Interview: Kolumbianische Metallgewerkschafter
„Wenn wir das nicht machen, wird es immer schlimmer“

Kolumbien ist weltweit das gefährlichste Land für Gewerkschafter. Wir sprachen mit den Metallgewerkschaftern Mauricio Castro, Vorsitzender Sintrametal (Utrammicol), sowie dem Vorsitzenden der Fetramecol, Alberto Gomez, und seiner Stellvertreterin, Nohora Tovar, über die Lage der kolumbianischen ...

6. Januar 20106. 1. 2010


... Gewerkschaftsbewegung.

Die globale Wirtschaft durchläuft derzeit die schwerste Krise seit Jahrzehnten. Worin seht Ihr aktuell die größten Herausforderungen für gewerkschaftliche Arbeit in Kolumbien?
Mauricio Castro: Im Moment ist die konjunkturelle Lage in unserem Land sehr schwierig. Die Arbeitslosenquote ist hoch und viele Beschäftigte schrecken davor zurück, sich einer Gewerkschaft anzuschließen. Der kolumbianische Staat beachtet weder die Regeln und Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), noch respektiert er die Gewerkschaftsbewegung insgesamt. Hingegen räumt er ausländischen Investoren weitgehende Freiheiten ein, weswegen viele Arbeitsgesetze in unserem Land nicht befolgt werden. Um dagegen etwas unternehmen zu können müssen wir verhindern, dass die kolumbianische Gewerkschaftsbewegung weiter zersplittert. Wir haben dazu einen Vereinigungsprozess von betrieblichen Organisationsformen hin zu Branchengewerkschaften in Gang gesetzt. So wollen wir auch bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern durchsetzungsfähiger werden.


Warum ist nur ein geringer Prozentsatz der Beschäftigten in Kolumbien gewerkschaftlich organisiert?
Alberto Gomez: Das hat verschiedene Gründe. Erstens herrscht unter den Beschäftigten eine große Verunsicherung. Obwohl gesetzlich garantiert, kann man sich in Kolumbien im Grunde nicht frei gewerkschaftlich betätigen. Viele Gewerkschafter werden bedroht, manche umgebracht oder man lässt sie einfach verschwinden. Dafür sind meist rechte Gruppierungen verantwortlich, denen man mitunter Kontakte in die Regierung nachweisen kann.
Den Faktor Arbeitslosigkeit hat Mauricio eben angesprochen. Wer einen Job hat, der möchte ihn nicht verlieren und scheut deshalb davor zurück, einer Gewerkschaft beizutreten. Viele Arbeitgeber schüchtern ihre Beschäftigten ein und stellen sie vor die Wahl: entweder der Job oder die Gewerkschaft.

Nohora Tovar: Outsourcing und Leiharbeit tragen auch nicht gerade zur Erhöhung des Organisationsgrades bei. In Kolumbien wird sehr viel Beschäftigung ausgegliedert – auch in Kleinen und Mittleren Unternehmen.
Ein weiteres Problem ist die prekäre Beschäftigung in so genannten Arbeitskooperativen (Cooperativas de Trabajo Asociado, CTA). Diese Pseudokooperativen sind darauf ausgelegt, den Beschäftigten durch eine Art Scheinselbständigkeit ihre Arbeits- und Gewerkschaftsrechte vorzuenthalten und ihnen die Kosten für ihre Sozialversicherung sowie Arbeitsmittel und -kleidung aufzubürden. Das ist für uns Sklaverei im 21. Jahrhundert. Zwar ignorieren die CTA die Empfehlungen der ILO in Bezug auf Arbeitskooperativen, wenn wir aber dagegen Anzeige erstatten, bleiben rechtliche Sanktionen meist aus. So werden wir daran gehindert, unsere Forderungen durchzusetzen und die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben sehen dann keinen Sinn hinter unserer Tätigkeit.

Kämpfen in Kolumbien für die Rechte der Arbeitnehmer: Alberto Gomez, Nohora Tovar und Mauricio Castro (v.l.)

Kämpfen in Kolumbien für die Rechte der Arbeitnehmer: Alberto Gomez, Nohora Tovar und Mauricio Castro (v.l.)

Wie kann die gewerkschaftliche Solidarität gestärkt werden?
Alberto Gomez: Eine Maßnahme, den Organisationsgrad zu erhöhen und die Gewerkschaftsbewegung insgesamt zu stärken, liegt sicherlich im Zusammenschluss von Verbänden. Utrammicol und Fetramecol befinden sich derzeit in einem Vereinigungsprozess, mit dem wir ein Gegengewicht zu den antigewerkschaftlichen Aktivitäten der Regierung und der Wirtschaft schaffen wollen.
Wir wollen den Arbeitnehmern signalisieren, dass man mehr erreichen kann, wenn man sich zusammenschließt. Das soll auch den übergeordneten Verbänden zeigen, dass wir besser für unsere Belange eintreten können, wenn wir uns schon auf den unteren Ebenen zusammenschließen.

Nohora Tovar: Die IG Metall und der DGB begleiten uns auf diesem Weg und unterstützen unsere Anträge bei der ILO. Ein deutliches Signal erhoffen wir uns auch von der Europäischen Union (EU). Das Europäische Parlament darf dem geplanten Freihandelsabkommen mit Kolumbien nicht zustimmen. Insbesondere für Kleine uns Mittlere Unternehmen hätte das Abkommen dramatische Folgen. Darüber hinaus käme die Zustimmung der EU im Grunde einer Bestätigung der antigewerkschaftlichen Politik in unserem Land gleich. Auch in dieser Sache freuen wir uns über die Unterstützung der europäischen Kolleginnen und Kollegen.

Mauricio Castro: Wir versuchen aber auch, Einfluss auf die Politik zu nehmen. So haben wir der Regierung Vorschläge zu verschiedenen Sozialprogrammen unterbreitet. Zum Beispiel wollen wir erreichen, dass unseren Mitgliedern Wohnraum zur Verfügung gestellt wird. Zwar ist das ein von der Verfassung garantiertes Recht, aber der Staat hat nicht die Mittel, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern.
Daher ist es eine unserer zentralen Aufgaben, Wohnungen und Häuser zu bauen, um sie unseren Mitgliedern zur Verfügung stellen zu können. Das hat tatsächlich dazu geführt, dass wir neue Mitglieder werben konnten.

Alberto Gomez: Wir kümmern uns auch sehr um die gewerkschaftliche Ausbildung und Qualifizierung der Kollegen an der Basis. Aber auch allgemein um die Aus- und Weiterbildung in den verschiedenen Branchen. So werden wir glaubwürdiger und gewinnen auf Dauer auch mehr Mitglieder.


Kolumbien ist weltweit das gefährlichste Land für Gewerkschafter. Warum werden ausgerechnet Arbeitnehmervertreter zur Zielscheibe von Repressionen?
Nohora Tovar: Das hat natürlich in gewisser Weise mit der antigewerkschaftlichen Politik der Regierung zu tun. Aber auch viele Unternehmer handeln nach dem Motto: Die beste Gewerkschaft ist die, die es nicht gibt. Im Grunde haben wir es mit einer Stigmatisierung der gesamten Gewerkschaftsbewegung durch Teile der Regierung und Medien zu tun.

Alberto Gomez: Man muss bedenken, dass die Mehrzahl der Regierenden in Kolumbien gleichzeitig Unternehmer sind. Das führt dazu, dass sie keinerlei Interesse daran haben, dass Menschen sich organisieren und für würdige Arbeitsbedingungen kämpfen. Diese Unternehmer, die gleichzeitig die Regierung bilden, erlassen dann Gesetze, die eine wirksame Opposition in Form einer starken Gewerkschaft verhindern.
Darüber hinaus unterhalten manche von ihnen Beziehungen zu Gruppierungen, die
gegen uns vorgehen und Gewerkschaftsführer gezielt angreifen. Das sind gut organisierte und bewaffnete Gruppen. Wir zeigen derartige Gesetzesverstöße immer wieder an, doch rechtliche Konsequenzen bleiben meist aus. Unter diesen ungleichen Bedingungen etwas zu erreichen, ist natürlich sehr schwierig. Und da die großen Medienunternehmen in der Regel ebenfalls in den Händen dieser Oligarchen sind, findet eine Berichterstattung darüber nicht statt.


Die
Straflosigkeit bei Verbrechen an Gewerkschaftern scheint die Situation noch zu verschlimmern. Werden die Schuldigen – auch die Hintermänner – überhaupt zur Verantwortung gezogen?
Nohora Tovar: Selten. Zwar hat sich die Lage ein wenig gebessert, seit es die ILO 2006 eine Richtlinie zu diesem Thema erlassen hat. Bis dahin kamen vielleicht 99 Prozent der Straftäter davon, aber auch heute wird nur eine Handvoll der Verbrechen aufgeklärt. Und was ist das im Vergleich zu den rund 2700 Kollegen, die in den letzten 23 Jahren nachweislich ermordet worden sind?
Auf Mord an einem Gewerkschaftsführer stehen 40 Jahre Gefängnis. Inzwischen werden aber andere Tatmotive angegeben. Wird ein angeheuerter Killer nach dem Mord an einem Gewerkschafter gefasst, wird die Tat zum Beispiel als Raubmord registriert. Das eigentliche Motiv wird verschleiert. Das führt dazu, dass die Verbrechen an Gewerkschaftern statistisch gesehen zurückgehen, während andere Straftaten ansteigen. Oft behaupten die Täter auch, im Glauben gehandelt zu haben, es habe sich bei dem Gewerkschafter um einen Guerillero gehandelt. In Kolumbien gibt es staatliche Prämien, wenn man Guerilla-Mitglieder aus dem Verkehr zieht.

Mauricio Castro: Diese Prämien haben mit zum Skandal um die so genannten „Falsos Positivos“ geführt. Bisher sind über 1300 Fälle bekannt, in denen Militärangehörige unschuldige Zivilisten tausende von Kilometern weit verschleppt, ermordet und in Guerillero-Uniformen gesteckt haben, um Prämien zu kassieren – unter den Opfern sind auch Gewerkschafter. Die meisten der gefundenen „Falsos Positivos“ wurden erschossen. Ihre Körper weisen zwar Einschusslöcher auf, die Uniformen, in denen man sie verscharrt hat, sind hingegen oftmals unversehrt. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass der kolumbianische Geheimdienst DAS im großen Stil Telefone abgehört hat. Dabei wurde auch eine Liste erstellt, anhand derer mögliche Ziele unter den Gewerkschaftsführern auszumachen waren.


Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte. Tut die Regierung genug, um euch und eure Kollegen vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen?
Nohora Tovar: Das ist ein heikles Thema. Es stimmt, die Zahl der ermordeten Gewerkschafter ist – aus oben genannten Gründen – statistisch gesehen zurückgegangen, aber unserer Meinung nach wird nicht genug getan. Die Regierung spricht zwar von Programmen zum Schutz von etwa 2500 Gewerkschaftern – manche haben Bodyguards, die meisten jedoch schlicht ein Mobiltelefon in die Hand gedrückt bekommen. Wir sagen aber: Das darf es einfach nicht geben! Eigentlich dürfte die Bedrohung für jemanden, der sein Recht auf gewerkschaftliche Betätigung wahrnimmt, nicht derart akut sein, dass man ihm Personenschutz gewähren muss.
Und nach dem Bekannt werden der Abhöraktionen des Geheimdienstes ist auch klar, dass die von der Regierung zur Verfügung gestellten Mobiltelefone eher kritisch zu betrachten sind.

Mauricio Castro: Für 2009 spricht man von ,nur noch’ 35 getöteten Gewerkschaftern. Im Vorjahr waren es etwa 50. Den Rückgang verkauft man als Erfolg – doch es dürfte kein einziges Opfer geben. Das Schlimmste an der Sache ist, dass auch die Familien in den Konflikt hineingezogen werden. Man bedroht sie, damit die Gewerkschaftsführer ihre Tätigkeit nicht weiter verfolgen.


Wie unterstützen euch die deutschen und die europäischen Gewerkschaften und ihre Dachverbände bei eurer Arbeit?
Alberto Gomez: Auf vielfältige Weise, aber allein die Tatsache, dass wir diese Reise machen und direkt über die Lage in unserem Land berichten können, ist schon eine große Hilfe für uns.

Nohora Tovar: Wir möchten unseren Aufenthalt in Deutschland auch nutzen, uns dafür stark zu machen, dass Formación para la acción social (Bildung für gesellschaftliches Handel) fortgesetzt wird. Dabei handelt es sich um ein gemeinsames Projekt des DGB Bildungswerks und der kolumbianischen Gewerkschaftsdachverbände Central Unitaria de Trabajadores (CUT) und Confederacion De Trabajadores De Colombia (CTC). Solche Ausbildungsprogramme sind für uns sehr wichtig, da sie uns helfen, unsere Kollegen an der Basis fortzubilden. Auch die IG Metall spielt eine wichtige Rolle. Wir konnten im Laufe dieser Reise ein Unternehmen besichtigt und uns mit dem Betriebsrat über dessen Arbeit austauschen. So können wir an den Erfahrungen der Kollegen hier in Deutschland teilhaben und von ihr profitieren. Die Arbeit, die wir in Kolumbien machen, ist sehr hart, aber wir müssen sie fortführen. Dabei ist die Solidarität der europäischen Gewerkschaften sehr wichtig für uns. Sie hilft uns in unserer tagtäglichen Arbeit.


Freddy Lozano, der Generalsekretär der Gewerkschaft Sintracarbon, die die Arbeiter in der Kohlemine Cerrejón vertritt, hat im Gespräch mit Amnesty International gesagt, er und seine Kollegen seien nach einer Europareise besonders gefährdet, von Paramilitärs bedroht oder ermordet zu werden. Müsst auch ihr befürchten, nach eurer Rückkehr zur Zielscheibe zu werden?
Nohora Tovar: Natürlich haben auch wir Angst vor Repressionen. Aber wir wissen auch: Wenn wir das hier nicht machen, wird die Lage in Kolumbien immer schlimmer. Das ist eben unsere Aufgabe, die wir auch weiter verfolgen wollen. Aber natürlich hoffen und beten wir auch, dass uns nichts passiert, wenn wir nach Hause kommen.

Mauricio Castro: Wir waren immer von Gefahren umgeben und wurden bedroht. Mit großer Sicherheit werden wir nach unserer Rückkehr mit Nachteilen zu rechnen haben. Aber das ist unsere Verantwortung, der wir uns auch stellen wollen. Denn bei allen Risiken, die wir eingehen und den Ängsten, die wir haben, ist das doch der einzige Weg, auf unsere Situation aufmerksam machen zu können und internationale Solidarität einzufordern.

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