Freihandelsabkommen mit den USA
Wie TTIP die Demokratie untergräbt

Das geplante Freihandelsabkommen TTIP soll Investoren das Recht geben, Staaten zu verklagen. Das kostet nicht nur viel Steuergeld – es ist auch ein Angriff auf die Demokratie.

6. Oktober 20156. 10. 2015


Eigentlich müsste die Bundesregierung gewarnt sein: Noch immer hat sie die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall am Hals. Die Schweden fordern 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz von der Bundesrepublik. Auf diese Summe beziffert Vattenfall die entgangenen Gewinne durch den deutschen Atomausstieg. Nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima ließ die Regierung die Vattenfall-AKW Krümmel und Brunsbüttel stilllegen.

Ob Vattenfall vor dem internationalen Schiedsgericht in Washington (ICSID) mit seiner Klage durchkommt, ist offen. Doch schon jetzt bezahlen die deutschen Steuerzahler Anwaltskosten in Millionenhöhe.

Der Fall gibt einen Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn private Unternehmen den Staat auf die Anklagebank zwingen. Es kann dann sehr teuer werden. Das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU soll es möglich machen: Konzerne dürfen Regierungen vor Schieds- oder Handelsgerichten verklagen, und sich damit außerhalb des normalen Rechtssystems stellen. Die Bundesregierung will TTIP durchdrücken.

Im Video: IG Metall-Vorsitzender Detlef Wetzel über TTIP

Staat gegen Konzern

Was die Schiedsgerichte für die Arbeitswelt bedeuten, zeigt ein Fall aus Rumänien. Dort zerrte der US-amerikanische Rohstoffkonzern Noble Ventures die Regierung vor Gericht. Das Unternehmen hatte in ein Stahlwerk investiert, das zuvor in Staatsbesitz war. Die Beschäftigten protestierten, es gab Streiks. Noble Ventures forderte Schadenersatz für den Arbeitsausfall. Das Argument der Konzern-Anwälte: Der rumänische Staat habe die Firma nicht ausreichend vor möglichen Streiks gewarnt.

In diesem Fall unterlag der Konzern. Durch TTIP könnte die Position ausländischer Investoren jedoch entscheidend gestärkt werden. Deutschland und andere EU-Staaten müssten sich auf vermehrte Klagen einstellen.

Gelähmte Demokratie

Dadurch entstehen nicht nur große finanzielle Risiken für die Staatshaushalte. Die Schiedsgericht-Klagen untergraben auch die Demokratie. Schließlich gehört es zu den elementaren Rechten eines Parlaments, Regeln für das Zusammenleben aufzustellen. Dabei sollte das Gemeinwohl höher bewertet werden als die Profitinteressen einzelner Unternehmen. Kommen die Volksvertreter zu dem Schluss, dass der Betrieb von Atomkraftwerken nicht mehr vertretbar ist, so muss diese demokratische Entscheidung auch Geltung haben.

Die Gefahr ist jedoch groß, dass Politiker vor notwendigen Regulierungen zurückschrecken, wenn ständig das Damoklesschwert drohender Milliardenklagen über ihnen schwebt. Experten sprechen vom sogenannten „Regulatory Chill“, einer „Lähmung“ des Gesetzgebers.

Durch die Hintertür

Diese „Lähmung“ könnte sogar eintreten, wenn die TTIP-Regeln zum Investorenschutz doch noch geändert werden – und die umstrittenen Schiedsgerichte durch einen internationalen Handelsgerichtshof ersetzt werden. Die EU-Kommission hat dazu einen Vorschlag für ein reformiertes Investitionsschutzkapitel vorgelegt.

Nach wie vor ist außerdem umstritten, ob US-Konzerne die Investitionsschutzregelungen im Rahmen von CETA als Hintertür nutzen könnten. CETA ist das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Es enthält Klagemöglichkeiten vor privaten Schiedsgerichten. Daran will EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström nicht rütteln.

CETA könnte damit zum juristischen Einfallstor werden. Bei entsprechender Auslegung des Vertragstextes bräuchten Unternehmen lediglich einen Standort oder „substanzielles Geschäft“ in Kanada. Dann stünde ihnen der Klageweg offen. US-Konzerne könnten diesen Umweg nutzen, sollte TTIP, das geplante Abkommen zwischen EU und den Vereinigten Staaten, keine Klauseln zum Investorenschutz enthalten.

Wieder säße der Staat auf der Anklagebank – und demokratische Entscheidungen stünden auf der Kippe.

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