Auto, Jobs und Umwelt: Warum das für die IG Metall zusammengehört

Wütende Dieselfahrer, ratlose Autokäufer, planlose Verkehrsplaner: Im Autoland Deutschland herrscht Unsicherheit. Doch Klimaschutz und sichere Arbeitsplätze lassen sich verbinden. Aber dafür müssen Regierung und Unternehmen endlich aktiv werden.

1. April 20191. 4. 2019
Simon Che Berberich


Ein Mittwochmorgen Mitte März in Stuttgart-Feuerbach: Vor Tor 1 des Bosch-Werks stehen 3500 Beschäftigte, mit Fahnen und Signalhörnern. Einer von ihnen ist der Industriemechaniker Silas Berk (30, Name von der Redaktion geändert). Wer ihn an diesem Tag nach seiner Zukunft fragt, spürt vor allem eines: Ungewissheit.

„Ich bin seit über zehn Jahren bei Bosch. Aber zurzeit fühlt es sich an, als wäre ich befristet“, sagt er. „Man kann keine Pläne machen, egal ob Familiengründung oder Häuslebau.“

Die Sorgen des Metallers kommen nicht von ungefähr. Das Bosch-Werk in Feuerbach ist auf Dieselbauteile spezialisiert. Doch der Absatz von Dieselautos ist eingebrochen. Drohende Fahrverbote verunsichern Kunden und Berufspendler. Vom klimafreundlichen Image ist nach Abgasskandal und Stickoxid-Debatte wenig geblieben.

Längst hat die Unsicherheit auch die Boschler erfasst. Doch die wehren sich jetzt. Mit einer Betriebsversammlung plus Kundgebung machen sie Druck für ihre Forderungen: Investitionen in Zukunftsprodukte, Beschäftigungssicherung, Perspektiven für die Diesel-Standorte. Die Unternehmensführung will lieber über Personalabbau und Dreißigstundenwoche reden. So weit, so normal?

Neue Qualität

Der Streit um Standorte ist so alt wie die Industrialisierung. Ob bei Einführung der Produktionsroboter in den 1960er-Jahren oder dem Siegeszug der Computer ab den 80ern: Immer wieder standen Jobs auf der Kippe, andere entstanden neu.

Doch was Berk bei Bosch gerade erlebt, ist etwas völig Neues. Es sind Symptome des Umbruchs, in dem sich das Industrieland Deutschland befindet. Es wird nicht nur eine Technologie durch eine andere ersetzt, sondern es wirken mehrere Entwicklungen zusammen: Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung und Alterung der Gesellschaft. All das erzeugt einen gewaltigen Veränderungsdruck, eine Transformation. Wie unter einem Brennglas zeigt sich das im Großraum Stuttgart, mit seiner Abhängigkeit von der Autoindustrie und ihren vielen Zulieferern.


Aus abstrakt wird konkret

Einer, der die Veränderungen täglich spürt, ist Uwe Schwarte, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats beim Autozulieferer Mahle. Mahle produziert Kolben, Zylinder, Ventilsteuerungen. Alles für den Verbrennungsmotor. „Die Kollegen fragen mich oft: Wie geht es mit unserem Standort weiter? Habt ihr schon einen Weg?“, sagt Schwarte. „Die ehrliche Antwort lautet: Wir müssen zurzeit auf Sicht fahren, so wie alle. Aber wir tun alles, was möglich ist.“

Konkret heißt das: Der Mahle-Betriebsrat versucht, inmitten der Unsicherheit so viel Sicherheit wie möglich herzustellen. Bereits 2016 haben Schwarte und sein Team die Betriebsvereinbarung „Zukunft und Beschäftigungssicherung“ abgeschlossen. Darin steht die Verpflichtung, für alle Mahle-Standorte Zukunftskonzepte zu entwickeln.

Seitdem ist die Entwicklung von Mahle Dauerthema in Werkhallen und Büros. Experten des Stuttgarter Forschungsinstituts IMU kommen in die Mahle-Betriebe und machen Workshops mit den Beschäftigten. Sie sammeln Daten und Erfahrungswissen: Welcher Standort kann was besonders gut und wo gibt es Schwächen? Welche Produkte werden für E-Autos gebraucht? Welcher Mahle-Standort könnte welches dieser Produkte besonders gut herstellen? Wo sitzen mögliche Kunden? Mittlerweile haben 7 von 25 deutschen Mahle-Standorten diesen Prozess durchlaufen. Investitionen in neue Technologie, neue Produkte und Qualifizierung ― die Betriebsräte fordern konkrete Pläne für den ganzen Konzern, ­festgeschrieben in einer neuen Betriebsvereinbarung. Darüber wird 2019 verhandelt. „Wir lassen keinen Standort zurück“, sagt Gesamtbetriebsratsvorsitzender Schwarte. „Wir wollen Antworten auf die Frage: Was stellt Standort X in fünf Jahren her?“

Dass diese Antworten nicht leicht zu bekommen sind, ist dem Metaller klar. „Die Verhandlungen über die neue Betriebsvereinbarung werden konfliktreich sein.“ Doch das ist nichts Neues. Auch die aktuelle Betriebsvereinbarung gab es nicht zum Nulltarif.

„Wir mussten ordentlich Druck machen“, sagt Schwarte. „Der Betriebsrat hat Mehrarbeit abgelehnt, das Tagesgeschäft blockiert. Die Kolleginnen und Kollegen haben uns auf dem Hof Rückendeckung gegeben: Wir wollen diese Zusagen und wir kämpfen gemeinsam dafür.“


Fixpunkt Paris

So unübersichtlich die Debatte um Auto, Klima, Umwelt teilweise ist: Es gibt Fixpunkte. „Wir unterstützen die Pariser Klimaziele. Außerdem haben wir konkrete Vorschläge, wie der Verkehrssektor zum Klimaschutz beiträgt“, sagt Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall.

Was ihn nervt, ist die Art, wie in Deutschland über das Thema diskutiert wird. Wie Pendler an den Pranger gestellt und die Interessen der Beschäftigten ignoriert werden. Wie die Dramatik der Veränderungen unterschätzt wird und wie unsystematisch das Großprojekt Verkehrswende angegangen wird.

„Wir stehen vor massiven Umbrüchen in der Industrie ― dem Rückgrat unseres Wohlstands“, sagt Hofmann. „Das kann düster enden, wenn die Bundesregierung nicht endlich handelt und Rahmenbedingungen für eine gelingende Mobilitäts- und Energiewende schafft.“

Nötig wären konkrete Maßnahmen für alle wichtigen Bereiche: Energieerzeugung und Stromnetze, Ladeinfrastruktur für E-Autos, Batteriezellenproduktion in Deutschland, Strukturhilfen für betroffene Regionen und der Ausbau von Bildung und Qualifizierung. Ideen dazu entwickelt eine Expertenkommission der Bundesregierung, in der auch die IG Metall vertreten ist. Eine konsequente Umsetzung ist aber noch nicht absehbar.

Was für den IG Metall-Vorsitzenden gar nicht geht: Dass Autos und Autofahrer pauschal verteufelt werden. „Wir brauchen keinen Kulturkampf ums Auto, das ist die völlig falsche Spur“, sagt er. „Das Ziel muss lauten: Die modernste Autoindustrie der Welt entwickelt umweltverträgliche Mobilität und baut die Autos der Zukunft ― egal ob sauberer Diesel, Elektro- oder Wasserstoffauto. Unsere Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben können das.“

 

Zukunft produzieren

Wer wissen will, wie sich die Transformation im Betrieb gestalten lässt, kann Michael Häberle fragen. Der Metaller ist Betriebsratsvorsitzender bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim. Das Werk ist zwar das Herz des Daimler-Konzerns. Trotzdem lief der Standort 2017 Gefahr, beim Technologiewandel abgehängt zu werden.

„Das Werk platzt aus allen Nähten“, sagt Häberle. „Das ist zwar schön, aber es hätte auch bedeuten können: Die Transformation findet woanders statt.“

Es ging um die Produktion von E-Autos und deren Einzelteilen, in die Daimler Milliarden investiert. Wo wird diese Produktion angesiedelt?

Für den Betriebsrat steht fest: Ein Teil muss ins Stammwerk nach Untertürkheim. Nur so wären Arbeitsplätze dauerhaft zu sichern. Es beginnt ein zähes Ringen mit der Konzernführung. Die Manager wollen das Werk nicht erweitern. Stuttgart sei zu teuer im Vergleich mit anderen Standorten.

Belegschaft und Betriebsrat bleiben hart. Es kommt zu mehreren Betriebsversammlungen, was sich bei einem Werk mit 20 000 Beschäftigten schnell zu hohen Arbeitszeitausfällen summiert. Viele Beschäftigte sind sauer über den Vorschlag der Konzernleitung, eine Batteriemontage nur als ausgegliederte GmbH nach Stuttgart zu holen ― sprich: als Sparmodell.

Am Ende kommt es anders: Per Betriebsvereinbarung holt der Betriebsrat zwei Batteriemontagen an den Neckar, ohne Sparmodell. Dazu kommen Produktionszusagen für Verbrennungsmotoren. Untertürkheim wird obendrein für die Brennstoffzelle aufgestellt ― wenn sie nachgefragt werden sollte, kann sie geliefert werden.

„Die Betriebsvereinbarung hat Mut gemacht“, sagt Häberle. „Viele Kolleginnen und Kollegen haben gesehen: Zusammen kann man viel bewegen.“


Gefährliche Untätigkeit

Eine soziale und ökologische Transformation ― dafür kämpfen Metaller überall im Land. Doch zur Wahrheit gehört auch: Betriebsvereinbarungen allein werden es nicht richten, mögen sie noch so zukunftsweisend sein. Eine erfolgreiche Transformation braucht die richtigen Rahmenbedingungen. Unternehmen und viele politisch Verantwortliche unterschätzen immer noch, was dazu alles notwendig ist.

Beispiel Mobilität: Millionen Menschen in Deutschland sind aufs Auto angewiesen, um zur Arbeit zu kommen. Das Autofahren massiv zu verteuern oder per Fahrverbot unmöglich zu machen, bringt Betroffene in eine Notlage. Statt Pendler unter Druck zu setzen, sollte es Angebote geben. Das bedeutet vor allem: massiver Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Doch die Schiene wird seit Jahrzehnten kaputtgespart. Das Geld aus dem aktuellen Bundesverkehrswegeplan reicht bei Weitem nicht, um die Fahrgastzahlen zu verdoppeln, wie es im schwarz-roten Koalitionsvertrag angepeilt wird.

Auch die Unternehmen sind in der Bringschuld. Längst könnte die Luft in den Städten sauberer sein, würde es nicht an Elektrobussen und E-Lieferwagen fehlen. Doch es gibt kein ausreichendes Angebot.

Schließlich geht es auch um das Wie. „Abstrakte Ziele bringen nichts, weil man nicht weiß, wie sie zu erreichen sind“, sagt Jörg Hofmann. Viel sinnvoller seien konkrete, überschaubare Schritte, deren Erfolg regelmäßig überprüft werde.

Der IG Metall-Vorsitzende ist überzeugt: „Sozial und ökologisch darf kein Gegensatz sein. Sonst wird es am Ende gar keinen Klimaschutz geben: weil die Menschen ihn nicht mittragen.“

Metaller Berk von Bosch-Feuerbach formuliert es so: „Von der Regierung muss mehr Unterstützung kommen. Klare Linien statt unerreichbare Vorgaben!“ Vielleicht sollten sich Politiker und Konzernlenker einmal anhören, was er zu sagen hat.

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