DGB-Index Gute Arbeit
„Die Rente mit 67 ist ein Programm der Rentenkürzung“

Nur jeder zweite Beschäftigte erwartet, unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen seine Tätigkeit bis zum Rentenalter ausüben zu können. Das ist ein Ergebnis des aktuellen DGB-Index für Gute Arbeit. Klaus Pickshaus von der IG Metall sagt im Interview, dies sei ein Beleg dafür, dass die Rente mit ...

29. Juni 200929. 6. 2009


... 67 ein Rentenkürzungsprogramm ist.

Wie bewertest du die Ergebnisse des DGB-Index Gute Arbeit 2009?
Es gibt in der Bewertung durch die Beschäftigten dreimal so viel schlechte Arbeit wie gute. Das zeigt den anhaltend hohen Handlungsbedarf. Und: Nur jeder zweite Beschäftigte erwartet, unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen seine Tätigkeit bis zum Rentenalter ausüben zu können. Bei prekär Beschäftigten sind die Arbeitsbedingungen in allen Dimensionen sehr viel schlechter. Das alles sind Alarmzeichen – gerade auch angesichts eines zunehmenden Krisendrucks auf gute Arbeit.

Welche Veränderungen zu 2008 lassen sich beobachten?
Die zentralen Ergebnisse sind relativ stabil. Diese bemerkenswerte Konstanz deutet auch darauf hin, dass sich die Beschäftigten in ihrem Urteil über Arbeitsbedingungen sehr sicher sind, die sich im nationalen Maßstab nach allen Erfahrungen eher langsam wandeln. Wir haben jedes Mal bei den Befragungen aber auch Zusatzfragen zu wichtigen Feldern. Dieses Jahr waren das Fragen zur Altersversorgung, zu Arbeitszeiten und Leistungsbedingungen oder dem Phänomen des „Präsentismus“ – das heißt den Antrieb, auch krank zur Arbeit zu gehen.

Welche Ergebnisse sind hierzu bemerkenswert?
Da möchte ich drei Punkte andeuten. Im Report ist das alles ausführlich nachzulesen. Erster Punkt: 40 Prozent der Beschäftigten werden von ihrer Rente nicht leben können. Und eine zusätzliche Altersvorsorge, wie sie die Politik favorisiert, ist für eine Mehrheit der Beschäftigten in den unteren Einkommensgruppen vielfach gar nicht oder nicht ausreichend möglich. Ein eindeutiges Urteil zur Rentenpolitik. Zweitens: Bei den Arbeitszeiten wird ein Befund erhärtet: Die Vollzeit-Beschäftigten arbeiten im Durchschnitt mittlerweile 44 Stunden und wünschen viel kürzere Arbeitszeiten. Drittens: Schon die Krankenkassen haben darauf hingewiesen, dass viele Beschäftigte auch krank zur Arbeit gehen. Die repräsentativen Ergebnisse zeigen: fast 80 Prozent der Beschäftigten sind in den letzten zwölf Monate mindestens einmal krank zur Arbeit gegangen, 50 Prozent sogar mehrmals.

Lässt sich die Wirtschaftskrise schon in den Ergebnissen ablesen?
Nein, noch nicht, denn die Befragung wurde im Januar und Februar 2009 durchgeführt, als die Krise noch nicht in ihrem Ausmaß und auch nicht in allen Branchen gegenwärtig war. Erst die nächste Befragung Anfang 2010 wird dies genauer ermitteln. Allerdings ist schon jetzt der Anteil derjenigen, die gar keine Angst um ihre berufliche Zukunft haben, von 31 auf 25 Prozent gesunken. Und es gibt Befunde zur Arbeitsplatzangst als Druckfaktor: Beschäftigte, die Jobangst haben, gehen sehr viel häufiger (70 Prozent) mehrmals im Jahr krank zur Arbeit, was im Durchschnitt jeder zweite macht.

Wie reagiert die Politik auf die Umfrage?
Die offizielle Politik schweigt trotz der großen Resonanz des DGB-Index Gute Arbeit. Aber die neue Diskussion über ein mögliches Aussetzen der Rente mit 67 wird natürlich mit den ernüchternden Befunden des Index zur Arbeitsfähigkeit bis zur Rente und zur Altersarmut befördert. Sie unterstreichen, dass die Rente mit 67 ein Rentenkürzungsprogramm ist. Und unsere Forderung nach einer „Beschäftigungsbrücke“ erhält zusätzliches Argumentationsmaterial.

Die Arbeitgeber stellen den Index in Frage
Einige Verbandsvertreter der Arbeitgeber sagen, es handele sich bei den Befunden des DGB-Index „nur“ um subjektive Urteile der Beschäftigten, nicht um „objektive“ Qualitätsmerkmale. Wir sagen: Die Beschäftigten kennen ihre Arbeit am besten. Darum ist ihr Urteil unbedingt ernst zu nehmen. Wir haben immer gesagt: Der Index ist ein Maßstab für die Qualität der Arbeit aus Sicht der Beschäftigten, nicht aus Sicht der Arbeitgeber.
Es wird auch die Repräsentativität der Aussagen bezweifelt, was völliger Unsinn ist. Das seriöse Institut Infratest hat in unserem Auftrag fast 8000 Beschäftigte aus allen Regionen, Einkommensklassen, Branchen, Betriebsgrößen, undsoweiter, befragt. Der DGB-Index Gute Arbeit ist damit repräsentativ für das Urteil der Arbeitnehmerschaft über ihre Arbeitsbedingungen. Wir leisten damit in Eigenregie einen beachtlichen Beitrag zu einer regelmäßigen Arbeitsberichterstattung, was eigentlich zu den Aufgaben eines Sozialstaats gehört.

Was kann die IG Metall, was können Betriebsräte und Vertrauensleute machen
Wir nutzen den DGB-Index Gute Arbeit im Rahmen der Initiative Gute Arbeit der IG Metall, um das Feld der Qualität der Arbeit stärker zu gewichten – in der gesellschaftlichen Diskussion und in den betrieblichen Auseinandersetzungen. Betriebsräte können den Index auch in ihrem Unternehmen einsetzen und damit die betrieblichen Ergebnisse mit denen der Branche und der Gesamtheit vergleichen. Dort wo dies geschehen ist, ergeben sich vielfältige Handlungsansätze zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Unser Funktionsbereich Gesundheitsschutz und Arbeitsgestaltung kann zu solchen betrieblichen Anwendungen beraten und eine Begleitung sicherstellen.

Die nächsten Betriebsratswahlen stehen unter dem Motto „Kompetenz für Gute Arbeit wählen!“ Da liegt doch die Nutzung des DGB-Index Gute Arbeit auf der Hand.

Aber setzt die Wirtschaftskrise nicht andere Themen auf die Top-Agenda?
Natürlich steht jetzt die Beschäftigungssicherung im Vordergrund. Interessant ist aber doch, welch enormes Medienecho die Vorstellung des DGB-Index Gute Arbeit mitten in der Wirtschaftskrise erfahren hat. Das Thema der Gesundheit und Qualität der Arbeit ist überhaupt ständig präsent, wie auch der Kita-Streik um verbesserte Arbeitsbedingungen für ErzieherInnen belegt. Für die Beschäftigten ist Erhalt von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit gerade angesichts der Arbeitsmarktsituation ein zentrales Anliegen.

Ich denke, dass der Umgang mit der lebendigen Arbeit zu einem wichtigen Bestandteil einer Krisenbekämpfung wird: Bleibt es bei einem verschleißenden Umgang unter den Imperativen der Kurzfristökonomie oder gelingt es, einen nachhaltigen, gesundheitsfördernden Umgang zu etablieren. Der DGB-Index Gute Arbeit gibt hierfür viele Anregungen. Gute Arbeit muss ein qualitatives Element einer Krisenüberwindung aus Beschäftigtenperspektive sein.

Hat sich in den Betrieben wegen des Indexes auch was zum Positiven verändert? Gibt es Beispiele?
Der Index ist zum Thema vieler Aktivitäten für gesunde und gute Arbeit in den Betrieben geworden. Allerdings gibt es noch viel zu wenige Betriebe, in denen der Index selbst als Potenzialanalyse für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen eingesetzt wird.

Welche Forderungen hast du an die Politik?
Die Ergebnisse des Index 2009 vermitteln zwei klare Botschaften: Zum einen wird klar, dass die Rente mit 67 ein Programm der Rentenkürzung ist. Sie wird wahrgenommen, als Abstrafung vor allem derjenigen, die unter schlechten Arbeitsbedingungen nicht mal das bisherige Renteneintrittsalter erreichen. Angesichts der Wirtschaftskrise ist die Rente mit 67 besonders absurd.

Zum anderen benötigen wir von der Politik eine kräftig unterstützte Initiative zur Humanisierung der Arbeit mit ausreichenden Ressourcen. Die Shareholder-Value-Ökonomie ist desavouiert. Aber wir benötigen jetzt Initiativen für eine unternehmenspolitische Umsteuerung. Die von Olaf Scholz ausgerufene Initiative „Neue Kultur der Arbeit“ ist dazu bisher nicht in der Lage. Hier muss nachgebessert werden.

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