Jörg Hofmann über Werkverträge
„Für die gleiche Tätigkeit wird unterschiedlich bezahlt“

Deutschlands Automobilhersteller lagern immer häufiger Tätigkeiten über Werkverträge aus. Das Motiv: Sie wollen Lohnkosten drücken. Im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten erklärt Jörg Hofmann, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, warum diese Praxis aufhören muss.

25. September 201525. 9. 2015


Herr Hofmann, die IG Metall macht an diesem Donnerstag unter anderem beim Autobauer Daimler gegen Werkverträge mobil. Warum?

Jörg Hofmann: Weil wir sehen, dass sich das Thema der Werkvertragsvergabe immer weiter in die Betriebe der Metall- und Elektroindustrie hineinfrisst – und zwar in die Kernkompetenzen der Branche. Das Ziel ist eindeutig, die Tarifverträge zu umgehen und über Lohndumping Druck auf die Stammbelegschaft auszuüben. Da können wir nicht wegschauen, sondern müssen aktiv werden.

Wie hat sich die Praxis der Auslagerung von Dienstleistungen in den vergangenen Jahren verändert?

Es geht nicht mehr nur darum, die Pflege der Grünflächen nach außen zu vergeben, sondern um Bereiche wie Instandhaltung, Logistik, Entwicklung und kaufmännische Dienstleistungen. Das betrifft die Kernkompetenzen der Wertschöpfung eines Metall- und Elektrobetriebs. Wir beobachten, dass auf einem Betriebsgelände für die gleiche Tätigkeit zunehmend unterschiedlich bezahlt wird. Es wird das T-Shirt getauscht, dann bekommt der Arbeitnehmer ein Drittel weniger Lohn. Das setzt auch die Tarifentgelte im Unternehmen unter Druck. Diese Strategie können wir nicht akzeptieren.

Können Sie ein Beispiel nennen für den Missbrauch eines Werkvertrags?

Nehmen wir einen Materialversorger in der Automobilindustrie. Wenn er Glück hat, bekommt er nach Metall- und Elektrotarif einen Stundenlohn von knapp 16 Euro, beim Logistikunternehmen sind es nach Tarif 11,90 Euro. Hat er Pech, bekommt er als Werkverträgler einer tariflosen Firma nur den Mindestlohn von 8,50 Euro, obwohl er das Gleiche macht.

Laut einer Erhebung der IG Metall hat die Zahl der Werkverträge in den vergangenen drei Jahren um rund ein Fünftel zugenommen. Das klingt nicht so dramatisch, oder?

Im ersten Moment vielleicht nicht. Aber es ist ein Durchschnittswert. Die Zunahme ist in einzelnen Branchen deutlich höher. Werkverträge als Instrument zum Lohndumping werden besonders von den Autoherstellern eingesetzt, weniger von den Zulieferern. Auch in der Luftfahrtindustrie, auf Werften oder in der Stahlindustrie ist die Praxis weit verbreitet. Im Maschinenbau dagegen ist die Vergabe von Kernkompetenzen nach außen noch immer eine Ausnahme.

Sie sind ja nicht generell gegen Werkverträge. Welche sind gut, welche schlecht?

Es geht nicht um die Vertragsform Werkvertrag, es geht um offensichtliches Lohndumping. Wenn man gezielt nach einer Leistung sucht, die im Betrieb nicht vorhanden ist, etwa in der Entwicklung, ist das in Ordnung. Problematisch wird es, wenn Tätigkeiten, die bisher vom Betrieb auf dem eigenen Gelände erledigt wurden, plötzlich an Dritte vergeben werden, um Lohnkosten zu drücken. Besonders kritisch wird es, wenn es um Kernkompetenzen für die Herstellung eines Autos geht.

Daimler hat sich nach massiver Kritik an der Praxis der Werkverträge eine Sozialcharta gegeben. Reicht Ihnen das?

In der Sozialcharta ist geregelt, dass ein Werkverträgler alleine das Einstiegsentgelt des jeweils gültigen Tarifvertrags bekommen muss. Das ist uns zu wenig. Wir wollen schon, dass eine nach Qualifikation und Anforderung vergleichbare Tätigkeit auch entsprechend materiell abgesichert wird. Jeder Mitarbeiter soll das verdienen, was der Tarifvertrag ihm zuspricht. Ein Unternehmen, das so gut verdient, sollte sich durch etwas anderes hervortun als mit Schlagzeilen wie ’Niedriglohn bei Daimler’. Ich hoffe, dass unser Aktionstag neuen Schwung in die Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat bringt.

Wie müsste die Praxis der Werkverträge aus Ihrer Sicht geregelt sein?

Wir brauchen eine wirksame Mitsprache der Betriebsräte. Da die Interessen der Stammbelegschaft auch durch die Werkvertragsvergabe tangiert sind, verlangen wir, dass im Rahmen der Personalplanung mit dem Betriebsrat über die Fremdvergabe zu sprechen ist. Zum Beispiel wenn Jobs tangiert sind, die aufgrund ihrer Ergonomie für ältere Kollegen infrage kommen können. Es geht auch um Informationspflichten des Arbeitgebers. Meist entscheidet der Einkauf über Werkverträge, nicht die Personalabteilung. Niemand hat den Überblick. Es muss klar sein: Wer kommt für welches Gewerk auf das Werkgelände, was ist das für ein Unternehmen, gibt es dort einen Betriebsrat, und gilt ein Tarifvertrag?

Viele Unternehmen argumentieren, dass sie ohne Werkverträge nicht mehr wettbewerbsfähig seien, und drohen mit Verlagerung der Produktion ins Ausland.

In jeder Tarifrunde gibt es die Möglichkeit, mit uns auszuhandeln, wie hoch das Entgelt in der Branche ist. Die Branche ist bisher nicht schlecht gefahren – auch was Beschäftigung angeht. Aber nachdem der Tarifvertrag vereinbart ist, wird nun das Spielfeld gewechselt. Das kann nicht sein. In einer so hoch vernetzten Branche kommt es darauf an, Zusammenarbeit und den industriellen Frieden zu gewährleisten. Werkverträge mögen kurzfristig einen Kostenvorteil bringen. Langfristig gefährden sie die gesunde Struktur. Wir wollen für diese Branche keine Zustände, wie wir sie etwa in der Luftfahrt kennen. Wer aber durch Aufspaltung die Tarifeinheit in der Branche mutwillig aufgibt, wird dort landen.

Welche Hoffnungen setzen Sie auf die Gesetzesinitiative von Arbeitsministerin Andrea Nahles zu Werkverträgen?

Neben den angesprochenen Informationspflichten der Arbeitgeber, die auch der Koalitionsvertrag vorsieht, geht es darum, das Umdeklarieren von Leiharbeit in Werkverträge zu stoppen. Oft werden Arbeitnehmer hin und her geschoben, etwa wenn eine Kontrolle des Zolls droht. Das ist nicht tragbar. Deshalb müssen wir von Anfang an festlegen, welches Vertragsverhältnis bei einem Mitarbeiter zugrunde gelegt wurde, und dies gilt dann auch. Die Grauzone zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertrag muss klar abgegrenzt werden.

Gibt es weitere Bereiche?

Es geht auch um die Arbeitssicherheit. Bisher darf kein Werkverträgler auf dem Betriebsgelände Anweisungen eines dortigen Mitarbeiters annehmen. In Bereichen mit erhöhtem Sicherheitsrisiko, etwa in der Stahlverarbeitung, ist er so aber auch von vielen wichtigen Informationen abgeschnitten. Betriebliche Beispiele, etwa aus der Stahlindustrie, zeigen: Die Häufigkeit von Betriebsunfällen ist bei Werkverträglern signifikant höher, weil sie eben nicht entsprechend geschult werden. Von einer klaren gesetzlichen Regelung versprechen wir uns, dass die im Einsatzbetrieb geltenden Regeln zu Arbeitssicherheit und Sozialeinrichtungen auch für Werkvertragsbeschäftigte gelten.

Neue Gesetze zu Mindestlohn, Tarifeinheit und bald auch zu Werkverträgen: Kann sich eine Industrienation wie Deutschland einen solchen Bürokratismus leisten?

Es geht nicht um Bürokratie, sondern um Ordnung am Arbeitsmarkt. Im Übrigen: Wenn ich mir die aktuellen Quartalszahlen der Unternehmen anschaue, könnte man im Umkehrschluss sagen: Mindestlohn und Rente mit 63 haben die deutsche Wirtschaft erst recht nach vorne gebracht. So rum argumentiert zwar keiner, aber andersrum ist es noch mehr daneben.

Das Gespräch führte Michael Gerster.
Das Interview ist am 24.09.2015 in den Stuttgarter Nachrichten erschienen.

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