Das neue Lernen

Digitale Technik hält Einzug in die Betriebe und wandelt Arbeit grundlegend. Damit einher geht ein Wandel der Qualifikationsanforderungen. Bildung und Qualifizierung werden zum Schlüssel in der digitalisierten Arbeitswelt. Doch wie weit ist Deutschland in puncto Ausbildung 4.0? Eine Spurensuche.

1. September 20181. 9. 2018
Jan Chaberny und Jens Knüttel


Statt eines Schraubenschlüssels ist nun das Tablet eines der wichtigs­ten Werkzeuge für Niklas Bär – und die darauf laufende SPS-Software, ein Programm, mit dem man Anlagen steuern und programmieren kann. Es ist gar nicht lange her, da gab es in der Ausbildung zum Mechatroniker bei Bosch in Bamberg noch nicht die Möglichkeiten, die sich dem Auszubildenden durch die Einführung von Tablets mittlerweile bieten.

„Heute haben Störungen an Maschinen meist etwas mit Softwareproblemen zu tun, das sind meist IT-Probleme“, sagt der 21-jährige Nik­las Bär. Ein halbes Jahr nach Ausbildungsbeginn haben die Auszubildenden bei Bosch Tablets bekommen, seither arbeiten sie damit. Der angehende Mechatroniker betont: „Die Elektronik geht immer mehr in Richtung Programmierung.“


Neue Projekte werden möglich

Der Einsatz digitaler Technik ermöglicht die Entwicklung neuer Produkte, neuer Dienstleistungen, neuer Produktionsprozesse. Geschäftsmodelle ändern sich, Wertschöpfungsketten werden durchgerüttelt, Innovationsprozesse beschleunigt. Das hat Auswirkungen auf die Beschäftigten und ihre Arbeit.

Man muss kein App-Entwickler sein, um von der digitalen Arbeitswelt berührt zu werden. Betroffen sind alle Beschäftigten – denn digitale Technik hält überall im Unternehmen Einzug: Leichtbauroboter arbeiten Hand in Hand mit Beschäftigten, Rohlinge manövrieren sich durch die Produktion, Maschinen rüsten sich selbstständig um, digitale Assis­tenzsysteme wie Tablets und Datenbrillen vereinfachen mehr und mehr Aufgaben.

Wir erleben gerade einen grundlegenden Wandel der Arbeitswelt. Damit geht allerdings auch ein Wandel der Anforderungen an die Arbeit und die Qualifikation der Beschäftigten einher. Bildung und Qualifizierung werden zum entscheidenden Schlüssel für die digitale Arbeitswelt – oder kurz gesagt: Indus­trie 4.0 braucht Qualifizierung 4.0, Indus­trie 4.0 braucht Ausbildung 4.0.


Modernere Ausbildung

Ein einheitliches Bild, was sich wie und in welchem Tempo verändert, gibt es nicht, kann es auch gar nicht geben – dafür sind die Voraussetzungen in den Betrieben zu verschieden. Es tut sich allerdings einiges: So ist beispielsweise am
1. August für die indus­triellen Metall- und Elektroberufe eine modernere Ausbildungsordnung in Kraft getreten. In diesen Berufen werden jährlich rund 43 000 Auszubildende eingestellt. Betriebliche Ausbildungsinhalte und schulische Lerninhalte sind den neuen digitalen Anforderungen punktuell angepasst worden. Dafür hat sich die IG Metall gemeinsam mit den anderen Sozialpartnern starkgemacht.

Fester Bestandteil der Ausbildung sind nun Themen wie Digitalisierung der Arbeit, Datenschutz und Informationssicherheit. In den industriellen Metallberufen lernen die Auszubildenden so zum Beispiel den Aufbau und die Funktionsweise eines Mini-PC kennen. Sie recherchieren Informationsquellen, installieren Software. Wenn alle Bauteile in Betrieb sind, beginnt die Programmierung. Bei allen Arbeitsschritten müssen sich die beteiligten Auszubildenden in der Gruppe austauschen. Sie müssen lernen, in interdisziplinären Teams zu arbeiten. „Die Auszubildenden lernen immer noch die Grundfertigkeiten ihres Berufs“, sagt Marc-Oliver Bach, Ausbilder bei der AG der Dillinger Hüttenwerke im Saarland. „Sie müssen aber noch eigenständiger werden, über Fachgrenzen hinweg denken.“


Hochwertige Ausbildung braucht Engagement

Um die Auszubildenden auf die digitale Arbeitswelt vorzubereiten, braucht es aber auch einen engeren Austausch zwischen Betrieb und Berufsschule. Die IG Metall plädiert dafür, durch regelmäßige Treffen zwischen Lehrern und Ausbildern die Lernorte stärker miteinander zu verzahnen. Der Digitalpakt, mit dem die Bundesregierung auch die Berufsschulen in den nächsten Jahren technisch besser ausrüs­ten will, wird allein nicht ausreichen, um der Herausforderung gerecht zu werden. Eine qualitativ hochwertige duale Berufsausbildung braucht ausreichend engagierte und gut ausgebildete Lehrer – genauso wie Ausbilder.

Dabei sollten sich Berufsschullehrer und Ausbilder an moderne Technik gewöhnen: Das Tablet wird im Unterricht schon vielfach eingesetzt, als didaktisches Mittel, als ein Ins­trument, mit dem man kommunizieren, an Dokumenten arbeiten und so Teamarbeit lernen kann. „Das geschieht spielerisch“, sagt Jürgen Winkler, 51 Jahre alt, Betriebsrat und Ausbildungsleiter bei Bosch in Bamberg. 315 Auszubildende gibt es im Werk, 13 Ausbildungsberufe werden am Standort angeboten. Seit 33 Jahren arbeitet Jürgen Winkler bei Bosch. Er ist einer, der den Wandel im Blick hat, einer, der den Wandel gestalten will.


Drehen, schleifen, fräsen

An dieser Stelle müsse er aber gleich mal etwas richtigstellen, sagt Winkler, damit da kein falscher Eindruck entstehe. Auch in der digitalen Arbeitswelt, die in großen Schritten kommt, müssen nicht alle Mitarbeiter bis in die tiefs­ten Tiefen des Quellcodes programmieren, Maschinen vernetzen, Apps entwickeln und Softwareprogramme schreiben können. Insgesamt, schätzt Jürgen Winkler, seien es vielleicht zehn Prozent eines Ausbildungsjahres, die später Programmierer werden. Und ja, es stimmt: Auch hier bei Bosch in Bamberg, wo rund 7 700 Menschen vor allem Komponenten für den Antriebsstrang von Fahrzeugen produzieren, wird – Digitalisierung hin, Digitalisierung her – auch in absehbarer Zukunft noch gedreht, geschleift, gefräst werden. „Aber das heißt nicht, dass die übrigen 90 Prozent keine digitale Kompetenz benötigen. Ganz im
Gegenteil.“


Neue Kompetenzen

Die neuen fachlichen Inhalte seien wichtig für die Ausbildung. „Sie müssen allerdings an die Betriebe und deren Bedürfnisse angepasst werden“, betont Jürgen Winkler. Bei Bosch in Bamberg haben sie das getan. „Wir haben uns mit den Fach­abteilungen zusammengesetzt, mit Gruppenleitern und Meistern und haben versucht herauszufinden, welche Bedarfe wir jetzt am Standort haben – und welche wir in fünf Jahren haben werden.“

Um Anhaltspunkte zu bekommen, haben Winkler und seine Kollegen vom Betriebsrat viele Fragen gestellt: Welche IT-Sys­teme sind sinnvoll und könnten angeschafft werden? Welche digitalen Assistenzsysteme sind interessant? Wie verändern sie Arbeit und Abläufe in der Produktion? „Erst auf dieser Basis konnten wir uns überlegen, was das für unsere Ausbildung heißt, welche Kompetenzen wir neu vermitteln müssen.“ Nochmals bewusst geworden ist ihnen dabei: Die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die junge Menschen in den verschiedenen Ausbildungsberufen mitbringen müssen, mögen verschieden sein – jenseits aller Unterschiede allerdings werden in der digitalen Arbeitswelt Kompetenzen gefordert, die gleichermaßen für alle Beschäftigten wichtig sind. Soziale Fähigkeiten gehören dazu, Selbstlernen und Kreativität, Kommunizieren im virtuellen Raum und Teamarbeit über Abteilungen hinweg.


Austausch stärken

Diese Fähigkeiten eignen sich Auszubildende bei Benteler in Paderborn mit dem Konzept „Azubi lehrt Azubi“ selbst an. Das Prinzip: Technische Auszubildende vermitteln beispielsweise kaufmännischen Auszubildenden Grundkenntnisse aus ihrem Bereich und umgekehrt. Sie sollen dadurch ihr jeweils eigenes Fachwissen vertiefen, Zuständigkeiten an den Schnittstellen klären und durch das Wechselspiel gleichzeitig über den Tellerrand blicken. „Der Austausch unter den Auszubildenden ist sehr eng“, sagt Jan Waschkowski, der seine Ausbildung zum Werkzeugmechaniker im Februar abgeschlossen hat. Durch die Doppelrolle aus Lernendem und Lehrendem stärken die Auszubildenden ihre sozialen Kompetenzen. „Man berücksichtigt die Sichtweisen der anderen und gibt sich gegenseitig Anregungen, wie man Produkte für den Kunden besser machen kann“, sagt Jan Waschkowski. Beim Automobilzulieferer und Stahlproduzenten Benteler übernehmen die Auszubildenden so frühzeitig Verantwortung.

Ausbildungsleiter Jürgen Winkler von Bosch betont: „Die Auszubildenden haben viel Freiheit, sie können sich selbst organisieren und ausprobieren. Das ist sehr wichtig.“ Neben allen sozialen Kompetenzen ist zudem das Vermitteln grundlegender IT-Kenntnisse in der Ausbildungszeit elementar, ein Verständnis dafür, wie mit Daten gearbeitet wird und werden kann. „Es ist falsch zu glauben, nur weil man daheim ein Tablet rumliegen hat, könnte man schon professionell mit digitaler Technik umgehen“, sagt Winkler. „Dazu gehört mehr.“


Freiräume zum Ausprobieren

Über die Anforderungen in der modernen, digitalen Arbeitswelt kann Lara Zenker berichten. 19 Jahre ist sie alt, angehende Industriemechanikerin im ersten Ausbildungsjahr bei Porsche in Zuffenhausen. Wenn man mit Lara spricht, spürt man ihre Begeisterung, den Spaß, den sie in der Ausbildung hat. Das hat viel damit zu tun, dass Lara und ihre Kolleginnen und Kollegen Freiräume zum Ausprobieren bekommen. „Wir haben bei uns im Ausbildungszentrum eine komplette Montagelinie als Modell aufgebaut“, sagt sie, „an ihr können wir spielerisch Produktionsabläufe erproben und das Arbeiten über Abteilungsgrenzen hinweg trainieren.“

Sieben Stationen sind im Modell nachgebildet, ein ganzer Produktionsprozess kann simuliert werden, von der Logistik über die Fertigung bis zur Qualitätskontrolle. Die jungen Auszubildenden können in verschiedene Rollen schlüpfen, mal agieren sie als Teamleiter, mal werden sie in der Logistik eingesetzt, mal stehen sie am Fertigungsband. „Wir bekommen ein gutes
Gespür dafür, dass das Arbeiten in der digitalisierten Arbeitswelt schnell, komplex, vernetzt, kommunikationsintensiv ist“, sagt Lara Zenker. „Das ist eine Herausforderung. Aber es macht riesig viel Spaß.“

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