Entscheidung Sozialgericht Berlin
Hartz IV verfassungswidrig

Die Hartz-IV-Sätze verstoßen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Das Sozialgericht Berlin hat daher am 25. April dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungswidrigkeit des SGB-II-Regelbedarfs zur Prüfung vorgelegt.


25. April 201225. 4. 2012


„Ein menschenwürdiges Existenzminimum – dafür muss der Staat sorgen, wenn die Menschen dazu nicht selbst in der Lage sind. Tatsächlich sind die neuen Regelsätze so verfassungswidrig wie die alten“, kritisiert Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und für Sozialpolitik zuständig. „Es ist offensichtlich, dass bei der Neuregelung der Hartz IV-Leistungen im Jahr 2011 die Kassenlage und weniger die Verfassungslage maßgeblich war“, stellte Urban fest.


Hintergrund für die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010, das unter anderem eine transparente und nachvollziehbare Ermittlung beim Regelbedarf für Hilfeempfänger forderte.


Auch die Neuregelungen zu Hartz IV entsprechen nicht den gemachten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Nach Auffassung des Sozialgerichts Berlin sei bereits die Auswahl der unteren 15 Prozent der Alleinstehenden als Referenzgruppe mit massiven Fehlern behaftet. Sie sei ohne nachvollziehbare Wertung und damit willkürlich erfolgt. Es sei nicht begründet worden, wie aus dem Ausgabeverhalten dieser Gruppe auf eine Bedarfsdeckung der Leistungsberechtigten geschlossen werden könne. Die Referenzgruppe enthalte unter anderem auch Haushalte von Erwerbstätigen mit „aufstockendem“ Bezug von existenzsichernden Leistungen sowie Studenten im BAföG-Bezug und Fälle „versteckter Armut“. Es stelle einen unzulässigen Zirkelschluss dar, deren Ausgaben zur Grundlage der Berechnung existenzsichernder Leistungen zu machen.


Auch das Weglassen bestimmter Güter und Dienstleistungen aus dem Ausgabenkatalog der Einkommens- und Verbrauchsstatistik 2008 sei jedenfalls hinsichtlich der Positionen wie zum Beispiel Verkehr, Mahlzeiten in Restaurants/Cafés und Kantinen nicht nachvollziehbar.


Angesichts des Ausmaßes der aufgezeigten Fehler seien die Vorschriften zur Höhe des Regelsatzes (§§ 19, 20, 28 SGB II) verfassungswidrig. Für alleinstehende Personen müsse ab 2012 ein monatlicher Fehlbetrag von 36,07 Euro, für die klägerische Bedarfsgemeinschaft von ca. 100 Euro angenommen werden.


„Der Gesetzgeber hat mit statistischen Tricks die Regelsätze eiskalt klein gerechnet. Reicht bei den Einkommensschwächsten das Geld schon nicht zur Deckung des Bedarfs, reicht es bei den Hartz IV-Empfängern erst recht nicht“, sagte Urban. Er fordert die Bundesregierung deshalb auf, unverzüglich Langzeitarbeitslosen bedarfsgerechte und existenzsicherende Leistungen zu gewähren und die Regelsätze neu zu berechnen, bevor das Gesetz zum wiederholten Male vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird.

Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2012 – S55 AS 9238/12