Ausblick auf das Tarifjahr 2011
Aufschwung für alle

Das neue Jahr beginnt für die IG Metall mit Tarifverhandlungen bei Volkswagen und in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Dabei geht es vor allem um höhere Entgelte. Warum Bescheidenheit jetzt überhaupt nicht angebracht ist, erläutert Helga Schwitzer im Gespräch mit der Redaktion.

24. Januar 201124. 1. 2011


Die IG Metall fordert bei VW um sechs Prozent höhere Entgelte. Die Arbeitgeber raten ihnen, sich am Abschluss des letzten Jahres für die Metallindustrie zu orientieren. Die Metall-Beschäftigten bekommen dieses Jahr 2,7 Prozent mehr Geld.
Helga Schwitzer: Bescheidenheit ist jetzt überhaupt nicht angebracht. Die Konjunktur brummt. Gerade in der Autoindustrie, wo die Konzerne wieder Sonderschichten fahren. VW hatte schon die Krise kaum gespürt und steht jetzt ausgezeichnet da. Insofern haben die Belegschaften allen Grund, sehr selbstbewusst in diese Tarifrunde zu gehen und ihren Anteil am Unternehmensaufschwung einzufordern.

Für die Beschäftigten in der Textil- und Bekleidungsindustrie fordert die IG Metall fünf Prozent. Warum weniger als bei VW?
Schwitzer: Weil die wirtschaftliche Situation in den Textilbranchen sehr viel differenzierter ist. Es gibt Unternehmen, denen es wirtschaftlich gut geht, aber auch einige, die noch schwächeln. Dem trägt die Forderung Rechnung. Aber wir brauchen auch in diesen Branchen kräftige Lohnerhöhungen. In den Textil- und Bekleidungsfirmen hinken die Entgelte der Beschäftigten hinter denen anderer Branchen her.

In der Metallindustrie steigen die Einkommen im April um 2,7 Prozent. Das war schon im Tarifabschluss des vergangenen Jahres vereinbart worden, der unter dem Eindruck der Krise abgeschlossen worden war. Damals wurde aber auch festgelegt: Betriebe, denen es wirtschaftlich gut geht, müssen die Tariferhöhung um zwei Monate vorziehen. Wie viele Beschäftigte erhalten denn schon im Februar mehr Geld?
Schwitzer:
Zurzeit haben mehr als 40 Prozent der Beschäftigten die Zusage, dass sie die Tariferhöhung früher bekommen. Aber wir erhalten tägliche neue Meldungen. Ich schätze, es werden noch einige Betriebe dazu kommen. Und wenn sich Unternehmen trotz guter Zahlen verweigern, werden Betriebsräte und Beschäftigte Druck machen. Das Motto ist: Wer kann, der muss.

Die nächste Tarifrunde steht in der Metallindustrie erst 2012 an. In der Holz- und Kunststoffindustrie wird aber dieses Jahr verhandelt. Was wird da gefordert?
Schwitzer:
Das ist noch offen. Wir sind erst am Anfang der Diskussion. Die konkrete Forderung wollen wir im März beschließen. Der Möbelindustrie geht es gut: Die Hersteller rechnen dieses Jahr mit einem Umsatzplus von zwei bis drei Prozent. Aber auch in den Holz- und Kunststoffbetrieben ist die Lage unterschiedlich.

Wissenschaftler und sogar Politiker der FDP haben in jüngster Zeit erklärt, die Löhne und Gehälter müssten kräftig steigen. Jetzt mahnt Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt „moderate“ Lohnabschlüsse an. Die Wirtschaft sei noch lange nicht aus der Krise.
Schwitzer:
Das ist die übliche Leier der Arbeitgeber vor Tarifrunden. Glaubt man ihr, kommen Lohnerhöhungen immer zur falschen Zeit. In Abschwungphasen verstärken sie den Abschwung. Im Aufschwung gefährden sie diesen. Gottseidank spielen die meisten profilierten Wissenschaftler nicht mit. Sie sagen, kräftige Entgelterhöhungen sind in der derzeitigen wirtschaftlichen Aufschwungphase finanzierbar. Außerdem sind sie gerecht, weil die Schere zwischen Löhnen und Gehältern einerseits und Gewinnen andererseits wieder stark auseinandergeht.
Hinzu kommt, dass die Reallöhne in kaum einem anderen Industrieland in den letzten Jahren so wenig gestiegen sind wie in Deutschland. In einigen Branchen gab es sogar Reallohnverluste. Darin liegt eine Ursache für die schwache Inlandsnachfrage. Die einseitig exportorientierte deutsche Wirtschaft ist dadurch so krisenanfällig geworden. Wir brauchen mehr Binnennachfrage. Auf zwei Beinen hält der Aufschwung länger durch.

Geht es in den Tarifrunden in diesem Jahr nur um Geld oder auch um „qualitative“ Forderungen?
Schwitzer:
Wir konzentrieren uns auf höhere Entgelte. Weil wir, wie ich eben erläutert habe, beim Geld aus unterschiedlichen Gründen Nachholbedarf haben. Das heißt aber nicht, dass qualitative Aspekte für uns dieses Jahr kein Thema sind. Wir werden intensiv weiter diskutieren, wie wir mit der Tatsache umgehen, dass die Belegschaften altern. Wie wir das Problem ausufernder Arbeitszeiten, vor allem bei hoch Qualifizierten wie Ingenieuren, lösen. Und wie wir den steigenden Leistungsdruck und Stress, sowohl bei Angestellten als auch in der Produktion, abbauen können. Dabei wird auch ein wichtiges Thema sein, wie Arbeit und Privatleben besser vereinbart werden können. Es geht um kreative Arbeitszeitpolitik. Und natürlich Qualifizierung.

Was die Weiterbildung angeht, spielt die aktuelle Diskussion über Fachkräftemangel der IG Metall doch in die Hände.
Schwitzer:
Das stimmt. Wenn Unternehmen wirklich Fachkräftemangel haben und ihn ernsthaft beheben wollen, müssen sie ein Interesse haben, mit uns Verbesserungen zu vereinbaren. Den Fachkräftemangel müssen wir auch nutzen um zu erreichen, dass mehr Betriebe die Tarifverträge anwenden. In Ostdeutschland hat sich gezeigt, dass Firmen, die sich der Tarifbindung entziehen und damit keine attraktiven Entgelte und Arbeitsbedingungen bieten, keine geeigneten Beschäftigten mehr finden. Darum gibt es dort starke Tendenzen, in die Tarifbindung zurückzukehren oder der IG Metall anzubieten, Tarifverträge abzuschließen. Diese aktuelle Situation müssen wir für Offensiven nutzen, um die Bindung von Firmen an die Flächentarifverträge zu stärken.

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