Arbeitgeber kürzen Arbeitsplätze und Löhne
Was auf der Meyer Werft droht, erleben Beschäftigte in anderen Betrieben schon jetzt: Arbeitgeber bauen Arbeitsplätze ab, verkünden Schließungen und kündigen Tarifverträge.
Beim Autozulieferer Eberspächer in Esslingen verlautbarte die Werkleitung, dass sie die Fertigung von Standheizungen mit 300 Beschäftigten schließen und verlagern will. Betriebsrat und IG Metall erfuhren davon wenige Stunden vorher.
Eigentlich hat die Geschäftsleitung in einer Vereinbarung unterschrieben, dass es bis Ende 2022 keine betriebsbedingten Kündigungen geben soll – und der Standort Esslingen zum „Technologiewerk“ weiterentwickelt wird. Die Beschäftigten wollen Widerstand gegen die Schließung leisten. Die IG Metall-Vertrauensleute planen derzeit Aktionen. „Wir werden es nicht einfach hinnehmen, dass Eberspächer die Coronapandemie zum Anlass nimmt, die Fertigung in Esslingen platt zu machen“, erklärt Jürgen Groß von der IG Metall Esslingen. IG Metall und Betriebsrat haben Experten an Bord geholt und arbeiten an einem Konzept zur Fortführung der Fertigung in Esslingen.
Standort Solingen: Der Räderhersteller Borbet hat den Tarifvertrag gekündigt – „auch wegen der durch die Coronakrise entstandenen extrem schwierigen wirtschaftlichen Situation“. Schichtarbeiter würden dadurch bis zu 1000 Euro im Monat verlieren.
Die Verhandlungen laufen. Nicht nur für Solingen, sondern bundesweit. Die IG Metall fordert Tarifverträge für alle Borbet-Standorte. Die Beschäftigten aller Werke stehen zusammen.
Arbeitgeber wälzen die Folgen der Coronakrise auf die Beschäftigten ab, nutzen sie aus. Gegen diesen Trend hilft nur eins: die Kräfte bündeln, zusammenstehen und kämpfen. In vielen Betrieben überlegen Belegschaften, denen der Boden unter den Füßen weggezogen wird, was sie tun können. Manche hatten schon länger das Ziel, einen Betriebsrat zu gründen und mit der Gewerkschaft zusammenzuarbeiten. Die Coronakrise hat das jetzt beschleunigt.
In ihrer Not wandten sich die Beschäftigten des hessischen Automobilzulieferers Wirthwein an die IG Metall. Anfang Mai standen sie bei Uwe Zabel vom Bezirk Mitte auf der Matte. Das Unternehmen Wirthwein hatte dem Großteil der Beschäftigten gekündigt. Der Standort soll Ende des Jahres fast komplett dichtgemacht werden.
Beschäftigte organisieren sich in der IG Metall
Alle Beschäftigten in der Produktion sind zum 31. Dezember ihren Job los. Die Beschäftigten mussten einzeln zu „persönlichen Gesprächen“ erscheinen. Dort bekamen sie ihre Kündigung ausgehändigt.
„Das ist eine Riesensauerei, dass wir alle entlassen sind, ohne einen Cent Abfindung“, schimpft Katrin Roob. „Weil wir uns das nicht gefallen lassen, haben wir uns an die IG Metall gewandt.“ Katrin klagt gegen ihre betriebsbedingte Kündigung mit dem DGB Rechtsschutz.
In dem nicht tarifgebundenen Unternehmen gab es vor dem Ausspruch der Kündigungen keinen Betriebsrat. Die Beschäftigten haben sich jetzt fast vollständig in der IG Metall organisiert. Die IG Metall hat den Arbeitgeber an den Verhandlungstisch gezwungen. Ziel ist eine sozialverträgliche Lösung durch eine Transfergesellschaft, die betriebsbedingte Kündigungen verhindert und eine Perspektive für die Betroffenen schafft. Jens Kiehm, 42, tritt bei den Betriebsratswahlen auf der Liste der IG Metall an. Der gelernte Werkzeugmacher arbeitet als Abteilungsleiter bei Wirthwein. Kiehm ist zu 60 Prozent schwerbehindert, aber das hat ihn nicht abgehalten, in den vergangenen Wochen zu kämpfen.
Sitzstreik und Autokorso
Ende Mai stand die Nachtschicht still und alle Maschinen ruhten. Alle Versuche, die Arbeitsniederlegung mithilfe externer Streikbrecher zu unterlaufen, scheiterten kläglich. Obwohl die Aktionen unter erschwerten Coronabedingungen ablaufen, gelingen sie hervorragend und finden große Resonanz in der Öffentlichkeit: der Sitzstreik vor dem Betrieb und der Autokorso zum Arbeitsgericht in Fulda. Während des Autokorsos hielten alle am „IG Metall-Drive-in“ am Straßenrand an und bekamen Verpflegung für den Kampf ins Auto gereicht. Die Betroffenen haben einen Wäschekorb von Klagen in den Fristbriefkasten des Arbeitsgerichts geworfen. Nun sind die Massenklagen auf dem Weg.
Auch die Firma Günther & Co in Frankfurt ist so ein Fall. Der Betrieb will ausgerechnet in der Coronakrise seine Leute loswerden. Obwohl das Unternehmen, das Bohrwerkzeuge herstellt, gute Gewinne macht. Günther & Co gehört zum schwedischen Sandvik-Konzern. „Das vergangene Jahr war mit 20 Prozent Gewinn besonders gut“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Thomas Diener.
Dass das Unternehmen die coronabedingte Situation ausnutzt, um die Produktion ins Ausland zu verlagern und dort eine noch höhere Gewinnmarge zu erzielen, empört die Belegschaft aufs Äußerste. Die IG Metall hat ein Wirtschaftsgutachten erstellen lassen und Alternativen entwickelt, wie der Standort und die Arbeitsplätze erhalten werden können. Der Konzern schlägt alle Argumente in den Wind. „Kein Mensch versteht, warum der Standort geschlossen werden soll“, sagt Michael Erhardt von der IG Metall Frankfurt. „Wenn sie trotzdem zumachen, werden wir einen Sozialplan erkämpfen, der richtig teuer wird.“