Energiewende: Mehr als nur Strom
Ökologisch und sozial hat Zukunft

Zurzeit hat die Windbranche kräftig Gegenwind und vor der Sonnenergie ziehen sich immer mehr dunkle Wolken zusammen. Trotzdem: Erneuerbare Energien sind unverzichtbar und haben Zukunft. Wenn die Weichen richtig gestellt werden. Das wurde auf einer Konferenz der IG Metall in Frankfurt klar.


Vor der Konzernzentrale von Bosch in Gerlingen bei Stuttgart standen vergangenen Donnerstag mehr als 2000 Bosch-Beschäftigte mit Transparenten. Viele waren aus dem thüringischen Arnstadt angereist. Dort steht die Fabrik Bosch Solar Energy. Der Bosch-Konzern will sie schließen und aus dem Solargeschäft aussteigen. 1800 Arbeitsplätze sind in Gefahr. Dagegen wehren sich die Betroffenen. „Bosch, lass uns leben“ hatten sie auf Transparente geschrieben. Viele Beschäftigte aus anderen Bosch-Werken solidarisierten sich mit ihnen.

Die Solarbranche in Deutschland wird seit einigen Jahren von Krisen und Pleiten geschüttelt. Gründe: Zu viele Anbieter, Preisverfall. Die Abnehmer konzentrieren sich zurzeit vor allem auf Italien und Deutschland. Auf diesen kleinen Markt drängen zunehmend chinesische Hersteller, die dank massiver staatlicher Förderung Zellen und Module zu Dumpingpreisen anbieten können. Im gesamten Sektor der erneuerbaren Energien sind an die 200 000 Arbeitsplätze bedroht.

Sonnenfinsternis bleibt aus

Droht der als „Zukunftsindustrie“ gefeierten Branche bald die Sonnenfinsternis? Wohl kaum. Alle Prognosen gehen davon aus, dass der weltweite Absatz von Photovoltaik spätestens ab 2016 stark zunimmt. Vor allem die USA und Asien gelten als Wachstumsmärkte der Zukunft. Auch in Deutschland sind die Potenziale noch lange nicht ausgereizt. So hat sich zum Beispiel die Zahl der Solarkollektoren auf den Dächern von Privathäusern seit 2006 verdoppelt. Aber erst auf 8,9 Prozent aller Wohngebäude sind Anlagen installiert und nur 5,5 Prozent haben eine Photovoltaikanlage montiert.



Auch bei öffentlichen Gebäuden besteht Nachholbedarf. „Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind im öffentlichen Interesse“, sagte Hermann-Josef Pelgrim, Oberbürgermeister von Schwäbisch-Hall, vergangenen Donnerstag in einer Konferenz der IG Metall in Frankfurt am Main. Allein in seiner Region solle bis 2030 der Strom und die Wärme zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie kommen. Die Konferenz der IG Metall hatte das Thema: „Nachhaltig Erneuerbar? Wind und Solar in der Energiewende“. Betriebsräte aus Firmen, zu deren Geschäftsfeld Wind- und Sonnenenergie gehören, diskutierten mit Bankern, Investoren, Energieversorgern, Politikern und Naturschützern.

Langer Atem nötig

„Die Energiewende ist eine langfristige, dauerhafte Aufgabe. Wer jetzt den Prozess abwürgt, verschenkt Zukunftschancen“, mahnte Pelgrim. Die deutschen Hersteller wie Bosch haben gute Chancen, im globalen Wettbewerb weiter bestehen und vorne mitmischen zu können. Vorausgesetzt, sie haben einen langen Atem. Und: sie investieren mehr in Forschung und Entwicklung und bleiben technologisch vorn statt die Innovationen zurückzufahren.

Nachhaltigkeit ist nicht nur notwendig, weil Rohstoffe wie Öl weniger werden und CO2 das Klima bedroht. Sie rechnet sich auch. Robert Haßler, Vorstandsvorsitzender der Ratingagentur Oekom-Research, räumte auf der IG Metall-Konferenz mit dem Vorurteil auf, in nachhaltige Produkte und Technologien zu investieren, sei nur etwas für Menschen, denen ihre ethischen Grundsätze wichtiger sind als Geld. „Viele Untersuchungen zeigen, dass Wertpapiere mit höheren Nachhaltigkeitsbewertungen sich besser entwickeln als andere.“

Nachhaltig ist mehr als öko

Nachhaltig heißt nicht nur umweltfreundlich. Dazu gehören genauso gute Arbeitsbedingungen. Detlef Wetzel, der Zweite Vorsitzende der IG Metall, wies in einem Beitrag für die Konferenz darauf hin, dass in der Wind- und Solarbranche viele Überstunden und Wochenendarbeiten anfallen und die Verdienste gering sind – verglichen mit denen in anderen Metallbranchen. Jeder Vierte verdient weniger als 2000 Euro brutto. Die IG Metall hatte die Beschäftigten vor einem Jahr dazu befragt. „Es ist erschreckend, dass in der Photovoltaikindustrie nur rund 15 Prozent sagen, sie können von ihrem Einkommen gut leben, in der Produktion sogar nur fünf Prozent.“ Da gibt es noch großen „Handlungsbedarf“, so Wetzel.

Dass umweltfreundlich und sozial zusammengehörten, betonte auch Frank Dinter, Geschäftsführer des Energieversorgers Entega. „Wir erstellen jedes Jahr einen Nachhaltigkeitsbericht und fragen auch: Wie zufrieden sind die Mitarbeiter? Wie hoch sind ihre Krankenstände? Würden sie ihre Arbeitsplätze Freunden empfehlen?“ Entega hat sich unter dem Slogan „Wir wollen nicht Teil des Problems, sondern der Lösung sein“ komplett neu orientiert und bietet nur noch Ökostrom an. Und ist erfolgreich damit. „Mitarbeiterzufriedenheit ist auch eine wirtschaftliche Größe, die Auswirkungen auf die Bonität, die Rückzahlbarkeit von Krediten, hat“, sagte Rating-Experte Haßler.

Schluss mit dem Gewurschtel

Solche Erkenntnisse müssten nur auch noch in den Firmen ankommen. Und in der Politik. Fast alle, die sich in der Konferenz an der Diskussion beteiligten, beklagten das konzeptionslose Rumgewurschtel in Berlin. Firmen investieren nicht, sondern streichen die Segel, weil unklar ist, wohin die Reise in der Energiepolitik geht. „Durch ihr planloses hektisches Treiben hat die Regierung viel kaputtgemacht“, kritisierte Thorben Becker vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Die IG Metall fordert ein stimmiges Gesamtkonzept. Daraus soll auch hervorgehen, wie der Plan konkret umgesetzt wird, wie die Kosten fair verteilt werden und Forschung und Entwicklung in der Industrie gefördert werden- und: wie die Menschen als Bürger, (Strom-)Verbraucher und Arbeitnehmer daran demokratisch beteiligt werden.
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