Integration von jungen Zuwanderern
„Du brauchst Leute, die an Dich glauben“

Mehmet Doymaz kam mit 15 Jahren nach Deutschland. Er schaffte sein Abitur und studiert jetzt. Das können andere Zuwandererkinder auch, sagte er sich – und hilft ihnen nun gemeinsam mit anderen studierenden Migranten dabei.

30. September 201530. 9. 2015


Mehmet Doymaz und sein Nachhilfeschüler Bob strahlen um die Wette in die Kamera. Sie treffen sich regelmäßig hier, an einem ihrer Lernplätze auf dem Campus des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), direkt neben der Bibliothek. Doymaz studiert hier Ingenieurwesen für Verfahrenstechnik.

Eigentlich hat Mehmet Doymaz mehr als genug zu tun. Gerade sind Prüfungen. Dennoch nimmt er sich seit drei Jahren regelmäßig Zeit für Bob, gibt ihm nicht nur Nachhilfe, sondern spricht auch mit ihm über seine Pläne und Probleme. Dafür verzichtet Doymaz aufs Weggehen und Feiern mit Freunden. „Das gehört einfach zu meinem Leben. Andere machen Sport. Ich mache etwas für die Menschen und die Gesellschaft.“


Ingenieurstudent Mehmet Doymaz und sein Nachhilfeschüler Bob. Foto: Gustavo Alàbiso

Es hat sich gelohnt: Bob hat gerade seinen Realschulabschluss geschafft, mit deutlich besseren Noten als erhofft. Nun macht er ein freiwilliges soziales Jahr in einer Kita und geht danach ans Gymnasium, um sein Abitur zu machen. Dabei ist Bob erst vor sechs Jahren aus Thailand nach Deutschland gekommen.

Mit 15 nach Deutschland

Mehmet Doymaz weiß, wie es Bob geht: Er selbst kam vor acht Jahren mit seiner Familie und vier Geschwistern aus dem Osten der Türkei nach Deutschland. Sein Vater, ein Provinzbeamter, hatte notleidende Kurden mit Hilfsgütern unterstützt und damit den Ärger der Regierung auf sich gezogen. Ein Flüchtling mit 15 Jahren in Pforzheim, ohne einen Brocken Deutsch, der Vater hat einen mittleren Schulabschluss, die Mutter ist Analphabetin. Eigentlich hatte Doymaz keine guten Startchancen.

Doch er hatte Ehrgeiz. Er wollte es unbedingt schaffen. Sechs Monate lang lernte Mehmet Doymaz Deutsch. Danach ging er zunächst zwei Jahre auf die Hauptschule, dann nach der neunten Klasse an die Werkrealschule und nach einem Jahr an ein berufliches Gymnasium. Es war schwer am Anfang mit der deutschen Sprache, erinnert sich Doymaz. Sein erster Deutschaufsatz am Gymnasium war noch voller Grammatikfehler. Doch Doymaz biss sich durch. „Ich hatte immer ein Wörterbuch dabei, habe zu Hause Grammatik gelernt und von Anfang an auch mit meinen türkischen Mitschülern konsequent Deutsch gesprochen.“

Vor drei Jahren machte Doymaz sein Abitur – mit der Note Zwei in Deutsch – und studiert am KIT. Das können andere Zuwandererkinder auch schaffen, sagte sich Doymaz – und beschloss, ihnen dabei zu helfen. Schon als Gymnasiast betreute er in den Ferien Flüchtlingskinder aus dem Irak, gemeinsam mit Lehrern und Sozialarbeitern. Ein Sozialarbeiter, mit dem er schon in der Hauptschule Kickerturniere organisierte, hatte ihn gefragt.

Hilfe weitergeben

„Ohne Hilfe schaffst Du es nicht, wenn Du nach Deutschland kommst“, meint Doymaz. „Oft wird für die Integration zu wenig getan. Du musst das Glück haben, Leute zu treffen, die an Dich glauben und Dich unterstützen.“ Doymaz hatte das Glück: Eine Lehrerin auf der Hauptschule erkannte seinen Ehrgeiz und sein Potenzial, trotz seiner Sprachprobleme. Sie schlug ihn für das Programm „Talent in Land“ vor, mit dem das Land Baden-Württemberg und die Robert-Bosch-Stiftung begabte Zuwandererkinder fördern. Auch am KIT in Karlsruhe studiert Doymaz nun mit einem Stipendium. Die Hans-Böckler-Stiftung der DGB-Gewerkschaften unterstützt ihn mit ihrem Programm „Aktion Bildung“ für sozial benachteiligte Studierende.

„Ich habe Hilfe bekommen. Das will ich an andere weitergeben“, erklärt der 24-Jährige. Am KIT tat er sich mit anderen „Talent im Land“-Stipendiaten zusammen, die wie er als Jugendliche nach Deutschland gekommen waren. Ihre Idee: Studierende Migranten helfen jugendlichen Migranten. Sie gründeten den Verein „Sprungbrett Bildung“ und gingen an die Schulen, um Schüler zu finden.

„Anfangs waren die Schulleitungen skeptisch“, erzählt Doymaz. „Die Lehrer glauben meist nicht daran, dass die neu zugewanderten Schüler etwas hinkriegen und fördern sie auch nicht. So war es anfangs auch bei Bob. Wir jedoch wollen zeigen: Es gibt einige, die weiterkommen können.“ Dabei geht es um mehr als Nachhilfe: Die Studierenden sind Vorbilder für die Schüler, Zuwanderer wie sie, die es trotzdem geschafft haben. Ihnen ist die soziale und kulturelle Integration wichtig. Deshalb machen sie mit den Schülern auch Ausflüge, ins Kino, ins Museum und in andere Städte. Mittlerweile sind auch zwei deutsche Schüler dabei. „Es gibt auch deutsche Jugendliche, die sozial benachteiligt und ausgeschlossen sind“, meint Doymaz. „Die müssen wir genauso integrieren.“

Etwas zurückgeben

Seit zwei Jahren ist Doymaz auch in der IG Metall. Bei der Hans-Böckler-Stiftung, die ihm sein Studium finanziert, traf er andere Stipendiaten, die Mitglieder der IG Metall sind – und trat selbst ein. „Ich finde das eine gute Sache: gemeinsam für Tarifverträge und all die anderen Leistungen. Das wird mir ja auch später im Betrieb helfen“, erklärt Doymaz. „Außerdem haben mir die Gewerkschaften mit ihrer Stiftung überhaupt erst mein Studium ermöglicht. Da ist es klar, dass ich auch etwas zurückgebe.“
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