Digitalisierung
Digitalisierung gestalten, Stress verhindern

Am Frühstückstisch die ersten E-Mails beantworten und dienstlich telefonieren: Für manche Beschäftigte ist es selbstverständlich, ihrem Beruf mit Smartphone und Laptop nachzugehen – rund um die Uhr.

28. November 201628. 11. 2016


Egal ob sie in der Automobilindustrie, dem Maschinenbau oder einem Elektrounternehmen arbeiten, ob sie gerade die Ausbildung oder das Studium beendet oder kurz vor dem Rentenalter stehen: Beschäftigte in allen Branchen erleben derzeit, wie massiv sich die Digitalisierung auf ihre Arbeit auswirkt. Für acht von zehn Beschäftigten prägen E-Mails, Smartphones sowie computergesteuerte Produktionsprozesse den Berufsalltag. Dabei fühlen sich viele unter Druck gesetzt. Die Arbeitnehmer müssen immer mehr und immer länger arbeiten und oft mehrere Tätigkeiten parallel erledigen. Vieles wird vom Vorgesetzten einfach erwartet. Beim digitalen Einsatz hat die Mehrheit der Betroffenen kaum oder wenig Einfluss auf die Prozesse am Arbeitsplatz. Kein Wunder, dass der DGB-Index „Gute Arbeit“ zu dem Ergebnis kommt: Digitalisierung führt bei vielen Beschäftigten zu Stress.

Knapp 10 000 Beschäftigte nahmen an der zehnten Erhebung zum DGB-Index „Gute Arbeit “ teil, die einmal jährlich durchgeführt wird. Im Fokus standen die Verbreitung und die Auswirkungen der Digitalisierungsprozesse auf die Qualität der Arbeitsbedingungen. Die digitalen Möglichkeiten haben die Arbeitswelt verändert. Auf den ersten Blick scheint vieles einfacher, manches auch besser geworden zu sein. Trotzdem berichten die Beschäftigten von höheren Belastungen, einer wachsenden Arbeitsmenge und von zunehmenden Multitasking-Anforderungen. Bundesweit fühlen sich 55 Prozent der Beschäftigten sehr oft gehetzt.

Viele sprechen über die Chancen der Digitalisierung. Wenn beispielsweise Tätigkeiten nicht mehr zwingend am Schreibtisch im Betrieb erledigt werden müssen, kann dies eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben ermöglichen. Besonders Beschäftigte mit Betreuungsaufgaben hätten davon Vorteile. Doch nur für eine Minderheit hat sich bei der Work-Life-Balance etwas verändert. Roboter könnten zudem den Beschäftigten körperlich schwere Arbeiten abnehmen oder sie dabei unterstützen. Gleichzeitig macht jedoch die Digitalisierung auch das Arbeiten rund um die Uhr möglich, sodass der Feierabend vieler Beschäftigter immer weiter eingeschränkt werden könnte. Zudem werden die Kontrolle und Überwachung der Mitarbeiter einfacher.

Im Zuge der Erhebung berichteten viele Beschäftigte von den negativen Folgen der Digitalisierung. Fast jeder Zweite erlebt demnach Verschlechterungen: Das Arbeitsvolumen ist gestiegen und die gleichzeitig zu bewältigenden Prozesse haben zugenommen. 46 Prozent der Befragten fühlen sich überwacht und 45 Prozent der Betroffenen haben den Eindruck, der digitalen Technik ausgeliefert zu sein. Dieses Ergebnis ist unabhängig von der Branche wie eine differenzierte Auswertung zeigt: In der Metallerzeugung und -bearbeitung berichten 42 Prozent der Betroffenen von einer steigenden Arbeitsbelastung, im Maschinen- und Fahrzeugbau sind es sogar 49 Prozent.

 

Digitalisierung im Sinne der Beschäftigten gestalten

Nicht die Technik an sich führt zu mehr oder weniger Belastung, sondern wie und wozu sie eingesetzt wird. Erst dadurch entscheidet sich, ob sich die Chancen oder Risiken durchsetzen. So eine Erkenntnis der Befragung. Bedeutet: Die Digitalisierung muss gestaltet werden. Nach Überzeugung der IG Metall sollte die Maßgabe sein, dass die Technik dem Menschen dient – und nicht umgekehrt. Die neuen Freiheiten, die digitale Techniken bieten, müssen im Sinne der Beschäftigten gestaltet werden. Nur so können die Chancen der Digitalisierung genutzt werden. Doch bei der aktuellen Befragung zeigt sich, dass bislang nur 27 Prozent von größeren Entscheidungsspielräumen profitieren. Für eine Mehrheit der Beschäftigten (60 Prozent) hat sich nichts geändert, 13 Prozent erleben eine Verringerung ihrer Entscheidungsspielräume.

 

Mobilarbeit ― bislang kein Qualitätsmerkmal

Mobilarbeit nimmt zu: 28 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Zuge der Digitalisierung vermehrt zu Hause oder unterwegs. Doch bisher ist Mobilarbeit kein Qualitätszeichen. Mobilarbeit hängt von den Bedingungen und Bedürfnissen ab, sie ist von unterschiedlicher Qualität und muss gestaltet werden.

Dass gute Regelungen möglich sind, zeigt die Regelung bei der Firma Thales. Dort hat der Betriebsrat durchgesetzt, dass die Arbeitszeituhr auch dann läuft, wenn unterwegs oder zuhause gearbeitet wird. Sämtliche Arbeitszeiten werden erfasst. Bei Thales tragen die Beschäftigten bei mobiler Arbeit online ihre Arbeitszeit ein. Für Mobilarbeit gelten die gleichen Regeln wie für die Arbeit im Betrieb: Gleitende Arbeitszeit zwischen 6und 20 Uhr von Montag bis Freitag, maximal sind 50 Stunden plus möglich. Diese Überstunden können die Thales-Beschäftigten individuell nach ihren Bedürfnissen abbauen, im Regelfall gibt es keine Samstags- oder Sonntagsarbeit und keine Mobilarbeit bei Urlaub, Krankheit oder Gleittagen.

Oder Audi. Beim Automobilhersteller gilt seit Oktober eine Betriebsvereinbarung, die sogenannte Tabuzeiten regelt. Zwischen 22 und 6 Uhr darf in der Regel nicht gearbeitet werden, ebenso wie an Sonn- und Feiertagen. So kommen Mitarbeiter gar nicht in die Verlegenheit, um Mitternacht auf eine Nachricht vom Chef reagieren zu müssen. Außerdem: Wenn die Tätigkeit es zulässt, darf jeder mobil arbeiten. Aber einen Zwang gibt es nicht. Jeder Betroffene kann die Arbeitsbelastung selbst auf ein gesundes Maß reduzieren.

In Zeiten der Digitalisierung wird Aus- und Weiterbildung immer wichtiger. Nur mit qualifizierten Beschäftigten ist der digitale Wandel zu bewältigen. Die IG Metall fordert, dass Weiterbildung über die gesamte Erwerbsbiografie selbstverständlich wird. So will die Gewerkschaft den Arbeitnehmern Teilhabe- und Entwicklungsmöglichkeiten in Zukunft sichern.

 

 

Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte weiterentwickeln

Zudem fordert die IG Metall, dass die bestehenden Schutzregelungen für Beschäftigte beachtet und die Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte weiterentwickelt werden. Die mit der Digitalisierung einhergehenden Gefährdungen für die Beschäftigten müssen erfasst und Maßnahmen zur gesundheitsgerechten Gestaltung getroffen werden. Digitalisierte Arbeitsformen erfordern mehr Partizipation, damit die Arbeitnehmer ihre Interessen frühzeitig geltend machen können. Denn nur mitbestimmte Arbeit ist Gute Arbeit.

In der Öffentlichkeit wird häufig der Eindruck erweckt, dass durch den Einsatz digitaler Techniken die Chancen und Risiken in der Arbeitswelt gleich verteilt sind. Der DGB-Index Gute Arbeit zeigt jedoch, dass es erheblichen Nachholbedarf gibt. Bestehende Schutzregelungen müssen eingehalten und ihre praktische Anwendung muss wo nötig unterstützt werden, daher fordert die IG Metall weiter eine Anti-Stress Verordnung.

Darüber hinaus braucht es gute betriebliche Regelungen, die den Beschäftigten mehr Freiräume aber auch mehr klare Haltelinien sichert. Ziel dieser Vereinbarungen muss es sein, dass die Mitarbeiter die Technik nach ihren Vorstellungen nutzen und die Arbeitsbelastung auf ein gesundes Maß reduzieren zu können.

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