Bundesjugendsekretär Leiderer zum Tarifkonflikt
„Die Arbeitgeber müssen jetzt aufwachen“

Zehntausende IG Metall-Azubis sind täglich für die unbefristete Übernahme auf den Beinen. Und die IG Metall Jugend wird nicht locker lassen, macht Bundesjugendsekretär Eric Leiderer klar. Denn die Übernahme in feste Arbeitsverträge per Tarifvertrag ist machbar und vernünftig.

10. Mai 201210. 5. 2012


Eric, die IG Metall will die unbefristete Übernahme für Azubis nach der Ausbildung in der Tarifrunde durchsetzen. Die meisten Azubis erleben ihre erste Tarifrunde und ihre ersten Warnstreiks. Wie sieht es denn derzeit aus? Wie viele sind dabei?
Was da gerade abläuft, ist einfach nur super. Ich bin schwer beeindruckt. Wir hatten in den letzten Wochen fast 300 Jugend-Aktionen, von der Küste bis zu den Alpen. Ich selbst war gerade in Ingolstadt und Stuttgart. Hier habe ich in tausende entschlossene Gesichter von Auszubildenden geblickt. Gemeinsam sind wir richtig stark. Aber: Um der Forderung nach unbefristeter Übernahme noch stärker Nachdruck zu verleihen, müssen wir noch einmal alles geben. Die Arbeitgeber schauen sehr genau hin. Unsere „Operation Übernahme“ muss nun zum Endspurt anziehen. Jetzt geht es um alles. Jetzt zählt jeder Kopf draußen vor den Werkstoren.

 

Die Arbeitgeber schauen genau hin, wie stark wir sind, sagst Du. Gibt es denn von denen keine neuen Signale zur unbefristeten Übernahme?

Die Arbeitgeber mauern weiter. Die einberufene Expertenkommission ist jetzt ein erster Hoffnungsschimmer. Aber Fakt ist: Bisher lehnen die Arbeitgeber unsere Tarif-Forderung nach unbefristeter Übernahme kategorisch ab. Es ist seit Wochen dieselbe Leier: Sie drohen mit zahllosen und an den Haaren herbeigezogenen Horrorszenarien ― und nennen die IG Metall realitätsfremd. Dabei sind es doch ganz offensichtlich die Arbeitgeber selbst, die nicht sehen was da draußen in den Betrieben passiert.

 

Du sagst, die Arbeitgeber reden an der Realität vorbei. Wie sieht die Realität bei der Übernahme denn aus?

Wir können mit Umfragen belegen, dass zwei Drittel der Azubis nur befristet oder gar nicht nach der Ausbildung übernommen werden. Dazu kommen ganz aktuelle Zahlen aus dem Berufsbildungsbericht, die heute durch den Bundestag gingen: 35 Prozent der Betriebe finden bereits nicht mehr genug Ausbildungsbewerber, um ihre Stellen zu besetzen. Wir sind schon mittendrin im Fachkräftemangel. Und in den nächsten Jahren soll es noch schwieriger werden. Anstatt nur über den Fachkräftemangel zu jammern, sollten die Arbeitgeber endlich aufwachen und etwas dagegen unternehmen: Wer gute Leute will, muss ihnen auch eine Perspektive bieten. Im kommenden Herbst werden durch den Rückgang der Schulabgänger 90.000 Ausbildungsplätze in Industrie, Handel und Handwerk unbesetzt bleiben. Und der Bewerbermangel ist der Vorbote für den Fachkräftemangel von morgen. Davor warnt sogar der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann. Wir müssen unsere Metallbetriebe attraktiver machen. Etwa durch eine unbefristete Übernahmegarantie. Wer das nicht sieht, ist mehr als realitätsfremd.

 

Wenn alle Fakten für die unbefristete Übernahme sprechen, warum sperren sich die Arbeitgeber dann dagegen?
Sie wollen einfach Arbeitskräfte möglichst billig ― und trotzdem auf einer hohen Qualitätsstufe. Zahlen der Arbeitsagentur belegen: Die Hälfte aller prekär Beschäftigten hat eine abgeschlossene Berufsausbildung, bei den Leihbeschäftigten sind es sogar 70 Prozent mit Berufsabschluss. Und wir wissen: Das sind meistens junge Menschen. Gleichzeitig prophezeit der Vorstand des Leiharbeits-Branchenriesen Adecco, dass der Anteil der Arbeitnehmer in Zeitarbeit sich bis 2020 verdoppeln kann. So kann es doch nicht weitergehen. Die junge Generation von heute hat ein Recht auf die gleichen Chancen wie die Generationen vor ihr: Azubis sollen nach der Ausbildung in ein ganz normales Arbeitsverhältnis übernommen werden, statt in endlose prekäre Schleifen aus Befristungen und Leiharbeit.

 

Wie sieht denn die Öffentlichkeit den Tarifkonflikt die unbefristete Übernahme? Wie kommt die „Operation Übernahme“ der IG Metall Jugend draußen an?
So ein Echo habe ich noch nie erlebt. Wir kommen gar nicht mehr nach, die Berichte in den Medien zu dokumentieren. Ob in der Tagesschau oder in der Presse ― bis hin zum Dorfblatt: Überall wird über die IG Metall Jugend und über ihre Aktionen für die unbefristete Übernahme berichtet. Und auch im Internet rollt die Operation Übernahme: Auf Facebook haben wir mittlerweile rund 11.000 Fans. Zur Zeit erreichen wir jede Woche fast 500.000 Menschen, zeitweise greifen über eine Million Nutzer auf unsere Beiträge zu. Sie alle sympathisieren mit unseren Forderungen. Presse, Fernsehen, Radio, Internet ― wir sind überall. Und werden sehr ernst genommen.

 

Was sollen die Arbeitgeber also machen? Ist die unbefristete Übernahme wirklich so schwierig in den Betrieben umzusetzen? Wie kann eine Lösung aussehen?
Wir haben längst Regelungen zur unbefristeten Übernahme in vielen Betrieben ― und seit einigen Monaten auch in den Tarifverträgen in der Stahlindustrie. Und dort sind schließlich auch Ausweichlösungen vereinbart, etwa wenn es dem Betrieb schlecht geht oder Azubis über Bedarf an Bord sind. Lösungswege sind vorhanden. Doch letztlich geht es den Arbeitgebern um ihr Hoheitsrecht. Die Art, wie sie bestimmen wollen, wer und vor allem wie eingestellt wird ist nicht mehr zeitgemäß. Dieses autoritäre „Herr im Hause“-Denken hat in der Realität des einundzwanzigsten Jahrhundert nichts mehr zu suchen. Daher appelliere ich an die Arbeitgeber: Erkennt die Zeichen der Zeit. Es geht um Euer Überleben. Sichert Euch die Fachkräfte ― und der jungen Generation eine Perspektive für die Zukunft.

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