Auf dem Prüfstand: Europa im Koalitionsvertrag
Noch nicht alles in Butter

Europa gleicht einem Fahrrad. Wenn man es nicht bewegt, fällt es um. Was die große Koalition plant, um Europa weiter zu entwickeln, reicht nicht für den Weg aus der Krise. Nach Einschätzung der IG Metall muss die künftige Bundesregierung die Weiterentwicklung Europas offensiver vorantreiben.

4. Dezember 20134. 12. 2013


Wie es mit Europa weitergehen soll, darüber streiten sich nicht erst seit der Wirtschaftskrise die Geister. In dem Papier zu den Koalitionsverhandlungen kommt Europa ziemlich weit hinten. Das scheint kein Zufall zu sein, denn zwischen den Zeilen herrscht ein bisschen Ratlosigkeit darüber, was die geeigneten Maßnahmen sein könnten. Manches, was in dem Papier vorgeschlagen wird, klingt nach Weiterwursteln.

Arbeitnehmerinteressen offensiv vertreten
Die IG Metall hat eine Bewertung der Koalitionsvereinbarung vorgenommen. Insgesamt gibt es viele positive Ansatzpunkte im Koalitionsvertrag, die aber dringend im Gesetzgebungsverfahren begleitet werden müssen und im Einzelfall der fachlichen Ergänzung bedürfen. Auch beim Thema Europa ist nicht alles in Butter. Es gilt in den nächsten vier Jahren gewerkschaftspolitisch daran zu arbeiten und die Stimme der Beschäftigten deutlich zu Gehör zu bringen.

Im Koalitionsvertrag geht es ab Seite 156 über Europa. Darin wird betont, wie wichtig es ist, das Vertrauen in Europa und die EU wieder herzustellen, die demokratische Legitimation zu stärken und Entscheidungen der EU nachvollziehbarer zu gestalten. Hierfür ist eine starke Rolle des Europäischen Parlamentes ebenso notwendig wie eine enge Einbindung der nationalen Parlamente. Die Europäische Kommission braucht ein stringentes und effizientes Kollegium mit klaren Zuständigkeiten der Kommissare.

Die IG Metall erklärt dazu: Die Koalitionspartner bekennen sich zur europapolitischen Verantwortung Deutschlands. Das Ziel ist ein politisch und wirtschaftlich starkes und sozial gerechtes Europa. Die Rolle des europäischen Parlamentes soll gestärkt werden, was wichtig und richtig ist. Die Bedeutung des Ausbaus grenzüberschreitender Infrastrukturen sowie der Verhinderung von Steuerdumping, Steueroasen und eine Steuerharmonisierung werden hier betont. Das ist aus Sicht der IG Metall zu unterstützen.

Angebotspolitik dominiert

Die Knackpunkte kommen im wirtschaftspolitischen Teil zu Europa. Laut Koalitionsvereinbarung wird in Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und eine „strikte, nachhaltige Haushaltskonsolidierung mit Zukunftsinvestitionen in Wachstum und Beschäftigung“ die beste Lösung für den Weg aus der Krise gesehen. Die Betonung liegt auf der Wettbewerbsfähigkeit durch „Strukturreformen“. „Zukunftsinvestitionen in Innovation und Wachstum“ sollen die Anstrengungen ergänzen.

Der Koalitionsvertrag verweist auf den im Sommer 2012 (im Gegenzug für die Ratifizierung des Fiskalpakts) geschlossenen Pakt für Wachstum und Beschäftigung mit einem Volumen von 120 Milliarden Euro. Diese soll mit Nachdruck umgesetzt werden. Die Darlehensvergabe durch die Europäische Investitionsbank und die Nutzung des Struktur- und Investitionsfonds sollen verstärkt genutzt werden. Insgesamt dominieren auch in der europäischen Krisenpolitik nach wie vor angebotsseitige Maßnahmen wie Strukturmaßnahmen und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

Die Kritik der IG Metall daran: Diese Instrumente haben schon in der Vergangenheit bei der Krisenbekämpfung kaum Wirkung gezeigt. Das Festhalten an der Bedingung, Kredite nur bei gleichzeitigen Kürzungen in öffentlichen Haushalten zu vergeben, konterkariert die möglichen Wachstumseffekte und ist aus Sicht der IG Metall der falsche Ansatz. Die Mittel, die für Wachstumsimpulse eingesetzt werden, setzen an der falschen Seite an und sind gemessen am Bruttoinlandsprodukt der EU zu gering, um Wirkung zu zeigen. Auch die Kredite für Investitionen werden nur dann in Anspruch genommen, wenn die Unternehmen positive Absatzerwartungen haben. Dasselbe dürfte auch für Ausbildungsplätze für Jugendliche gelten. Unternehmen ohne Aufträge können auch keine sinnvollen Ausbildungsprogramme anbieten.

Industriepolitik

In der Strategie für nachhaltigen Fortschritt wird auf die Bedeutung der Investitionen für Wachstum und Beschäftigung verwiesen und auf das Ziel, die Gesamtinvestitionsquote auf ein Niveau oberhalb des Durchschnitts der OECD anzuheben. Für Forschung und Entwicklung wird eine Quote von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts benannt. Der Koalitionsvertrag hat zudem einen Schwerpunkt bei der Industrie gesetzt. Sie wird als wichtigster Faktor für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland beschrieben. Die Bundesregierung will sich mit Partnern aus Wirtschaft, Gewerkschaft, Wissenschaft und Bildung zu wichtigen Innovationsbündnissen zusammenschließen. Als industriepolitische Ziele wird explizit die Bildung von Innovationsclustern und Innovationsnetzwerken genannt. Dabei geht es vor allem um Maschinenbau, Neue Werkstoffe, Mobilität, IKT, Energie, Medien und Gesundheit. Diese Konzentration auf die wichtigsten Leitmärkte ist ein richtiger Schritt.

Ein wichtiges Signal ist die ausdrückliche Einbeziehung der Gewerkschaften. Von besonderer Bedeutung werden die Querschnittsbereiche Industrie 4.0, Elektromobilität und Leichtbau hervorgehoben. Ein KfW-Programm für die Anschaffung von Elektroautos soll aufgelegt werden. Der Koalitionsvertrag bekennt sich zu den Schlüsselindustrien. Genannt werden IT, Mikroelektronik, Luft und Raumfahrt, Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und die Maritime Wirtschaft.

Energiewende

Die Energiewende, eine Energieversorgung ohne Atomenergie und ein stetig wachsender Anteil erneuerbarer Energien sollen konsequent weitergeführt werden. Die vereinbarten Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien auf 40 bis 45 Prozent im Jahr 2025 und 55 bis 60 Prozent im Jahr 2035 setzen auf die Erneuerbaren Energien als Leittechnologie einer zukünftigen Stromversorgung. Sie verlangen auch in Zukunft einen verlässlichen Regulierungsrahmen, mit dem Kosteneffizienz und Investitionssicherheit erreicht werden.

Die Reform des EEG soll bis Ostern 2014 erarbeitet werden. Eckpunkte wie eine kosteneffiziente Absenkung der nach Technologien differenzierten EEG-Vergütung, einen Abbau der Boni, das grundsätzliche Festhalten am Einspeisevorrang, die Einführung der Direktvermarktung und der Bestandsschutz für Altanlagen geben im Koalitionsvertrag den Rahmen vor. Zur Weiterentwicklung des Vergütungssystems soll pilothaft die Einführung einer gleitenden Marktprämie erprobt werden.

Die Entlastung für stromintensive Unternehmen soll erhalten und zukunftsfähig weiterentwickelt werden. Wichtig war, dass zur Finanzierung der Offshore-Windenergie schon jetzt eine Fortschreibung des Stauchungsmodells bis Ende 2019 festgeschrieben wurde, um den Investitionsstau aufzulösen und dem befürchteten Beschäftigungsabbau entgegen zu wirken. Ein neues Strommarktdesign und die neue Rolle der Gas- und Kohle Kraftwerke sollen entwickelt werden, zunächst über eine Weiterentwicklung der Netzreserve und mittelfristig durch Kapazitätsmärkte.

Hier setzt der Koalitionsvertrag die richtigen Themen, auch wenn die Konturen eines neuen Strommarktdesigns noch relativ ungenau bleiben. Offen bleibt auch, ob und wie Konzepte der dezentralen Energieversorgung weiter entwickelt und umgesetzt werden. Insbesondere für Systeme der Kraftwärmekopplung sollten die gesetzlichen Barrieren abgebaut werden. Auch für den Ausbau der Netze sind umsetzungsfähige und durchsetzbare Konzepte notwendig und müssen fortgeschrieben werden.

Es fehlen mutige Impulse

Die große Koalition will sich in Europa für eine Fortschreibung der Zieltrias (Reduzierung CO2/Ausbau EE/Energieeffizienz) und einen wirksamen Emissionshandel einsetzen. Das EEG soll europarechtskonform weiterentwickelt werden. Das sind wichtige Eckpunkte für die bereits begonnene Debatte über den zukünftigen energie- und klimapolitischen Regulierungsrahmen in Europa. Es soll ein „Forum Energiewende “ für einen ständigen Dialog mit Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft und gesellschaftlich relevanten Gruppen zur Beratung von Bundesregierung und Parlament gebildet werden. Das schafft Transparenz und ermöglicht einen breiten gesellschaftlichen Dialog.

Offen bleibt ob eine stärkere institutionelle Bündelung der energiepolitischen Kompetenz auf Seiten der Bundesregierung und der Ministerien erfolgen wird. Energieeffizienz bleibt eine der wichtigsten Bestandteile der Energiewende. Im Jahr 2014 soll ein Nationaler Aktionsplan Energieeffizienz ausgearbeitet werden. Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung, für Energieberatung und Investitionen in energiesparende Haushaltsgeräte werden weiter aus dem Klima- und Energiefonds finanziert. Außerdem sind erste Schritte für einen klimafreundlichen Wärmemarkt benannt.

Vieles bleibt vage

Dennoch ist es enttäuschend, dass der Koalitionsvertrag bei der Energieeffizienz keine mutigen Impulse setzt, sondern im Wesentlichen das Bestehende fortschreibt. Damit können keine ambitionierten Effizienzziele erreicht werden. Die Koalition will insbesondere die stromintensive Industrie in ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit stützen, dazu soll die „Besondere Ausgleichsregelung “ im EEG europarechtlich abgesichert werden. Wie eine faire Lastenteilung und eine stärke Begrenzung der Ausnahmen aussehen soll bleibt offen, es werden lediglich Prüfaufträge vergeben. Die Eckpunkte der IG Metall sind eine stärkere Beschränkung auf Unternehmen die tatsächlich in einem internationalen Wettbewerb stehen, eine Rücknahme der Absenkung der Schwellenwerte, Leiharbeit und Werkverträge dürfen sich nicht positiv auf die Erreichung der Schwellenwerte auswirken. Die Eckpunkte im Koalitionsvertrag bleiben dagegen vage.

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