Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)
Trau schau wem

Seit zehn Jahren versucht die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Bevölkerung und Politik zu beeinflussen. Angeblich werden Ludwig Erhards Ideale hochgehalten – tatsächlich geht es aber um Lobbying für Wirtschaftsinteressen. Die Initiative schreckt dabei auch nicht vor der Manipulation ...

6. August 20106. 8. 2010


... Jugendlicher zurück und stellt Leiharbeit sehr einseitig dar.

„Die Zeitarbeit ist eine besonders interessante Branche, denn sie schafft sogar in Krisenzeiten eine beträchtliche Zahl neuer Arbeitsplätze. Das Erfolgsgeheimnis: Sie verhilft den Kundenunternehmen zu mehr Flexibilität beim Einsatz ihres Personals.“ Dieser Satz stammt nicht etwa aus der Werbe-Broschüre eines Zeitarbeitsverbandes. Vielmehr wird so das Lernziel im Heft Nr. 108 der Reihe „Thema Wirtschaft“ des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) beschrieben – Titel: „Warum die Zeitarbeit boomt“.

Die Reihe richtet sich an Lehrer, „Informationen für Pädagogen in Schule und Betrieb“ heißt es im Untertitel. Zeitarbeitnehmer seien sozial genauso abgesichert wie Arbeitnehmer in anderen Branchen. Kein Wort darüber, dass sie in Krisenzeiten ihren Job als Erste verlieren. Nichts über die vielen Unternehmen, die Tochterfirmen gründen, um schlechter bezahlte Leiharbeiter an sich selbst ausleihen zu können.

Lehrer als Multiplikatoren
Zu finden ist das Heft über die Webseite „Wirtschaft und Schule“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM): „In unserer Datenbank finden Sie Unterrichtsmaterial, das von Lehrern für Lehrer entwickelt worden ist“, heißt es da. Davon kann keine Rede sein: Der Autor des Zeitarbeits-Heftes ist kein Lehrer, sondern IW-Mitarbeiter. Trotz der selektiven Darstellung fungiert die Bundesarbeitsgemeinschaft Schule-Wirtschaft neben dem IW als Herausgeber. Das heißt: Über die angeschlossenen Landesarbeitsgemeinschaften und regionale Arbeitskreise gelangt solches Propagandamaterial in die Klassenzimmer – mitgetragen von den Ländern und finanziert unter anderem vom Bundesinnenministerium.

Bemerkenswert sind auch Quellen, die fürs Zeitarbeits-Heft herangezogen wurden – beispielsweise wird ein Text der Arbeitsrechts-Anwältin Ann-Charlotte Ebener zitiert, der sich beinahewie eine Anleitung für Arbeitgeber liest: „Vor Einführung des Equal-Pay-Gebots geschlossene Arbeitsverträge (sogenannte Altfälle) enthalten häufig keinen Verweis auf einen Tarifvertrag. Eine nachträgliche Ergänzung des Arbeitsvertrages um einen solchen Verweis, um damit das Diskriminierungsverbot zu umgehen, können die Zeitarbeitgeber meist nicht erzwingen.“ Dieser Duktus überrascht wenig, wenn man sich nach Ebeners sonstigen Aktivitäten erkundigt: Die Anwältin gibt Seminare zu Themen wie „Kündigung ’unkündbarer’ Mitarbeiter“. Equal Pay wird in dem Heft als vollkommen unmögliche Idee dargestellt.

Sogar Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser kommt zu Wort: „Sollten Zeitarbeiter das gleiche Geld wie ein Stammarbeiter bekommen, dann wird dies für die Zeitarbeitsfirma teurer als der Stammarbeiter. Das kann nicht gewollt sein.“ Kann es nicht? Wenn es vor allem um die Bewältigung von Auftragsspitzen geht, was Kannegiesser stets betont, warum sollte ein Unternehmen für die flexiblen Zeitarbeiter dann nicht mehr Geld in die Hand nehmen müssen?

Jugend beeinflussen
Es gehe bei der INSM darum, für das System „Soziale Marktwirtschaft“ zu werben, sagte Kannegiesser bei der Jahrestagung 2009 der Otto-Brenner-Stiftung. Wie diese auszusehen hat, soll wohl schon in den Köpfen der Jüngsten verankert werden: 2002 zahlte die INSM 58670 Euro für versteckte Botschaften in der ARD-Serie Marienhof – auch da ging es unter anderem um die Leiharbeit: Jenny schwärmt von ihrer neuen Stelle bei einer Zeitarbeitsfirma. Als die Schleichwerbung 2005 öffentlich wurde, rudertedie INSM halbherzig zurück: Aus heutiger Sicht sei die Kooperation ein Fehler gewesen, schrieb die Initiative. Den Vorwurf der Manipulation wies sie allerdings zurück.

Neue Strategien
Die Aktivitäten der INSM haben sich in den vergangenen Jahren stärker ins Internet verlagert, wo man Menschen „abholt“, die auf der Suche nach Informationen zu Wirtschaftsthemen sind. Gern werden dabei Volkshochschul-Flair und Promi-Faktor kombiniert: „Barbara Eligmann erklärt Wirtschaft“ in Videos. Anschaulich und allgemein verständlich erkläre die Fernsehmoderatorin hier „zentrale Begriffe der Sozialen Marktwirtschaft“. Die systematische Irreführung hindert viele Journalisten nicht daran, die Rankings und Studien der INSM in Schlagzeilen zu verwandeln.
Auf die inzwischen rund hundert Millionen Euro, die Gesamtmetall seit 2000 für die INSM gezahlt hat, wird äußert selten hingewiesen, die meisten Medien begnügen sich mit der Charakterisierung „arbeitgebernah“ – so gut wie nie wird Methodik der Studien hinterfragt. Spitzenreiter ist die Wirtschaftswoche, die quasi Dauerpartner der INSM ist.

Auch Jugendmedien arbeiten mit der INSM zusammen: Auf der Webseite „Was soll werden“ prangt ein großes Logo des Musik-TV-Senders MTV. Das Jugendmedienzentrum Deutschland veranstaltete 2009 gemeinsam mit der INSM sogar einen Schülerzeitungswettwerb – sein Titel: „Enterprize -Unternehmen entdecken“.
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