„Software-Entwicklerin wird mein Beruf“

Im Zuge der Transformation brauchen Autohersteller dringend Software-Entwickler. Deshalb drückt Leonie Grimm in der Fakultät 73 noch mal die Schulbank. Die Industriemechanikerin tauscht dort Schraubenschlüssel gegen Computer.

1. September 20201. 9. 2020
Christoph Böckmann


Drei Tage Java, einen Tag Mathe, dann noch ein bisschen Betriebssysteme und SQL und UML. Nichts verstanden? Macht nichts. Leonie Grimm ist es gewohnt, in fragende Gesichter zu blicken, wenn sie von ihrem Stundenplan erzählt. Sie erklärt dann routiniert: „Java ist eine Programmier-, SQL eine Datenbank- und UML eine Modellierungssprache.“ Die 23-Jährige hat gerade ein Qualifizierungsprogramm zur Software-Entwicklerin bei VW begonnen und steckt schon voll drin. Aber auch für sie fühlt sich das alles neu an. Noch vor wenigen Monaten stand die Industriemechanikerin in der Werkshalle und wollte eine Weiterbildung zur Technikerin starten. Doch da sie nach Feierabend gerne am PC zockt, schlug ihr Vater vor, sie solle sich bei der Fakultät 73 bewerben. Klar, der Papa, auch bei VW, hatte bereits von dem Programm gehört.

Die Fakultät 73 ist ein zweijähriges Qualifizierungsprogramm zum Software-Entwickler, das VW vergangenes Jahr an der eigenen Auto-Uni in Wolfsburg ins Leben rief. Warum? Der Konzern braucht dringend Programmierer. Denn VW plant, deutlich mehr der im Auto verwendeten Software selbst zu entwickeln: 2025 sollen 60 Prozent  aus dem eigenen Haus stammen. Heute sind es keine 10. Allein in Fahrzeugen der Marke Volkswagen sind heute bis zu 70 Steuergeräte mit Betriebssoftware von 200 unterschiedlichen Zulieferern zu integrieren. Dass das nicht ganz leicht ist, musste VW gerade schmerzlich erfahren. Die Produktion des neuen Golfs und des ID.3 kam ins Stottern, weil die Software Probleme machte. Mit Leonie und den anderen angehenden Software-Entwicklern der Fakultät 73 soll das besser werden. Jedes Jahr können 100 IT-Interessierte an dem 24-monatigen Programm teilnehmen. In Leonies Jahrgang, dem zweiten, sind 71 davon aus dem eigenen Unternehmen. „Ihnen zahlt VW während der Weiterbildung weiter ihr Entgelt. Nur auf Schichtzulagen müssen sie verzichten“, erklärt Leonie. Das sei fair, so ihr Urteil. Die 29 übrigen Teilnehmer erhalten eine Qualifizierungsvergütung von 1134,50 Euro.


Leonie soll VW zur Software-Schmiede machen

Gerardo Scarpino, der für Ausbildungsfragen zuständige Betriebsratskoordinator, erklärt: „Der Bedarf an Programmierern kann nicht allein durch Hochschulabsolventen gedeckt werden. Durch die Fakultät 73 können wir diese Lücke schließen. Gleichzeitig bekommen die Kolleginnen und Kollegen die Chance, sich unabhängig von ihrer Vorqualifikation zum Software-Entwickler zu qualifizieren.“ Das heißt: Wer bei dem Programm mitmachen will, braucht keinen speziellen Schul- oder Uniabschluss. Doch nicht alle Bewerber kann VW berücksichtigen. Als die Fakultät 73 vor einem Jahr an den Start ging, gab es für die 100 Plätze rund 1500 Interessenten. Ein Aufnahmetest entscheidet, wer dabei sein darf. Leonie hat das Auswahlverfahren gemeistert und kann Tipps geben: „Bei den Tests wurde vor allem technisches Wissen und die Fähigkeit zum logischen Denken abgefragt.“ Aber nicht nur der Test, sondern auch die Inhalte der Qualifizierung seien „knackig“. Allein Mathe sei auf einem Niveau wie im Abi oder gar Studium, berichtet Leonie.

Warum will die Metallerin trotzdem noch mal die Schulbank drücken? Zum einen weiß sie, wie gefragt Programmiererinnen sind, zum anderen macht ihr das „Coden“ einfach Spaß. Doch nicht für jeden ist das was. Deshalb setzen sich IG Metall und VW-Betriebsrat täglich dafür ein, dass auch die eine gute Perspektive haben, die lieber schrauben als programmieren.

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