Wehr- und sicherheitstechnische Industrie
IG Metall fordert industriepolitischen Dialog

Umstrittene Waffenexporte, sinkende Verteidigungsetats: Wohin bewegt sich die deutsche wehr- und sicherheitstechnische Industrie? Und wie sieht die Entwicklung für die Beschäftigten aus? Interview mit Jürgen Kerner, der im IG Metall-Vorstand für Wehr- und Sicherheitstechnik zuständig ist.

30. August 201230. 8. 2012


Die IG Metall ist gegen die Atomenergie. Aber wie hält sie es mit Waffen? Muss sie nicht über jeden neuen Rüstungsauftrag jubeln? Schließlich ist sie die Gewerkschaft der Beschäftigten in der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie.
Jürgen Kerner:
Nein. Wir sind für Frieden und Abrüstung. Das waren wir immer. Es steht sogar in unserer Satzung ― und der jüngste Gewerkschaftstag hat es bekräftigt. Das darf uns aber nicht daran hindern wahrzunehmen, dass die Welt nicht so friedlich ist, wie wir es uns wünschen. Kriege und bewaffnete Konflikte haben nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sogar zugenommen. Solange es bewaffnete Auseinandersetzungen gibt, haben Staaten und Menschen Sicherheitsbedürfnisse. Und so lange wird es auch eine wehr- und sicherheitstechnische Industrie geben. Es ist selbstverständlich, dass die IG Metall die Menschen, die in der Wehr- und Sicherheitstechnik arbeiten, vertritt, unterstützt und alles dafür tut, damit ihre Arbeitsplätze gute Arbeitsplätze sind. Das hat nichts mit Rüstungslobbyismus zu tun.

Westliche Länder, auch die Bundesrepublik, kürzen ihre Rüstungsausgaben. Sind die Arbeitsplätze in der Wehrtechnik eigentlich noch sicher?
Im Moment weitgehend ja, auch wenn es nicht ausschließlich gute Arbeit ist: Auch in dieser Branche gibt es zu viel Leiharbeit und Werkverträge; das muss eingedämmt werden.

Die Auftragsbücher der Wehr- und Sicherheitstechnikfirmen sind noch recht voll. Aber in der NATO und in Europa gibt es seit Jahren eine ganz klare Entwicklung. Die neuen Verteidigungskonzepte ― weg von Armeen der Landesverteidigung hin zu kleineren, flexiblen Einsatztruppen  ― erfordern eine modifizierte technische Ausrüstung und insgesamt weniger schwere Waffensysteme. Hinzu kommt, dass die Länder jetzt aufgrund der Banken- und Eurokrise ihre Verteidigungshaushalte anpassen. Das alles wird sich in Zukunft bemerkbar machen.


Wird die Industrie nicht Druck machen, die Exportbeschränkungen zu lockern, damit sie die schrumpfende Nachfrage aus Europa durch Exporte in andere Länder ausgleichen kann?
Schon jetzt werden 70 Prozent der Rüstungsgüter, die in Deutschland hergestellt werden, exportiert. Wenn die Beschränkungen gelockert werden, befürchten wir, dass Rüstungsgüter auch in Krisengebiete gehen könnten oder in Länder, in denen die Gefahr von Menschenrechts- oder Völkerrechtsverletzungen besteht. Die IG Metall ist entschieden dagegen, dass die bisherigen Exportstandards gesenkt oder aufgeweicht werden. Im Gegenteil. Wir unterstützen die Kampagne von Amnesty International für einen internationalen Waffenhandelskontrollvertrag.


Worum geht es dabei?
In aller Kürze: Alle Länder sollen unterschreiben, dass sie keine konventionellen Rüstungsgüter in Länder liefern, in denen die Gefahr besteht, dass Menschenrechte oder das Völkerrecht verletzt werden. Die Verhandlungen im Rahmen der UNO liegen leider gerade auf Eis, weil die USA, Russland und China zusätzliche Bedenkzeit haben wollten. Das Thema Waffenhandel muss aber international gelöst werden.


Es gibt Gerüchte, dass Angela Merkel für eine Lockerung der Exportregeln ist.
Da sollten wir erst mal abwarten, was wirklich hinter der sogenannten Merkel-Doktrin steckt. Ich halte eine Lockerung für falsch und auch für politisch nicht durchsetzbar.


Zurzeit gibt es Streit um die geplanten Lieferungen von Leopard-2-Panzern nach Saudi-Arabien und Katar. Wie steht die IG Metall dazu?
Wir sind nicht die Instanz, die bei einzelnen Produkten zu entscheiden hat, ob Liefern erlaubt ist. Wir haben eine Grundsatzposition, und die lautet: Keine Rüstungsgüter in Krisengebiete. Keine Exporte in Länder, in denen Menschenrechte verletzt werden könnten.


Wenn die Staaten weniger bestellen, aber auch nicht mehr exportiert werden kann: Stehen dann nicht bald Standorte und Arbeitsplätze auf dem Spiel?
Genau das wollen wir vermeiden! Darum stoßen wir jetzt die industriepolitische Diskussion an. Aus unserer Sicht ist zweierlei erforderlich. Erstens muss die Europäisierung der Sicherheitspolitik und der Beschaffung künftiger Ausrüstungen vorangebracht werden. Dazu gehört auch, in der EU gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Hier steht die Politik in der Verantwortung. Zweitens müssen die Unternehmen, vor allem die Zulieferer, ihre Produktpalette diversifizieren, das heißt, den Anteil an zivilen Produkten ausbauen. Und wo es möglich ist, muss Konversion ein Thema werden, also Know-how für militärische Produkte umgewandelt werden für zivile Güter. Dieser Prozess ist nicht einfach und er wird auch längere Zeit brauchen. Aber wenn wir dafür sorgen wollen, dass die Arbeitsplätze auch in Zukunft sicher sind, dann ist dieser Weg ― zusammen mit der Europäisierung ― richtig.


Anfang der 1980er-Jahre, in der Hochphase der Friedensbewegung, gab es schon von der IG Metall initiierte Konversions-Arbeitskreise in Betrieben der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie. Die Erfahrungen waren ernüchternd.
Sie sind durchwachsen, was auch daran liegt, dass Unternehmen die Ideen nicht umsetzen wollten. Es gab wohl keine wirtschaftliche Notwendigkeit dafür. Das ändert sich aber jetzt. Wir könnten heute bei der Diversifikation und Konversion sicher nicht nahtlos an die 80er-Jahre anknüpfen, aber wir werden die Erfahrungen aufnehmen und aus ihnen lernen.


Das heißt, die Unternehmensführer sind jetzt einsichtig und die „Umrüstung“ läuft quasi von allein?
Nein. Mit Sicherheit nicht. Und darum schlagen wir einen Branchenrat, einen industriepolitischen Dialog, vor, an dem Vertreter der Industrie, der Politik, der Gewerkschaften und der Wissenschaft teilnehmen. Ein Thema könnte zum Beispiel sein, mit welchen Forschungsprojekten solche Prozesse unterstützt werden können. Die Industrie hat schon Interesse daran gezeigt. Auch aus dem Verteidigungsministerium haben wir positive Signale erhalten. Unser Ziel ist es, die Arbeitsplätze zu erhalten – aber nicht unbedingt mit wehrtechnischen Produkten.


Die IG Metall-Mitglieder hat in der Wehr- und Sicherheitstechnik viele Mitglieder. Stehen sie denn hinter diesen Positionen? Werden sie einbezogen?
Nach meiner Wahrnehmung: ja. Natürlich wird diskutiert ― und das ist auch der richtige Weg, um unsere Vorschläge zu verbessern und zu konkretisieren. Dafür haben wir einen „Arbeitskreis Wehrtechnik und Arbeitsplätze“, in dem sich Betriebsräte und Vertrauensleute der IG Metall treffen. Das nächste Mal tagen wir am 27. und 28. September. Unsere künftigen Themen stehen fest: Chancen einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik und realistische Möglichkeiten zur Diversifikation und Konversion.

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