Interview mit Professor Dr. Michael Schumann
Das Auto und sein Produzent

125 Jahre Automobilbau – wo bleiben die Beschäftigten? Der Soziologe Prof. Michael Schumann blickt zurück und forderte eine neue Debatte zu „innovativer Arbeitspolitik“.

9. Dezember 20119. 12. 2011


125 Jahre Automobilbau – wo bleiben bei all den Feierlichkeiten die Beschäftigten und ihr Anteil daran?
Michael Schumann: Die Beschäftigten, die ja letztlich die „Produzenten“ der Autos sind, kommen meist zu kurz. Gefeiert werden technischer und ökonomischer Fortschritt der Branche. Für die „Produzenten“ sind mit diesen Entwicklungen aber eben nicht nur positive, sondern auch durchaus höchst leidvolle Erfahrungen verbunden. Sie haben nicht nur gewonnen, sondern allzu oft gerade in Bezug auf die Arbeitsqualität verloren.

Was lässt sich aus der langen Geschichte für heute ablesen?
Vergessen wird oft, dass bei der Erfindung des Autos die »Produzenten„ gemeinsam in einer Reihe standen mit den Innovatoren: Sie waren zugleich Hersteller und Entwickler, Macher und Innovatoren, Handwerker und Techniker. Der gelernte Büchsenmacher Gottlieb Daimler vereinte das in einer Person. Durchaus in Kenntnis der damals üblichen überlangen Arbeitstage und extremen körperlichen Belastungen: kennzeichnend war in dieser Phase für die Mehrheit der “Produzenten„ eine beruflich fordernde Arbeitssituation mit individuellem Spielraum, Selbstständigkeit und betrieblichem Expertenstatus.

Und dann kamen Henry Ford und Frederick Taylor.
Ja, die ganzheitliche Arbeit wurde jäh beendet, als das Auto in die Massenproduktion ging – die Amerikaner waren nun die Innovatoren in der Produktion. Dieser Prozess verwandelte weltweit Automobilarbeit in “Arbeit«. Aus dem „Produzenten“ wurde unter den Vorzeichen der tayloristisch fordistischen Produktionskonzepte mehrheitlich der repetitive Teilarbeiter. Das meint den Tätigkeitstyp mit reduziertem fachlichen Zuschnitt, dramatisch eingeschränktem Handlungs- und Entscheidungsspielraum und hohen, oft einseitigen physischen und psychischen Belastungen. Erst in den Siebzigern und Achtzigern gab es neue Initiativen gegen die tayloristische Arbeitspolitik – die IG Metall erkämpfte damals ja den ersten „Humanisierungs-Tarifvertrag“. Selbst die Unternehmen erkannten, dass eine solche restriktive Arbeit ineffizient war.

Die Ansätze für humane Arbeit wurden mit der Globalisierung und dem Siegeszug des Toyota- Systems zurückgedrängt. Was sind die Fehler dieses Systems?
Das Toyota-Produktionssystem schien in den Neunzigern den Marktanforderungen am besten zu entsprechen. Bei minimalen Korrekturen baut es jedoch weiter auf Kontrolle und Hierarchie, stützt die Deprofessionalisierung der „Produzenten“. Der Toyotismus nimmt ihnen Selbstständigkeit und belässt sie in untergeordneten Ausführungspositionen. Innovative Arbeitspolitik sucht Wettbewerbsvorteile aber gerade in der Aktivierung der Kompetenzen der Beschäftigten. Das erfordert eine ganzheitliche Arbeitsgestaltung und Innovation bei Aus- und Weiterbildung. Im Zeichen von Globalisierung und der Dominanz der Finanzmärkte mit den erhöhten Maßstäben an Rentabilität und dramatisch verkürzten Fristigkeiten zählt das nicht als Zukunftsinvestition, sondern nur als zu deckelnden Kostenfaktor.

Die Automobilproduktion steht vor einer Zeitenwende. Warum wird das „Auto ohne Emissionen“ nur mit humaner Arbeitspolitik zu erreichen sein?
In der restriktiven Arbeit steckt keine Zukunft. Die Komplexität der Prozesse nimmt weiter zu, mit strangulierten Arbeitskräften funktioniert das nicht mehr. Das Arbeitssystem darf sich nicht gegen die Interessen der Beschäftigten richten, sondern muss auch ihnen Verbesserungen bringen. Wir brauchen die hohe Kompetenz der „Produzenten“. Wir brauchen eine produktive Zusammenführung ihres praktischen Knowhows und des theoretischen Wissens, das heißt, die gleichrangige Kooperation von „Produzenten“, Technikern und Ingenieuren. Das ist ein Standortvorteil für die deutsche Produktion, denn wir haben für diese Zusammenarbeit die besten Voraussetzungen. Mit einem kooperativen Produktionssystem könnte es gelingen, beim Produkt Auto und seiner Herstellung wieder in die Rolle des Innovators zu kommen.

Was sollten die Gewerkschaften auf den Weg bringen?
Sie sollten die arbeitspolitische Debatte mit Nachdruck wieder aufnehmen. Die Ansprüche auf würdige Arbeit liegen erneut auf dem Tisch – jetzt, wo die Belastungen stark gestiegen sind, prekarisierte Arbeit zunimmt. Die Perspektive der Befreiung in der Arbeit steht nach 125 Jahren Industriegeschichte erneut – genauer: unverändert auf der Tagesordnung.

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