Jörg Hofmann, Sigmar Gabriel und Ulrich Grillo
Die nächste Revolution – Mehr Innovation und Investitionen

Deutschland hat starke Kompetenzen, auf denen es aufbauen kann, um die Chancen des digitalen Wandels zu nutzen. In der Industrie 4.0 wird die Produktion auf intelligente Weise mit modernster digitaler Informations- und Kommunikationstechnik verzahnt.

23. September 201623. 9. 2016


Die Industrie ist das Aushängeschild Deutschlands auf den Weltmärkten. Sie produziert 90 Prozent der deutschen Exporte. Sie steht für Qualität, Hightech, gute Ausbildung und acht Millionen Arbeitsplätze. Die Zeiten, in denen Industrie als etwas Altmodisches angesehen wurde, sind schon längst vorbei. Denn in Deutschland konnten wir gerade wegen einer starken Industrie und einer starken Sozialpartnerschaft schnell die Krise von 2009 überwinden.

Heute stehen wir wieder vor einer neuen industriellen Revolution: In der Industrie 4.0 wird die Produktion auf intelligente Weise mit modernster digitaler Informations- und Kommunikationstechnik verzahnt. Die Welt schaut daher mit großem Interesse darauf, wie Deutschland die Digitalisierung nutzen will. Wir wollen zeigen, dass Deutschland auch künftig Vorreiter bleibt. Denn kein anderes Land der Welt kann von der Digitalisierung der Industrie mehr profitieren als Deutschland. Doch das bekommen wir nicht geschenkt.

Politik, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften müssen für den Erfolg gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir müssen engagiert für eine breite Akzeptanz und Begeisterung in der Bevölkerung für eine vernetzte Industriewelt und für eine Modernisierung unserer Infrastruktur werben. Das ist das Ziel, das wir mit dem „Bündnis Zukunft der Industrie“ verfolgen. Das Miteinander von Politik, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Industrieverbänden hat unser Land in der Vergangenheit stark gemacht.

Damit das auch in Zukunft so bleibt, arbeiten wir gemeinsam daran im Bündnis „Zukunft der Industrie“. Gemeinsam wollen wir die Zukunft des Industriestandorts Deutschland gestalten. Wir wollen gemeinsam das Modell Deutschland mit industrieller Wertschöpfung, hochwertiger Arbeit, innovativer Qualitätsproduktion, Tarifbindung und Mitbestimmung zukunftsfähig machen.

Dazu brauchen wir eine gemeinsam getragene moderne Industriepolitik. Die Bündnispartner wollen daher in den kommenden Wochen insbesondere folgende Themenfelder mit einem Aktionsplan aktiv voranbringen: Wir wollen Investitionen und Innovationskraft stärken. Als Industriestandort können wir uns weder Schlag- noch Funklöcher leisten. Wir brauchen mehr Investitionen in Infrastruktur, insbesondere bei Verkehrswegen und Brücken, in die digitale Infrastruktur, in Bildung und in der Energiewirtschaft. Wir müssen unsere digitale Infrastruktur in Richtung eines Gigabit-Netzes ausbauen.

Trotz aller Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung und zur Bewältigung der Flüchtlingsintegration muss dies weit oben auf der politischen Agenda bleiben. Insgesamt müssen wir unsere Förderung viel konsequenter auf Innovationen und Investitionen ausrichten und auch die vorwettbewerbliche und breitenwirksame industrielle Gemeinschaftsforschung ausbauen. Auch im privaten Sektor benötigen wir mehr Investitionen. Daher wollen wir entschieden die Einführung einer gezielten und wirksamen steuerlichen Forschungsförderung für kleine und mittelständische Unternehmen.

Wir wollen die industrielle Substanz durch zukunftsfähige Rahmenbedingungen festigen. Deutschland hat starke Kompetenzen, auf denen es aufbauen kann, um die Chancen des digitalen Wandels zu nutzen. Die Industrie ist Treiber für Wachstum und Wertschöpfung, Innovation und Fortschritt.

Nur mit einer modernen Industrie in Deutschland und Europa ist etwa eine gute Klimapolitik möglich. Umgekehrt brauchen die Unternehmen für neue Entwicklungen die richtigen Rahmenbedingungen. Dazu zählen ein guter Rechtsrahmen für Datenschutz und Wettbewerb, ein digitaler Binnenmarkt in der EU sowie der Ausbau des Instrumentenkastens für die Start-up-Szene.

In der Automobilindustrie müssen wir unsere Wettbewerbsposition bei neuen Antrieben schnell ausbauen und hier die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Bei den Großprojekten der Energiepolitik wie der Weiterentwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und der Reform des EU-Emissionshandels müssen die klima-, industrie- und beschäftigungspolitischen Aspekte gleichrangig berücksichtigt werden.

Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, brauchen einen effektiven und nachhaltigen Schutz vor Carbon-Leakage. Denn es hilft dem globalen Klima nicht, wenn sich energieintensive Industrien von Deutschland nach China oder in andere Drittstaaten verlagern.

Wir brauchen eine gute Ausbildung der Fachkräfte von morgen. Digitalisierung prägt bereits heute die Art, wie wir leben und arbeiten ― und wird es künftig noch stärker tun. Sie führt dazu, dass Arbeitsorte immer mehr auch zu Lernorten werden müssen.

Die duale Ausbildung in Deutschland hat eine lange Tradition und einen hervorragenden Ruf. Wir müssen diese fit für die Zukunft machen. Die Berufsschulen in Deutschland haben eine Schlüsselfunktion für die Aufrechterhaltung und die Qualität der dualen Berufsausbildung.

Dabei geht es nicht nur darum, sie konsequent auf die Vermittlung neuer Inhalte auszurichten, sie können auch eine neue Funktion durch die Nutzung der Infrastruktur für Fort- und Weiterbildung im Rahmen einer Strategie des digitalen Lernens bekommen. Das Bündnis Zukunft der Industrie setzt sich daher für zusätzliche Mittel für eine bessere Ausstattung der Berufsschulen ein. Wir wollen die europäische und internationale Integration der deutschen Wirtschaft stärken. In der EU ist ein funktionierender Binnenmarkt mit offenen Binnengrenzen ein zentraler Erfolgsfaktor für die deutsche Industrie.

Die deutsche Wirtschaft profitiert wie kaum eine andere von der europäischen und weltweiten Vernetzung. Knapp jeder zweite Euro unserer Wirtschaftsleistung beruht auf Ausfuhren, jeder vierte Arbeitsplatz im Land hängt unmittelbar vom Export ab ― in der Industrie sogar jeder zweite.

Nicht nur große Konzerne exportieren, sondern auch zwei Drittel unserer kleinen und mittleren Unternehmen, wie in den kommenden Tagen in Hannover zu sehen ist. Wir müssen deshalb unsere internationalen Handelsbeziehungen stärken und neue Märkte öffnen. Dafür ist fairer Wettbewerb die Voraussetzung. Nur so können wir die Chancen aus offenen Märkten ergreifen ― und unser Modell Deutschland durch gute international vereinbarte Standards im weltweiten Wettbewerb stärken.

Damit die Industrie auch in Zukunft der starke Kern der deutschen Wirtschaft bleibt, muss die Industriepolitik neu gestaltet werden. Denn Megatrends wie die demografische Entwicklung oder die Digitalisierung treiben strukturelle Wandlungsprozesse voran. Diese Neugestaltung kann nur im Dialog zwischen allen relevanten Partnern gelingen.

Neben den inhaltlichen Themenfeldern geht es auch darum, für mehr Akzeptanz zu werben und zu zeigen, wie bedeutsam die Industrie für Wachstum und Wohlstand in Deutschland ist. Ziel des Bündnisses ist, einen deutschlandweiten Dialog aufzubauen, in die Bundesländer und Kommunen zu gehen.

In diesem Dialog soll es darum gehen, die Akzeptanz von neuen, industriellen Großvorhaben in der Bevölkerung zu verbessern, die teilweise auf erhebliche Skepsis stoßen, aber umgekehrt für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands von hoher Bedeutung sind.

Das Bündnis soll bestehende Foren, Plattformen und Dialoge zwischen Sozialpartnern, Wirtschaft und Politik nicht ersetzen. Vielmehr sollen die bisherigen Ergebnisse und Forderungen branchenspezifischer Dialoge zusammengefasst, gewichtet, kommuniziert und in verbindliche Handlungsstrategien übersetzt werden. Das Bündnis „Zukunft der Industrie“ bündelt zentrale industriepolitische Kompetenzen auf nationaler Ebene, sorgt für eine verbesserte Abstimmung industriepolitischer Belange und führt Zuständigkeiten zusammen.

Gastbeitrag von Jörg Hofmann, Sigmar Gabriel und Ulrich Grillo im Handelsblatt am 22. April 2016
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