Wie das Institut der deutschen Wirtschaft Befragungsergebniss...
Klassenkampf-Rhetorik oder Argumente der sozialen Vernunft

Eine Erhebung zeigt: Die politischen Wünsche von Arbeitnehmern, die in einer Gewerkschaft sind, spiegeln sich eher in den Gewerkschaftsprogrammen wider als die von Nicht-Organisierten. Klingt logisch, war den Forschern des Instituts für deutsche Wirtschaft aber tatsächlich eine empirische ...

13. Januar 201113. 1. 2011


... Auswertung wert. Und das Institut bewirbt ihre Auswertung mit einer gewagten These: „Klassenkampf-Rhetorik bringt nichts“.

Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat untersucht, inwieweit die Wünsche der Arbeitnehmer in Deutschland mit den Gewerkschaftszielen übereinstimmen. Die Erhebung heißt „Arbeitnehmerinteressen und Gewerkschaftsprogrammatik – Was sagt die Empirie?“. Die Ergebnisse überraschen nicht: Die Wünsche der Menschen, die in einer Gewerkschaft sind, spiegeln sich besser wider als die der Nicht-Gewerkschafter.

Überraschende Schlagzeile
Überraschend ist aber die Pressemeldung, die mit dieser Erhebung einhergeht: Der Autor schlussfolgert nämlich, dass die Gewerkschaftsführer gut beraten seien, wenn sie sich mit „Klassenkampf-Rhetorik“ und „Globalisierungsschimpfe“ zurückhielten. Sonst könnten sie nämlich Mitglieder und potenzielle Mitglieder vergraulen. Aus der Erhebung ist vielmehr ein starkes Interesse daran abzulesen, dass der Staat mehr für soziale Gerechtigkeit tun muss:

  • Das Thema Staatseingriffe bewerten Gewerkschaftsmitglieder und Nicht-Mitglieder nur wenig unterschiedlich. „Die Politik sollte sich aus der Wirtschaft heraushalten“, ist die Aussage, die abgefragt wurde. 66,3 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder lehnen die Aussage ab, und immerhin 59,8 der Nicht-Mitglieder. Die große Mehrheit will also keineswegs, dass der Staat sich aus der Wirtschaft heraushält.
  • Das Thema Weltmarktöffnung bewerten die Befragten differenziert. Abgefragt wurde die Aussage „Die weitere Öffnung der Weltmärkte dient dem Wohl aller“. Hier stimmen 41,1 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder zu, und 50 Prozent der Nicht-Mitglieder. Die Befragten sehen: Die Weltmarktöffnung ist wichtig, hat aber auch Schattenseiten.

Andere Aspekte wie „Soziale Sicherung als wichtiges Ziel der Politik“ und „Einkommen und Wohlstand sollten zugunsten der einfachen Leute umverteilt werden“ haben die Gruppen fast gleich wichtig bewertet, mit 84 bzw. 67 Prozent Zustimmungen. Wie kommt es also zu der Aussage der Forscher, Klassenkampf-Rhetorik bringe nichts? Und was ist dran an der These? Dazu drei Fragen an Michael Vester.

Geht aus der Erhebung tatsächlich hervor, dass die Gewerkschaften sich eine anderen Ton angewöhnen sollten?
Nein. Aber die Schlagzeile „Klassenkampf-Rhetorik bringt nichts“ stimmt.
Doch lassen Sie mich erst diese Erhebung bewerten. Die zentrale Aussage ist eine ganz andere: 84 Prozent aller Befragten – egal ob in einer Gewerkschaft oder nicht – sind für mehr Sozialstaatlichkeit. Also für einen starken und ausgleichenden Sozialstaat inklusive einer gerechteren Verteilung des Wohlstands. Die Schlagzeile trifft also die eigentliche Botschaft nicht. Außerdem wurde die Meinung zur gewerkschaftlichen Rhetorik gar nicht abgefragt. Das und Weiteres ist von den Autoren frei interpretiert.
Wir erleben zurzeit bei den Menschen ein großes Unbehagen darüber, dass die Banken, die sich verspekuliert hatten, in der Finanzkrise massiv unterstützt wurden, der Aufschwung aber noch keine sozialpolitischen Verbesserungen gebracht hat. Den Menschen fehlt die soziale Symmetrie, sie wollen mehr soziale Sicherheit durch die Sozialsysteme und mehr Teilhabe der einfachen Leute am Wohlstand. Das ist der Kern der Ergebnisse der Studie. Die Autoren schreiben aber: „Nachdem die Krise zu einem guten Teil überwunden wurde, dürfte sich bei einer Mehrheit der Arbeitnehmer kaum das Gefühl verfestigen, Hauptleidtragende der Krise gewesen zu sein.“ Fakten und Interpretation passen nicht zusammen.

Zurück zur Gewerkschaftsrhetorik: Das Institut der deutschen Wirtschaft hängt den Gewerkschaften erfolglose Klassenkampf-Rhetorik an. Was ist dran?
Die IG Metall ist längst in den modernen Zeiten angekommen. Sie hat verstanden, dass die Bildungsniveaus gestiegen sind und dass die Menschen eine differenzierte Sprache wollen sowie ausführliche Informationen brauchen. Also gute Argumente, kompetente Kommunikation mit den Arbeitgebern und eine Sprache der sozialen Gerechtigkeit. Trotzdem natürlich mit Nachdruck.

Woran kann man eine erfolgreiche Gewerkschafts-Rhetorik erkennen?
Als allgemein anerkannte Feststellung kann man sagen: Betriebe mit Betriebsräten sind effizienter. Denn alle Beteiligten – inklusive die Presse – haben die Erfahrung gemacht: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind am wirtschaftlichen Erfolg interessiert. Zu dieser Win-win-Situation kommt man nicht mit Kampfgeschrei, sondern – auch in den unvermeidlichen Konflikten – mit rationalem Umgang mit Themen, Wortwahl und Tonfall. Ein gutes Beispiel ist das IG Metall-Motto „Besser statt billiger“. Hier zeigt sich: Arbeitnehmer wollen etwas leisten, und zwar in hoher Qualität. Im Gegenzug erwarten sie gute Arbeitsbedingungen und Teilhabe. Das ist Kommunikation auf Augenhöhe.

Zur Person:
Prof. Dr. Michael Vester, Jahrgang 39, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Uni Hannover. Seine Schwerpunkte: Sozialstruktur, Milieus und Mentalitäten, soziale Bewegungen und sozio-politische Lernprozesse.

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