Aktionstag in der Stahlindustrie
Warum Stahl-Deutschland jetzt protestiert

Heute gehen Deutschlands Stahlarbeiter bundesweit auf die Straße. Sie fordern Hilfe im Kampf gegen Dumping-Konkurrenz und CO2-Auflagen. Die Branche erlebt ein Schicksalsjahr. Geht sie unter, würde der Industriestandort schweren Schaden nehmen.

11. April 201611. 4. 2016


Uwe Jahn ist kein Mathematiker, aber was die Pläne der EU-Kommission für seinen Betrieb bedeuten, kann er sich genau ausrechnen. Die Brüsseler Beamten wollen erreichen, dass Europas Stahlindustrie mehr Geld für Emissionsrechte ausgeben muss, für sogenannte CO2-Zertifikate. Jahn, langjähriger Betriebsratschef beim Schmiedewerk Gröditz, kalkuliert nun so: „Wird der Emissionshandel wie geplant reformiert und fällt die Befreiung von der EEG-Umlage weg, dann würde das unser Stahlwerk zehn Millionen Euro kosten. Das entspricht exakt unserem Jahresergebnis.“

Unter dem Strich bliebe also kein Geld mehr übrig. „Das würde einen Investitionsstopp bedeuten“, sagt der 56-Jährige. Ein Sterben auf Raten.

Um diesen Tod zu verhindern, wird Jahn heute auf die Straße gehen – so wie zehntausende seiner Kolleginnen und Kollegen. Die IG Metall ruft bundesweit zu einem Aktionstag auf. In Duisburg, Berlin, Völklingen, Dillingen und anderen Standorten werden die Stahl-Beschäftigten die Politik zum Handeln auffordern. Zur größten Kundgebung vor dem thyssenkrupp Werk in Duisburg wird auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erwartet.

 

Nichts gewonnen

Der Minister dürfte dann vor allem ein Argument zu hören bekommen: Dass die EU-Kommission mit der geplanten Reform des CO2-Handels weit übers Ziel hinausschießt. Allein für die Stahlindustrie in Deutschland läge die Mehrbelastung bei einer Milliarde Euro pro Jahr. Das entspricht dem jährlichen Investitionsvolumen. Sollte die deutsche Stahlindustrie wegen überharter Umweltauflagen zugrunde gehen, wäre das eine tragische Ironie: Die Stahlwerke in Deutschland gehören zu den umweltverträglichsten weltweit. Pro Tonne produziertem Stahl fallen hierzulande nur 1,5 Tonnen CO2 an, in China sind es 1,8 Tonnen. Seit vielen Jahren geben hiesige Stahlkocher viel Geld für Effizienz-Maßnahmen aus.
Kaum verwunderlich, dass sich in den Stahl-Belegschaften Frust breitmacht. „Wir Arbeitnehmervertreter drängen immer darauf, dass massiv in Umweltschutz investiert wird“, sagt Günter Back, Betriebsratsvorsitzender bei thyssenkrupp Duisburg-Hamborn. „Umso bitterer reagieren Stahlbeschäftigte, wenn sie befürchten müssen, dass die deutsche und europäische Klimapolitik ausgerechnet die Existenz der weltweit saubersten Stahlproduzenten bedroht.“

 

Schlechtes Timing

Die EU-Pläne kommen für Europas Stahlkocher zur Unzeit: Die Branche leidet unter einem dramatischen Verfall der Stahlpreise. Im Jahr 2015 brach der Preis für eine Tonne Warmband-Stahl von 418 auf 319 Euro ein. Eine der Ursachen: China hat mit staatlicher Unterstützung gewaltige Überkapazitäten aufgebaut. Nun beliefert das Land den Weltmarkt mit Billig-Stahl. Die Importe in die EU haben sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt.
Stephan Ahr, Betriebsrat-Chef bei Saarstahl in Völklingen, spricht von einem Existenzkampf: „China will Europas Stahlhersteller mit Preisdumping in die Knie zwingen und eine globale Monopolstellung einnehmen“, warnt er. „Bei der Solarbranche haben wir das schon erlebt. Das gilt es im Stahl abzuwehren.“ Ahr hat eine klare Forderung an die Politik: „Die EU muss uns schützen. Wir brauchen fairen Handel weltweit.“

In Ahrs Heimat, der traditionellen Stahlregion Saarland, ist die Solidarität mit der Branche groß. Fußball- und Handball-Vereine demonstrieren mit „Stahl ist Zukunft“-Transparenten. Im Städtchen Wadgassen präsentierte sich die freiwillige Feuerwehr mit 15 Fahrzeugen und rund 50 Aktiven und proklamierte: „Ohne Stahl hat das Saarland keine Zukunft“.
Wie im ganzen Bundesgebiet sammeln Metallerinnen und Metaller seit Wochen Unterschriften für den Erhalt der Stahlindustrie und mobilisieren für den heutigen Aktionstag.

 

Fataler Effekt

An einem Erhalt der Stahlindustrie müssen nicht nur die Beschäftigten der Branche interessiert sein. Eine Schwächung würde dem Standort Deutschland insgesamt schaden. Die Stahlindustrie ist eng mit anderen Industriebranchen verzahnt, sie liefert maßgeschneiderte Vorprodukte. Auch Handel und Gastgewerbe würde ein Aus der Stahlbranche schwer treffen. Insgesamt bedrohen die EU-Pläne allein in Deutschland rund 500 000 Arbeitsplätze.

Bevor Politiker in Brüssel und Berlin solche Verwerfungen auslösen, sollten sie noch einmal genau nachrechnen.

Neu auf igmetall.de

Newsletter bestellen