Interview mit Nohora Tovar, kolumbianische Metallgewerkschaft...
Metallerin aus Kolumbien für Zivilcourage ausgezeichnet

Seit über 20 Jahren setzt sich Nohora Tovar in Kolumbien für die Rechte der arbeitenden Menschen ein. Sie riskiert viel. In Kolumbien leben Gewerkschafterinnen wie Nohora gefährlich. Unbekannte schicken ihr Drohbriefe oder rufen bei ihr zu Hause an. Nohora ließ sich davon nie einschüchtern. Die ...

2. Dezember 20132. 12. 2013


... Stadt Wiesbaden verlieh ihr dafür den Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage.

Nohora, was dachtest Du, als die Stadt Wiesbaden Dir den Preis verliehen hat?
Nohora Tovar: Mein erster Gedanke war: Großartig, das ist eine tolle Anerkennung. Mein zweiter Gedanke war: Meine Güte, es gibt so viele Menschen auf dieser Welt und ausgerechnet ich bekomme diesen Preis.


Weißt Du schon, was Du mit dem Preisgeld von 10000 Euro machst?
Meine Gewerkschaft ist zu klein, um mich zu bezahlen. Meine Gewerkschaftsarbeit kostet mich aber so viel Zeit, dass ich meine Stelle in einer Elektronikfirma aufgeben musste. Ohne den Preis hätte ich wahrscheinlich bald mit der Gewerkschaftsarbeit aufhören müssen, um wieder Geld zu verdienen. Auf jeden Fall werde bei mir zu Hause Türen einbauen. Bisher konnte ich mir keine leisten.


Womit beschäftigst Du Dich gerade in Deiner Gewerkschaft?
Als Kassiererin meiner Gewerkschaft kümmere ich mich darum, dass wir genügend Geld haben, um unsere Kampagnen zu finanzieren.


Wie machst Du das? Wirbst Du neue Mitglieder?
Natürlich versuchen wir, neue Mitglieder zu gewinnen. Aber in Kolumbien ist das sehr schwierig. Viele Firmen entlassen Leute, wenn sie einer Gewerkschaft beitreten, oder schieben sie aufs Abstellgleis. Die Menschen haben Angst, sich zu organisieren.


Was kannst Du tun, um sie für die Gewerkschaft zu gewinnen?
Wir versuchen es auf zwei Wegen. Firmen, in denen Beschäftigte oder Leiharbeiter schon organisiert sind, beziehen wir in die Tarifverhandlungen ein. In den anderen Betrieben laden wir die Beschäftigten ein und informieren sie über ihre Rechte. Wir haben zwar nur wenige Rechte, aber sie sollte jeder kennen.


In Kolumbien werden Gewerkschafter bedroht und sogar ermordet. Was erlebst Du?

Unbekannte rufen mich an, schweigen am Telefon oder bedrohen mich. Andere schreiben mir, ich solle meine Nase nicht in Angelegenheiten stecken, die mich nichts angehen. Sonst könnte ich eines Tages für immer verschwinden. Viele Gewerkschafter leben mit dieser Angst. Sie ist real. In diesem Jahr wurden schon 19 Kollegen ermordet. Die Täter müssen keine Strafen fürchten. Es gibt niemanden, der uns schützt.


Die Regierung schützt Gewerkschaften nicht vor solchen Angriffen?
Offiziell gibt sie sich tolerant und spielt Normalität. Gewerkschaften werden nicht mehr als kriminell verunglimpft. Aber die Politik ist immer noch die alte. Sie arbeitet mit neuen Tricks. Sie hat zum Beispiel Genossenschaften gegründet für Arbeitnehmer. Jedes Mitglied musste seine Arbeitsbedingungen mit Arbeitgebern selbst aushandeln. Aus diesen Genossenschaften hat die Regierung dann Gewerkschaften gemacht. Jetzt stellt sie sich hin und sagt: Es gibt immer mehr Tarifverträge und immer mehr Gewerkschaften. Aber das sind keine echten Gewerkschaften.


Wirkt sich das auf Eure Arbeit aus?

Beschäftigte werden misstrauischer. Sie merken: Nicht überall, wo Gewerkschaft draufsteht, ist auch Gewerkschaft drin. Die Regierung will uns immer mehr beschränken. Zurzeit plant sie ein Gesetz, das soziale Proteste verbieten und mit Gefängnis bestrafen will.


Bei Deinen letzten Besuchen bei der IG Metall hast Du vor den Risiken des Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union für Euch gewarnt. Welche Folgen hat es für Euch?

Immer mehr Menschen arbeiten für einen Lohn, von dem sie nicht leben können. Viele kleine und mittlere Unternehmen, die immerhin noch den Mindestlohn von 240 Dollar pro Monat zahlten, haben geschlossen. Multinationale Unternehmen halten sich an keine Regeln. Viele Menschen schlagen sich mit Straßenverkauf durch. Als nächstes will die Regierung ein Freihandelsabkommen mit Südkorea schließen. Viele haben Angst, dass es noch schlimmer wird.


Du arbeitest unter unvorstellbaren Bedingungen. Was denkst Du, wenn Du siehst, wie Metallerinnen und Metaller in Deutschland arbeiten?

Wenn ich das sehe, denke ich, das ist mein Traum. So stelle ich mir Gewerkschaftsarbeit in Kolumbien vor. Aber es zeigt mir auch: Das ist kein Traum, das ist möglich.

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