Organizing – Die Veränderung der gewerkschaftlichen Praxis
Erneuerung der Gewerkschaftsarbeit

Organizing hat bei der IG Metall bereits Tradition. Aber das „German Organizing“ beschränkt sich nicht auf einzelne „Leuchtturmprojekte“. Die erfolgreichen Organizing-Methoden müssen auch auf die tägliche Praxis übertragen werden, fordert Detelf Wetzel in seinem Buch „Organizing"

29. Januar 201429. 1. 2014


In Deutschland und in der IG Metall gibt es seit einigen Jahren eine breite Diskussion über „Organizing“. Maßgeblich angestoßen hatte sie IG Metall-Vorsitzender Detlef Wetzel, als er im Jahr 2008 gemeinsam mit anderen Gewerkschaftern die „Acht Thesen zur Erneuerung der Gewerkschaftsarbeit“ formuliert hatte. Sie haben eine breite Diskussion über die Notwendigkeit einer mitgliederorientierten Politik eingeleitet. Im vorliegenden Buch werden die Thesen erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seit 2008 hat sich einiges getan auf dem Feld des Organizing und es gibt inzwischen eine mehrjährige Praxis von gewerkschaftlichem Organizing auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Gewerkschaften.


Erfolgreiche Projekte in ganz Europa

In dem Sammelband werden Organizing-Projekte aus dem gewerkschaftlichen Bereich vorgestellt. Sehr aufschlussreich ist die Geschichte einer der erfolgreichsten europäischen Organizing-Kampagnen, die der niederländischen Gebäudereiniger. Das Beispiel wird im Buch sehr detailliert und anschaulich geschildert. Vor allem die Anfangsjahre waren von zahlreichen Rückschlägen, Fehlentscheidungen und Konflikten geprägt. Das mag auch daran gelegen haben, dass dies einer der ersten ― in Endergebnis durchaus erfolgreichen ― Versuche in Europa war, gewerkschaftliches Organizing zu betreiben. In diesem Beispiel aus den Niederlanden haben die beiden Initiatoren nur mit fast grenzenlosem Optimismus und außergewöhnlichem Durchhaltevermögen das Projekt zum Erfolg geführt.

In Deutschland machte sich die IG Metall ab 2010 daran, im Windanlagenbau eine gewerkschaftliche Interessenvertretung systematisch aufzubauen. Die Branche hatte ihre Beschäftigtenzahl zwischen den Jahren 2000 und 2011 vervierfacht. Heiner Dribbusch, Wissenschaftler am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in Düsseldorf, beschreibt diesen Organisierungsprozess im vorliegenden Buch. Sein Beitrag beginnt mit theoretischen Überlegungen zum Organizing und der Beschreibung der Ausgangssituation in der deutschen Windindustriebranche vor dem Jahr 2010. Sehr anschaulich wird der Projektverlauf beschrieben, der je nach Unternehmen recht unterschiedlich ausfiel.

 

Hinweise für gewerkschaftliche Praktiker

Zahlreiche andere Beispiele für erfolgreiches Organizing bieten gewerkschaftlichen Praktikern hilfreiche Hinweise und Anstöße für neue Projekte. Da wird etwa der „außerparlamentarische Kampf für soziale Gerechtigkeit“ der Schweizer Unia beschrieben. In den baltischen Ländern hat man sich mit der Gründung einer länder- und sektorenübergreifenden „Organizing-Akademie“ daran gemacht, gemeinsame Organizingstrategien zu entwickeln.

Weitere Beispiele aus Deutschland liefert das „Organizing in der Fläche“ der IG Metall: In diesem Rahmen sind in den vergangenen fünf Jahren in den 160 Verwaltungsstellen der IG Metall zahlreiche Organizingprojekte angestoßen worden. Mit Erfolg: In vielen Betrieben ist es gelungen, gemeinsam mit den Beschäftigten gewerkschaftliche Strukturen aufzubauen, Betriebsräte zu wählen oder die Tarifbindung zu stärken.

Bei aller Vielfalt der Ansätze der zahlreichen Projekte, sie erheben doch überall den Anspruch, Kolleginnen und Kollegen jenseits des gewerkschaftlichen Funktionärskreises als Aktive zu beteiligen, die Selbsttätigkeit zu stärken und dies auch umzusetzen. Gemeinsam ist den im Buch versammelten Beispielen auch, dass sie ― egal in welchem Land und in welchem Sektor ― überall gegen die um sich greifenden Abwehrstrategien der Arbeitgeberseite kämpfen müssen. Gewerkschaftliche Praktiker finden in dem Buch nützliche Hinweise für ihren Kampf um Mitbestimmung. Und das ist wichtig denn: „Faktisch ist es so, dass es ganze Sektoren gibt, in denen Gewerkschaften und Mitbestimmung im Grunde keine Rolle spielen. Wo es keine Mitbestimmung und Gewerkschaft gibt, da wissen wir in aller Regel auch nicht, wie es wirklich zugeht.“, so Wetzel in seinem einleitenden Statement.

 

Mehr als bloße Mitgliederwerbung

In seinem Pladoyer „für eine neue gewerkschaftliche Agenda“ argumentiert Wetzel weiter, dass es im Rahmen der sich global verschiebenden Markt- und Kräfteverhältnisse nötig ist, sich von einem eng gefassten betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff zu lösen und einen gewerkschaftspolitischen Betriebsbegriff entwickeln. „Alles, was zur Wertschöpfungskette eines Endprodukts gehört, muss in unserem politischen Fokus sein, ansonsten werden wir künftig noch ein paar Leute haben, die unter tarifvertraglichen Bedingungen das Typenschild aufs Auto kleben, während der Rest der Beschäftigten in gewerkschaftsfreien Zonen zu weitaus schlechteren Bedingungen arbeiten muss, in Deutschland und anderenorts.“

Organizing ist mehr als bloße Mitgliederwerbung. Es geht um den Aufbau einer starken gewerkschaftlichen Basis in den Betrieben, um Arbeitnehmerrechte durchzusetzen. Es geht um Veränderung, Bewegung und Beteiligung. „Eine heutige gewerkschaftliche Politik muss in ihrer Grundausrichtung mitglieder-, beteiligungs- und konfliktorientiert sein, wenn sie wirksam sein will. Diese drei Aspekte sind kein Selbstzweck. Sie führen vielmehr zu besseren Lösungen, ermöglichen ein unabhängiges gewerkschaftliches, politisches Handeln und tragen nicht zuletzt dazu bei, auch die Beziehungen zur Arbeitgeberseite auf eine klare und gegenseitig verlässliche Grundlage zu stellen. Sie erzeugen Legitimität“, so Wetzel im Kapitel für eine neue gewerkschaftliche Agenda.


Detlef Wetzel (Hrsg.) ORGANIZING

Die Veränderung der gewerkschaftlichen Praxis durch das Prinzip Beteiligung | 320 Seiten | Mit Praxistipps aus dem Methodenhandbuch der IG Metall auf CD | EUR 19.80 | ISBN 978-3-89965-580-3.

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