Stahlwerk Thüringen in Unterwellenborn
Verlängerte Erhol-Zeiten für ältere Beschäftigte

Mehr als die Hälfte der 700 Beschäftigten beim Stahlwerk Thüringen arbeitet im durchgehenden 4-Schichtsystem. Vor allem bei älteren Kolleginnen und Kollegen führt diese Belastung zu gesundheitlichen Problemen.

27. Oktober 201627. 10. 2016


Unter dem Motto „Gesund in Rente“ suchten IG Metall und Betriebsrat gemeinsam nach Entlastungsmöglichkeiten – und fanden mittels Tarifvertrag eine Lösung durch verlängerte Erhol-Zeiten für ältere Beschäftigte.

Die Frage, die sich anfangs stellte, war einfach und eindringlich: Wie kann man die Belastungen der Kolleginnen und Kollegen weiter reduzieren – wenn gleichzeitig technische Maßnahmen fast ausgeschöpft oder langfristig mit großen Investitionen verbunden sind. Schließlich sollten Beschäftigte in Zeiten fortschreitender Renten-eintrittsalter auch länger arbeitsfähig bleiben können. „Darauf eine Antwort zu finden, war alles andere als einfach“, sagt der heutige Betriebsratsvorsitzende Volker Schulze, der damals in der Tarifkommission mitverhandelte. „Wir haben viel diskutiert und am Ende eine Lösung gefunden.“

Bereits 2002 diskutierten die betrieblichen Akteure über eine Möglichkeit, die Arbeitszeit aller Beschäftigten zu reduzieren und möglichst schnell auf 35 Stunden herunterzufahren. Schließlich besitzt der Betrieb einen Anerkennungstarifvertrag des Tarifgebietes Stahl-Ost. Die Entgelte werden in einem Haustarifvertrag geregelt. „Außer der Arbeitszeit gibt es nur geringe bis keine Abweichungen zum Tarif Stahl-Ost.“ sagt Volker Schulze. Um auch dem Demografie-Problem entgegenzuwirken entstand schließlich die Idee, zunächst ältere Beschäftigte durch verlängerte Erhol-Zeiten gesundheitlich zu entlasten. Gleichzeitig spielte auch die Übernahme der Auszubildenden eine Rolle. Einverständnis herrschte darüber, dass Belastung nicht in Geld abgegolten werden sollte. „Zeit muss vor Geld gehen, wenn “echte„ Erhol-Zeiten herauskommen sollen“, so Schulze weiter.

Im Zuge der Tarifverhandlungen im Herbst 2003 wurde dann die Diskussion um zusätzliche freie Zeit als gesundheitspolitische Komponente ausgeweitet. In Mitglieder-versammlungen wurde über eine Arbeitszeitverkürzung diskutiert, die das Ziel einer stufenweisen Absenkung und damit die Angleichung der Arbeitszeit an den Mantel-tarifvertrag der Eisen- und Stahlindustrie Ost beinhaltete. Neben den Diskussionen der Mitgliederversammlungen wurde die Debatte und Zielsetzung auch im Info-Blatt „Profil“ des Betriebsrates aufgegriffen und dargestellt. Obwohl das Stahlwerk Thüringen im Jahr 2003 mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, gelang dennoch der Abschluss eines Tarifvertrages mit den folgenden Inhalten:

 

Belastungen für ältere Beschäftigte gesenkt

Zum 1. Januar 2006 trat für Beschäftigte im Vollschichtbetrieb eine stufenweise Ausweitung der Erhol-Zeiten und somit eine faktische Arbeitszeitverkürzung in Kraft. Der Vertrag sieht vor, dass Beschäftigte ab dem 52. Lebensjahr Anspruch auf eine Stunde Altersfreizeit pro Woche unter Fortzahlung des Arbeitsverdienstes haben. Ab dem 55. Lebensjahr erhöht sich der Anspruch auf zwei Stunden pro Woche und ab dem 58. Lebensjahr auf drei Stunden pro Woche. Schlussendlich ergibt das für die betreffenden Kolleginnen und Kollegen eine 35 Stunden-Woche.

Für Mitarbeiter im Normalschichtbetrieb gelten übrigens die gleichen Regelungen, beginnen aber erst mit dem 53., 56., und 59. Lebensjahr. Die Durchführungs-bestimmungen wurden in einer Betriebsvereinbarung geregelt, die im Juli 2005 abgeschlossen wurde und Anfang 2006 in Kraft trat.

Das Ziel, die Belastungen für ältere Beschäftigte zu senken, wurde also erreicht. Da die Regelungen aber lediglich für knapp ein Drittel der Belegschaft greifen, ist die Diskussion um eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche nicht beendet. „Ziel bleibt weiterhin, dass die Beschäftigten ihre Altersrente gesund erreichen können und nicht bereits vor Erreichen der Regelaltersgrenze mit Abschlägen aus dem Arbeitsleben ausscheiden müssen.“ Begleitet werden diese Diskussionen von der Debatte um die dringende Anhebung des Rentenniveaus. „Darüber hinaus findet im Betrieb derzeit eine Überarbeitung der Gefährdungs-beurteilungen statt, bei der die Erfassung psychischer Belastungen integriert wird.“