„Wir brauchen Investitionen“

Steigende Ungleichheit, bröckelnde Infrastruktur. Der Wirtschaftsweise Achim Truger fordert ein massives Investitionsprogramm – und will Topverdiener stärker in die Pflicht nehmen.

1. März 20201. 3. 2020
Interview: Simon Che Berberich


Herr Truger, Sie fordern ein großes staatliches Investitionsprogramm. Wofür genau?

Achim Truger: Dass wir massiv in die Zukunft investieren müssen, liegt auf der Hand. Brücken, Turnhallen und Schulklos verfallen. Wir brauchen Investitionen für E-Mobilität, für Strom- und Datennetze, in den öffentlichen Verkehr sowie in Bildung und Forschung. Es geht um zweistellige Milliardenbeträge zusätzlich pro Jahr. Das kann man nicht von heute auf morgen umsetzen, aber schrittweise schon. Die Planungsämter und die Bauindustrie werden Kapazitäten aufbauen, wenn sie das verbindliche Signal erhalten, dass über mindestens zehn Jahre massiv investiert wird.


Sollten wir dafür auch Schulden machen?

Ja. Der Staat sollte die schwarze Null aufgeben. Die größte Bürde für unsere Kinder und Enkel wäre es, ihnen eine kaputte und veraltete Infrastruktur zu hinterlassen. Das ist viel schlimmer als etwas mehr Schulden. Die Kosten-Nutzen-Rechnung ist eindeutig: Der Nutzen von Investitionen ist enorm und die Kosten sind niedrig, weil der Staat sich derzeit zum Nulltarif verschulden kann.


Sie prangern die gestiegene Ungleichheit im Land an. Was ist Ihre Diagnose?

Seit Mitte der 1990er-Jahre gab es einen starken Anstieg der Einkommensungleichheit. Manche wissen gar nicht mehr, wohin mit ihrem Geld. Andere arbeiten in Niedriglohnjobs und machen sich Sorgen um die Miete. Das ist sozialer Sprengstoff. Demokratien vertragen solche Ungleichheit nicht gut. Übrigens kann eine gleichmäßige Einkommensverteilung auch ökonomisch helfen: Wer ohnehin reich ist, gibt zusätzliches Geld nicht aus. Geringverdiener und Mittelschicht tun das sehr wohl, und kurbeln damit die Konjunktur an.


Wie lässt sich die Ungleichheit bekämpfen?

Da gibt es viele Stellschrauben: Gute Bildung und Infrastruktur helfen. Topverdiener könnten etwas mehr Steuern zahlen. Der Mindestlohn ist wichtig. Und noch wichtiger ist die Tarifbindung. Starke Tarifbindung führt zu einer gleichmäßigeren Lohnstruktur. Das ist auch eine Aufgabe für die Politik. Sie kann die Tarifbindung stärken. Zum Beispiel, indem öffentliche Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden.


Aus der Wirtschaft kommen andere Vorschläge. Zum Beispiel: Unternehmenssteuern runter!

Das fordern Unternehmensverbände immer. Sie spannen die Konjunkturängste für sich ein. Sinnvoller wäre, untere und mittlere Einkommen zu entlasten und dafür im oberen Bereich, zum Beispiel jenseits von 100 000 Euro Jahreseinkommen, mehr hereinzuholen. Steuersenkungen auf breiter Front schwächen die öffentlichen Haushalte. Mit Schuldenbremse und schwarzer Null fahren wir dann schnell gegen die Wand. Der Staat müsste Ausgaben kürzen oder Massensteuern wie etwa die Umsatzsteuer erhöhen. Beides ist Gift für die Konjunktur.


Wo steht Deutschland in einem Jahr?

Wir können die Herausforderungen meistern, vom Klimaschutz bis zum Strukturwandel in der Industrie. Aber dazu dürfen wir uns nicht zurücklehnen und hoffen, dass die Marktkräfte es schon richten werden. Wir müssen und wir können die Zukunft aktiv gestalten.

 


Zur Person

Achim Truger ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Duisburg-Essen. Seit 2019 ist er Mitglied des Sachverständigenrats, der die Bundesregierung in wirtschaftlichen Fragen berät (die fünf Wirtschaftsweisen).

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