Schritte aus dem Shut-Down

Deutschland beendet den Stillstand. Langsam und vorsichtig: Denn SARS-CoV-2 ist nicht aus der Welt. Was ist jetzt wichtig? Wie geht es den Branchen? Wie funktioniert das Wiederhochfahren unter strengen Schutzmaßnahmen? Der Überblick.

1. Juni 20201. 6. 2020
Simon Che Berberich, Christoph Böckmann, Jan Chaberny, Dirk Erb, Martina Helmerich


Die Bänder laufen wieder. Die Industrieproduktion erwacht. Ein Stück Normalität ist zurückerobert. Unter den Autoherstellern machte VW den Anfang. BMW, Daimler, Ford, Opel und Porsche folgten. Eigentlich ist das Stilllegen der Produktion und Wiederanfahren in der Branche eine bekannte Übung. Sie findet in vielen Werkshallen jedes Jahr sogar mehrmals statt und nennt sich „Betriebsferien“. Doch diesmal war nicht Urlaub, sondern die Coronapandemie der Grund für den Stopp. Und damit war alles anders. Gleich geblieben ist: Die produktionsfreie Zeit haben viele Betriebe genutzt, um Maschinen zu warten und neue zu installieren.

Der große Unterschied zeigte sich aber beim Wiederanfahren. Es war ein Anfahren am Berg und lief deutlich langsamer und unter besonderen Mühen. Im Drei-Schicht-Betrieb befinden sich so erst einige Werke. Vielerorts gibt es bislang nur eine Schicht – und die ist oft um 10 bis 50 Prozent langsamer getaketet. Die Gründe dafür:

Zum einen waren und sind Vorprodukte, zum Beispiel aus Italien, teilweise noch schwer zu bekommen. Beispiel Porsche: Im Stammwerk Zuffenhausen sowie in Leipzig standen die Bänder länger still als geplant. Denn die Lieferkette war auch Ende April noch unterbrochen. So konnte es erst Anfang Mai wieder losgehen.


IG Metall für Konjunkturpaket

Zum anderen ist es teilweise wirtschaftlich gar nicht nötig beziehungsweise sinnvoll, die Produktion wieder auf 100 Prozent zu fahren. Bei vielen Herstellern und Autohäusern ist der Hof voll mit Neuwagen. Doch es fehlt an Käufern. Die Nachfrage ist massiv eingebrochen. Zwar dürfen die Autohäuser ihre Pforten wieder öffnen. Doch Kundschaft ist selten. In Krisenzeiten überlegt sich jeder zweimal, ob sie oder er sich das neue Auto leisten kann. Allein im April brachen die Neuzulassungen bei Pkws um mehr als 60 Prozent ein. Auch in der näheren Zukunft rechnen Zulieferer wie Hersteller nicht mit einem sich rasch erholenden Markt. Kürzlich luden die Konzernchefs von Daimler, VW und Bosch zur virtuellen Pressekonferenzen und gaben jeweils den gleichen Ausblick: Das Jahr ist für die Katz. Die Einschätzung passt zu den Prognosen der Wirtschaftsexperten: Sie gehen von einem Rückgang des weltweiten Umsatzes am Pkw-Markt von 17 Prozent aus. So musste VW seine gerade angelaufene Produktion wegen fehlender Nachfrage bereits wieder drosseln. Die IG Metall fordert, dass die Bundesregierung ein umfassendes Konjunkturpaket auflegt.

Vor allem ein Grund macht das Wiederanfahren besonders: Nicht Effizienz und Produktivität, sondern der Gesundheitsschutz steht im Vordergrund. Die IG Metall und die Betriebsräte haben dafür gesorgt, dass die Produktion so läuft, dass das Infektionsrisiko minimiert ist. „Wir nehmen Umwege in Kauf, produzieren langsamer und produzieren im Zweifel lieber ein Fahrzeug weniger“, erklärt VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh das Vorgehen bei VW. Mehr als 100 Maßnahmen haben Osterloh und seine Kolleginnen und Kollegen bei Volkswagen durchgesetzt, um die Belegschaft zu schützen.


Beschäftigte schützen

Überall in der Republik fahren die Unternehmen ihre Produktion hoch. Überall müssen die Beschäftigten geschützt werden. Dem Betriebsrat kommt eine entscheidende Rolle zu.

?Vorbereitet ist alles. Wochenlang hat Betriebsrat Andreas Krause mit seinem Team und der Geschäftsführung darauf hingearbeitet. Sie haben Schutzmaßnahmen diskutiert, zusammen dafür gesorgt, dass es Masken für die Beschäftigten gibt, dass ausreichend Desinfektionsmittel vorhanden sind. Sie haben Pausen gestaffelt, den Kantinenbetrieb neu organisiert. Wirklich sicher aber, sagt Krause, wirklich sicher waren sie sich nicht. „Wir haben uns gut vorbereitet“, sagt der Betriebsrat von Daimler am Standort Berlin. „Nun müssen wir schauen, wie die Maßnahmen wirken. Ob sie genügen. Und wo wir nachsteuern müssen.“

Überall in der Republik fahren die Unternehmen ihre Produktion hoch. Überall kehren Beschäftigte zurück in die Werkshallen, Fertigungsstätten und Büros. Überall müssen die Kolleginnen und Kollegen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus geschützt werden. „Der Schutz der Gesundheit hat oberste Priorität“, sagt Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und zuständig für Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz. „Die Arbeitgeber haben die Verantwortung, die Arbeit so zu organisieren und technische Mittel so zu nutzen, dass die Abstands- und Hygieneanforderungen eingehalten werden. Dem Betriebsrat kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Er hat ein initiatives Mitbestimmungsrecht bei der Gefährdungsbeurteilung und bei der Auswahl von Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen. Die Umsetzung von wirksamen Präventionskonzepten ist das Gebot der Stunde.“ Abstand halten, Hände waschen, wenig sozialer Kontakt: Was soll daran schwer sein? „Daran ist nichts schwer, wenn plötzlich nur ein Drittel der Mannschaft vor Ort ist“, sagt Andreas Krause. Im Vollbetrieb aber sehe das anders aus.

Bei Daimler Berlin arbeiten rund 2500 Menschen, 1300 von ihnen in der Komponentenfertigung. Die Beschäftigten stellen hauptsächlich Nockenwellen und Aggregate her. „Wir haben im Gesamtbetriebsrat ein Bündel von Maßnahmen entwickelt, die an allen Standorten umgesetzt werden“, sagt Andreas Krause. Sie folgen der Logik, dass technische und organisatorische Lösungen immer personenbezogenen Schutzmaßnahmen vorgezogen werden.


Infektionsgefahr minimieren

Das bedeutet: Die Beschäftigten sind in der Produktion dort, wo es nötig ist, durch Plexiglaswände geschützt. Es gibt eine Höchstbesetzung für Umkleiden und Waschräume. Die Schichten wurden so entzerrt, dass sich die Teams nicht mehr begegnen.

„Wir konnten in der Produktion vieles umsetzen“, erklärt Krause. „Aber wir müssen auch an die Beschäftigten im indirekten Bereich denken.“

Darüber, wie die Kolleginnen und Kollegen in den Büros geschützt werden können, ist Alf van de Wetering im Austausch mit seinem Team. Der 50-Jährige ist Betriebsrat bei Siemens Energy, rund 4500 Menschen sind am Standort Mülheim an der Ruhr beschäftigt, rund 600 von ihnen in der Fertigung. Die anderen arbeitet in Büros. „Dort ist es nicht immer leicht, den Mindestabstand einzuhalten“, sagt van de Wetering.

In den vergangenen Wochen waren knapp 80 Prozent der Angestellten im Homeoffice. Mittlerweile kehren die ersten an ihren Arbeitsplatz zurück. „Wir haben dafür gesorgt, dass Präsenzmeetings nur in Ausnahmefällen stattfinden, dass Hygienevorkehrungen getroffen wurden, der Mindestabstand aber trotzdem stets eingehalten wird.“

Komplex allerdings sei es, die einzelnen Arbeitsplätze so umzugestalten, dass die Infektionsgefahr minimiert werde. „Wir haben viele Gruppenarbeitsplätze, dort werden Lösungen erarbeitet.“ Der Betriebsrat ist in alle Gesprächen und Entscheidungen eingebunden, alle Beteiligten arbeiten daran, dass die Beschäftigten überall sicher arbeiten können. Das Instrument, auf dessen Grundlage sie die Schutzmaßnahmen aufgestellt und umgesetzt haben, ist das Instrument der Gefährdungsbeurteilungen.

„Wir haben uns jeden einzelnen Arbeitsplatz nochmals angesehen, die Gefährdungsbeurteilung überarbeitet und mit dem jeweiligen Mitarbeiter besprochen“, sagt Alf van de Wetering. „Wir müssen die Beschäftigten so umfassend und wirksam schützen, wie es nur irgend geht.“

 


Corona-Prävention im Betrieb

In der Corona-Krise hat die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen höchste Priorität. Daher sind an allen Arbeitsplätzen wirksame Maßnahmen durchzuführen, die das Infektionsrisiko der Beschäftigten minimieren. Hierzu hat die IG Metall eine Handlungshilfe und einen Ratgeber erarbeitet. Sie sind hier zu finden.

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