicht Spitze
Viele Ankündigungen, wenig belastbare Maßnahmen – diese Bilanz zieht die IG Metall zum ersten Diesel-Gipfel. Offenbar war es das Hauptziel sowohl für die Politik wie die Autoindustrie, nur Zeit zu gewinnen.
Wenigstens ein erster Schritt ist die von der Automobilindustrie zugesagte freiwillige Nachbesserung von Fahrzeugen mit Softwareupdates. Auch wenn die Gesamteffekte noch unklar sind, wird dies zu einer Verbesserung der Situation in den Städten beitragen. Unklar ist es aber vor allem aus zwei Gründen: Es fehlt die Verbindlichkeit, welche Fahrzeuge nachzubessern sind. Ob die Autohalter mitmachen, ist komplett offen. Und die Importeure, deren PKWs oft die schlechtesten Stickoxid-(NOx)-Werte aufweisen, bleiben völlig außen vor.
Die Umtauschprämien sind eher eine Marketingmaßnahme, und der Mobilitätsfonds ist zwar gut gemeint, aber mit 500 Millionen Euro viel zu klein: Bei 28 betroffenen Regionen bleibt da wenig übrig, echte Maßnahmen lassen sich damit nicht realisieren. Und die Hersteller kommen angesichts ihrer Milliardengewinne eher günstig davon. Auch die Verdoppelung auf eine Milliarde Euro, die jetzt mit den Kommunen verabredet wurde, ändert daran wenig.
Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel
Beruhigen kann sich die Situation um den Diesel erst dann, wenn die Regierung für verbindliche und verlässliche Regelungen sorgt. Sie ist in der Verantwortung. Denn sie hat mit ihrer bisherigen Regulierung einschließlich der vielen Ausnahmen maßgeblich die jetzige Situation herbeigeführt.
Für solche Regelungen muss als Leitlinie dienen: Den Käufern darf nicht die Verantwortung aufgehalst werden. Das heißt: Für Beschissfahrzeuge (defeat devices) ist die Autoindustrie verantwortlich. Sie ist für die nötigen Maßnahmen einschließlich Hardware-Nachrüstungen zuständig.
Aber für Autos, die legal und korrekt zugelassen sind, hat der Verbraucherschutz Vorrang. Es darf nicht zu einer kalten Enteignung von Millionen Dieselfahrern durch Gerichtsurteile kommen.
Die Regierungspolitik ist gefordert, hierfür einen verlässlichen Rechtsrahmen zu schaffen. Unterstützt wird das dadurch, dass die neuen Fahrzeuge, die jetzt auf den Markt kommen, deutlich bessere NOx-Werte haben als die Euro-5 Fahrzeuge. Seit dem 1. September 2017 müssen alle Fahrzeugtypen, die neu auf den Markt kommen, technisch so ausgerüstet sein, dass sie die Abgasvorschriften auch im Realbetrieb einhalten. Ab September 2019 gilt das nicht mehr nur für neue Typen, sondern für alle neuen Fahrzeuge.
Und für die älteren Fahrzeuge gilt: Wenn – zum Beispiel in neu geschaffenen Umweltzonen mit einer blauen Plakette – Nachrüstungen, etwa mit SCR-Katalysator und größeren AdBlue- (Harnstoff-)Tanks erforderlich ist, muss sich die Politik daran beteiligen. Genau wie bei der Einführung der Dieselpartikelfilter. Nur so kann bei den Besitzern und Käufern von Diesel-PKWs, die mit falschen Angaben betrogen wurden, Vertrauen wieder hergestellt werden. Sie müssen endlich Rechtssicherheit erhalten.
Blaue Plakette für den Übergang
Die auf den Gipfel verabredeten Maßnahmen werden nicht ausreichen, um die Stickoxidbelastung kurzfristig zu senken. Die Deutsche Umwelthilfe hat nach Stuttgart weitere Städte verklagt. Es stehen noch einige Gerichtsverfahren an. Fahrverbote sind nach wie vor nicht auszuschließen. Der Erste Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann sagt darum: „An der Einführung einer blauen Umwelt-Plakette wird man nicht vorbeikommen, wenn man generelle Fahrverbote in einzelnen Städten rechtssicher vermeiden will.“ Das würde bedeuten, dass in bestimmte Ballungszentren, Zonen oder zu bestimmten Zeiten nur Autos mit einer Plakette einfahren dürfen. Betroffen wären die etwa drei Dutzend Städte, in denen die Grenzwerte für Stickoxide überschritten werden. Aber nicht die ganze Bundesrepublik von Husum bis Berchtesgaden.
Die blaue Plakette könnte sich an den Werten für den Realbetrieb orientieren, die für Euro-6-Fahrzeuge seit 1. September 2017 gilt und in der Einführungsphase bis Ende 2019 bei 168 Milligramm pro Kilometer gilt. Analog wären die Grenzwerte für Euro-5 bei 378 mg/km und bei Euro-4 525 mg/km.
Fahrzeuge, die diese Werte ohne oder mit dokumentierter Nachbesserung ebenfalls einhalten, würden die Plakette erhalten. Dabei muss es aber ausreichende Übergangszeiten geben, in denen sich die Autobesitzer darauf einstellen können. Und es sind Ausnahmeregelungen zu diskutieren: Niemand darf finanziell überfordert oder in seiner Mobilität eingeschränkt werden.
Debatte muss sachlicher werden
Die IG Metall appelliert an alle Akteure in Parteien, Umweltverbänden und Medien, die Debatte über die Schadstoffbelastung der Städte durch gesundheitsschädliche Stickoxide zu versachlichen. Das heißt, im Auge zu behalten, welche Veränderungen in welchen Zeiträumen technisch möglich sind, für Autokäufer und -besitzer zumutbar sind und die Arbeitsplätze der mehr als 800 000 Beschäftigten in der Autobranche nicht gefährden.
Denn aktuell ist die Debatte dramatisch überhitzt. So wird mit der gerne gewählten Schlagzeile „Diesel tötet“ schlicht von der Tatsache abgelenkt, dass die Stickoxidbelastung seit Jahren sinkt und nicht steigt. Das gilt nicht nur punktuell, sondern an allen Messstationen und wird durch das Monitoring der Landes- und Bundesumweltbehörden regelmäßig dokumentiert. Der maximale Stundenwert von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter wird außer an drei Mess-Stationen bundesweit eingehalten.
Klar ist: Der Rückgang ging nicht schnell genug. Deshalb wird der Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm vielfach noch überschritten. Aber klar ist auch, dass es vor allem mit den jetzt auf den Markt kommenden RDE-fähigen Autos es weitere deutliche Verbesserungen geben wird. (RDE, also Real Drive Emissions, sind die Werte, die im realen Fahrbetrieb eingehalten werden.) Zusammen mit den PKW-Software-Updates, einem beschleunigten Austausch auch bei den kommunalen Diesel-Fahrzeugen und Taxen sowie mit verbesserten Verkehrssteuerungen ist zu erwarten, dass die Grenzwerte in den nächsten zwei bis drei Jahren an den meisten Messstationen eingehalten werden.
Technisch ist das NOx-Problem im Grunde gelöst, wir brauchen Übergangsregelungen für eine Übergangszeit. Und kein Verbot für Diesel oder generell für Verbrennungsmotoren.
Zielkonflikte berücksichtigen
Sachlichkeit bedeutet auch, sich einzugestehen, dass es verschiedene Interessen und echte Zielkonflikte gibt. Zum Beispiel zwischen Klimaschutz und Luftreinhaltung, der jetzt offenkundig wird. Weil der Verkauf von Diesel-Fahrzeugen deutlich zurückgegangen ist, ist der CO2-Wert von 123,4 auf über 128 Gramm pro Kilometer gestiegen. Weil Diesel-PKW weniger CO2 emittieren als Autos mit Benzinmotor. Nur mit dem Mix aus beiden Antriebsarten gibt es die Chance, den EU-Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer einzuhalten.
Es gibt kurzfristig einen Zielkonflikt zwischen Luftreinhaltung und Beschäftigung: der starke Rückgang der Diesel-Verkäufe führt schon jetzt bei immer mehr Unternehmen – gleich ob Hersteller oder Zulieferer – zu Schichtausfällen oder geringeren Entwicklungsaufträgen. Hinzu kommt, dass sich die Lieferketten nicht kurzfristig auf Ottomotoren umstellen lassen. Und weil Ottomotoren eine niedrige Wertschöpfung haben, wären allein durch eine solche Umschichtung mehr als 15 000 Stellen in der Autoindustrie gefährdet.
Und es gibt den Zielkonflikt zwischen dem Interesse von Stadtbewohnern an gesunder Luft, wenig Verkehr und Lärm und denen der Pendler, für die kein öffentlicher Verkehr als Alternative besteht und die sich teure Wohnungen in größeren Städten nicht leisten können.
Metallerinnen und Metaller sind vielfach betroffen
Solche Zielkonflikte kann und darf man sich nicht wegwünschen. Sondern sie brauchen eine ernsthafte Debatte, pragmatische Lösungen und die Akzeptanz von allen Beteiligten. Wir werden uns als IG Metall da einmischen, denn unsere Mitglieder sind mehrfach betroffen: als Produzenten, die gute und „saubere“ Autos herstellen wollen, als Käufer und Fahrer von Autos, die nicht entwertet werden dürfen, als Bewohner von Ballungszentren, die ein Interesse an guter und sauberer Umwelt haben und nicht zuletzt als Beschäftigte, die auch in Zukunft sichere Arbeitsplätze brauchen.
Mobilität und Energie zusammen denken
Mittelfristig wird das aber nicht gehen, ohne dass es tatsächlich zu neuen Mobilitätskonzepten kommt. 45 Millionen Autos in Deutschland haben einen Verbrennungsmotor. Der Wechsel zu einer neuen, umweltfreundlichen Mobilität ist eine riesige Herausforderung. Würden zum Beispiel alle Fahrzeuge elektrisch fahren, würde sich der Strombedarf in Deutschland fast verdoppeln. Elektromobile sind im Verkehr nur dann weniger klimaschädlich als Autos mit Verbrennungsmotor, wenn der Strom komplett aus erneuerbarer Energie stammt.
Zurzeit beträgt der Anteil der erneuerbaren an der gesamten erzeugten Energie in Deutschland 37,6 Prozent. Er müsste also im Vergleich zu heute nicht auf 100, sondern auf fast 200 Prozent steigen. Dazu müssen mehr Windenergieanlagen gebaut, Stromspeicherkapazitäten geschaffen und Netze und Ladestationen massiv ausgebaut werden. Umweltfreundlicher Verkehr und Energiewende hängen direkt zusammen, wie siamesische Zwillinge. Hierfür brauchen wir von der kommenden Bundesregierung einen belastbaren Fahrplan.
Autos mit Benzinmotor bis 2030 verbieten – keine Lösung
Bis 2030 wird es nicht gelingen, die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung nur durch Autos mit alternativer Antriebstechnik und öffentlichen Verkehrsmitteln zu befriedigen. Wir müssen den Anteil von Elektroautos erhöhen, aber parallel dazu den Verbrennungsmotor verbessern. Experten halten es für machbar, die Effizienz des Verbrennungsmotors 2020 bis 2030 jährlich um bis zu 1,5 Prozent zu steigern und den CO2-Ausstoß auf etwa 82 Gramm zu verringern. Zusammen mit einem wachsenden Anteil emissionsfreier Fahrzeuge kann die Autoindustrie in diesem Zeitraum den Grenzwerten, die in den Pariser Klimaschutzverträgen vereinbart wurden, einen großen Schritt näherkommen.
Folgen für Beschäftigte schwer einzuschätzen
Welche Folgen die Umstellung von herkömmlichen auf alternative Antriebsarten, wie den Elektromotor, für die Beschäftigten hat, lässt sich nur grob schätzen. Wahrscheinlich werden über eine längere Zeit Autos mit herkömmlichem und alternativem Antrieb parallel hergestellt. Außerdem werden zunächst mehr Hybrid- als reine Elektrofahrzeuge gebaut, zumindest, solange, bis die Probleme der mangelnden Reichweite und Stromlademöglichkeiten gelöst sind.
In den Entwicklungsbereichen der Autohersteller und großen Zulieferer hat die Beschäftigung darum in den letzten Jahren zugenommen. Wenn aber zum Beispiel 2030 jedes dritte produzierte Auto ein Elektrofahrzeug wäre, könnten bis zu 80 000 Arbeitsplätze überflüssig werden. Das heißt aber nicht zwingend, dass so viele Beschäftigte auch ihre Arbeit verlieren. Denn es werden auch neue Arbeitsplätze entstehen, zum Beispiel in der Batterieherstellung. Außerdem wird die Digitalisierung neue Arbeitsplätze schaffen.
Aber die Veränderungen, die in den Betrieben anstehen, sind groß. Nicht nur, weil unter dem Strich Arbeitsplätze wegfallen, sondern wahrscheinlich noch mehr, weil sich die Tätigkeiten und die Anforderungen rasant verändern. Wir brauchen eine Qualifizierungsoffensive, neue Wege in der Personalentwicklung und bessere Regelungen für betriebliche Weiterbildung. Aber auch eine politische Flankierung, etwa durch die Schaffung eines Transformations-Kurzarbeitergeldes.