Holzarbeiter in Osteuropa hoffen auf einen Tarifvertrag
Der Verhandlungstisch: bei Ikea ein Auslaufmodell?

Ikea umgarnt seine Kunden gern mit einer Wohlfühlatmosphäre. Bei den Holzarbeitern in Osteuropa und Russland kommt davon nicht viel an, wie Forscher jetzt untersucht haben. Solchen Problemen widmete der Möbelgigant früher mehr Aufmerksamkeit.

21. Januar 201321. 1. 2013


... schnell auf alte Zeiten besinnen.

 

Marion Hellmann, stellvertretender Generalsekretär der Bau- und Holzarbeiter Internationale (BHI), sitzt in seinem Büro in Genf. Heller Wandschrank, ein einfacher Konferenztisch mit acht Stühlen drum herum ― alles vom schwedischen Einrichtungshaus. „Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass Ikea kein schlechter Arbeitgeber ist und habe die Möbel mit gutem Gewissen gekauft“, sagt Hellmann mit einem Lächeln. Überhaupt ist der Mann mit den wachen Augen ein Optimist und meist gut gelaunt. Auch wenn sein Arm derzeit in Gips ruhen muss. Etwas anderes bereitet ihm mehr Schmerzen.
 

Massive Verletzungen von Arbeitnehmerrechten

 

Ikea lässt einen großen Teil seiner holzbasierten Möbel vom Unternehmen Swedwood fertigen. Deren Fabriken und Sägewerke befinden sich in Russland, Litauen, Polen, den USA und anderen Ländern. Viele der rund 15 000 Swedwood-Beschäftigen klagen über schlechte Arbeitsbedingungen und Löhne oder beispielsweise die Missachtung von Arbeitnehmerrechten. „Für das, was dort passiert, sind wir nicht zuständig“, hat Hellmann von Ikea zuletzt regelmäßig als Antwort bekommen, wenn er den multinational tätigen Konzern mit den Problemen konfrontierte. Doch durch zwei unterschiedliche Namen lässt sich das saubere Image nicht bewahren. Swedwood gehört Ikea, zu hundert Prozent. Was Ikea sagt, das macht der Zulieferer.

Mit wohlklingenden Selbstverpflichtungen lässt sich gut werben. Solange keiner genau hinsieht: Es verstehe sich von selbst, dass Swedwood die Vielfalt sowie einen fairen und offenen Arbeitsplatz fördere und alle Mitarbeiter mit Respekt behandelt, ist auf der Homepage des Unternehmens zu lesen. „Co-Arbeitnehmer haben das Recht, sich zu organisieren und einer Gewerkschaft beizutreten“, heißt es weiter. Hellmann muss lachen. „Wunderbar. Da müssten sie sich nur noch dran halten. Unsere Forscher haben massive Verstöße gegen Arbeitnehmerrechte festgestellt.“
 

Ikea-Filialen und Produktionsstätten ― zwei sich entfernende Welten

 

Jenes Team aus koreanischen und englischen Forschern hat sich im Auftrag der BHI intensiv mit den Arbeitsbedingungen bei Swedwood beschäftigt. Aus ihrem Bericht geht unter anderem hervor, dass das Unternehmen in Polen zwar mehr als den Mindestlohn zahlt, jedoch weniger als üblich. Viele Arbeiter gaben an, dass ihnen das Geld kaum zum Leben reicht. Dabei freut sich das Nachbarland seit Jahren über ein sehr stabiles Wirtschaftswachstum. 2011 lag es gar bei 4,32 Prozent (Quelle: statista.com). Im selben Jahr blieben dort Swedwood-Arbeiter rund 1 Prozent hinter den durchschnittlichen Lohnsteigerungen zurück. Einen rechtsgültigen Tarifvertrag gibt es nicht.

In Russland liegt der Mindeststundenlohn bei umgerechnet 0,85 Euro. Das ist allerdings eher als schlechter Witz zu verstehen, denn tatsächlich benötigt ein Mensch im größten Land der Welt wesentlich mehr zum Überleben. Der niedrigste Stundenlohn, den die Forscher in einer russischen Swedwood-Fabrik notierten, lag bei 1,12 Euro. Wasser, Brot, Reis – wenn die Beschäftigten im Supermarkt vor den Regalen stehen, um ihren Grundbedarf an Lebensmitteln zu kaufen, stehen sie gleichzeitig vor einer kaum zu bewältigenden Herausforderung.

In den Ikea-Filialen soll den Kunden ein Einkaufserlebnis geboten werden, verbunden mit einer lockeren und freundschaftlichen Atmosphäre. Mit Erfolg. Tag für Tag schieben Kunden rund 7,5 Millionen Pakete mit Möbelfabrikaten wie „Lack“ oder „Poäng“ über die Parkplätze zu ihren Autos. Ikeas Bedarf an Holz ist geradezu gigantisch. Die Sofas „Ektorp“ und „Klippa“ oder das Regal „Billy“ haben es in zig Haushalte geschafft. So verschaffen die weltweit 130 000 Ikea-Mitarbeitern dem Konzern jährlich Umsätze von rund 24 Milliarden Euro. Sicherlich auch, weil die Produkte beinahe unschlagbar günstig sind.

Die russischen Beschäftigten kritisieren, dass der Arbeitsschutz „bedenklich“ sei. Beispielsweise würden Bagger- und Gabelstapler-Fahrer, ohne entsprechenden Führerschein, viele Unfälle verursachen. Bemühungen, die Beschäftigten gewerkschaftlich zu organisieren oder mit Informationen zu versorgen, seien gezielt behindert worden. Das verstößt gegen Ikeas „IWAY“, eine konzerninterne Selbstverpflichtung, soziale Mindeststandards einzuhalten. Erst durch Gesundheits- und Sicherheitsinspektionen der Gewerbeaufsicht konnten sich Arbeitnehmervertreter Zugang verschaffen.

Von solchen Hindernissen wissen auch die Forscher selbst zu berichten. „In der Fabrik in Esipovo nahe Moskau war es uns nicht möglich, mit den Arbeitern zu sprechen“, heißt es in ihrem Bericht. Ein vom lokalen Management angeführter Grund dafür war, dass „es die Mitarbeiter nur verwirren würde und den Anschein erwecken könnte, es gäbe mit der Fabrik irgendwelche Probleme“. So kommen die Forscher unter anderem zu dem Schluss, dass das Swedwood-Management die Rechte von Arbeitnehmern nicht ernst nimmt. „Dies deutet auf eine sehr schwache Beziehung zwischen Führungskräften und Beschäftigten hin“, resümiert der Bericht. Weiter ist von „mangelndem Respekt“ und „Argwohn“ die Rede.


Hoffen auf bessere Lebensqualität

 

Seit 2009 ist Mikael Ohlsson Welt-Chef des Ikea-Konzerns. Leider, stellt Hellmann fest, „ist die Kommunikation zwischen den Gewerkschaften und der Ikea-Führung nicht mehr so gut wie in der Vergangenheit“. Früher seien die Arbeitnehmervertreter mit ihren Sorgen auf offene Ohren gestoßen, erinnert sich der 59-Jährige. Durch seine Arbeit in der Internationalen BHI kennt Hellmann die Probleme der Mitgliedsgewerkschaften. Zuletzt verweigerten immer mehr lokale Swedwood-Manager den Dialog.

Zumindest die polnischen Beschäftigten machen sich seit Kurzem wieder Hoffnung. Auf Initiative der BHI, in der auch die IG Metall Mitglied ist, haben sich die beiden zuständigen polnischen Gewerkschaften Solidarnosc und Budowlani an einen Tisch gesetzt und gemeinsame Forderungen erarbeitet. Mit der polnischen Swedwood-Vertretung konnte man sich über die meisten Punkte bereits einigen. „Wenn das Management noch einer Pausenerhöhung von 20 auf 30 bezahlte Minuten zustimmt und den Abrechnungszeitraum für Arbeitszeitkonten von vier auf einen Monat verkürzt, dann unterzeichnen wir“, sagt Zygmunt Oganiacz, der die Verhandlungen für Solidarnosc leitet. Der Tarifvertrag könnte die Lebensqualität von Holzverarbeitern und Möbelbauern in einem Dutzend Fabriken verbessern.

„Wir sollten uns immer bemühen, die Dinge besser zu machen, jeden Tag“, heißt es auf der Swedwood-Homepage. Ende Januar wollen sich Gewerkschafter auch mit Ikea-Chef Ohlsson treffen in der Hoffnung, den gegenseitigen Austausch neu zu beleben. Ob das so ein Tag wird? Hellmann ist zuversichtlich. „Ich bin guter Dinge, dass wir zur alten Kultur der Offenheit zurückfinden“, sagt der Arbeitnehmervertreter und klopft auf seinen Holztisch.

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