Marquardt in Rietheim-Weilheim
Arbeitsplätze durch Weiterbildung sichern

Beim Autoschlüsselhersteller Marquardt im schwäbischen Rietheim-Weilheim können Beschäftigte nun mit Geld vom Arbeitgeber in Bildungsteilzeit gehen. Das haben Betriebsrat und IG Metall ausgehandelt. Außerdem sind die Arbeitsplätze gesichert.

27. Oktober 201627. 10. 2016


Die Hallen beim Autoschlüsselhersteller Marquardt im schwäbischen Rietheim-Weilheim haben sich in den letzten Jahren zusehends geleert. Viele Maschinen sind abgewandert nach Rumänien und Mazedonien. Bis zu 800 der 2500 Arbeitsplätze wollte die Geschäftsführung abbauen. Doch Betriebsrat und IG Metall haben durchgesetzt: Die Arbeitsplätze bleiben. Der Arbeitgeber investiert sogar einen zweistelligen Millionenbetrag für ein neues Entwicklungszentrum. Und er fördert die Weiterbildung der Beschäftigten. Sie können nicht nur bis zu sieben Jahre auf eigenen Wunsch Bildungsteilzeit gehen, so wie es der Tarifvertrag vorsieht. Marquardt zahlt sogar die Kosten.

Dafür haben die Beschäftigten drei Stunden Arbeitszeit hergegeben. Das war es ihnen wert. 83 Prozent der IG Metall haben für den neuen Tarifvertrag und für die Bildungsteilzeit gestimmt.

„Der Arbeitgeber wollte 12 Millionen einsparen. Die hat er bekommen. Aber dafür wollten wir auch etwas haben“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende Antonio Piovano. „Wir haben viele ungelernte Beschäftigte, die Schicht arbeiten. Sie haben weder die Zeit noch das Geld, um sich aus eigener Kraft weiterzubilden.“

 

Beschäftigte können sich nach eigenen Wünschen weiterbilden

Gerade für die ungelernten Beschäftigten ist Weiterbildung wichtig. Einfache Montagearbeit ist besonders von Verlagerung bedroht. Zudem sind die Roboter in den Werkshallen mehr geworden. Die Automatisierung und Digitalisierung schreitet auch bei Marquardt voran. Dadurch steigen die Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten. Sie brauchen daher unbedingt Weiterbildung. Die Qualifizierung, die für die veränderte Arbeit nötig ist, zahlt der Arbeitgeber.

Doch die Beschäftigten können sich auch nach ihren eigenen, persönlichen Wünschen weiterbilden, nach der der tariflichen Bildungsteilzeit, den die IG Metall letztes Jahr in der Metallindustrie durchgesetzt hat. Bei Marquardt erhalten sie für ihre Bildungsteilzeit dank des neuen Tarifvertrags nun auch Geld vom Arbeitgeber.

Das will Patrick Maurer nutzen. Der 26-jährige Industriemechaniker will sich zum Techniker fortbilden. „Ich will das für mich machen, weil ich mich weiterentwickeln will“, erklärt er. In anderen Betrieben müsste er dafür kündigen und die Techniker-Schule selbst zahlen. Bei Marquardt darf er nun für seinen Techniker raus aus dem Betrieb, mit vollem Recht auf Rückkehr auf einen gleichwertigen Arbeitsplatz, und bekommt er das Geld für seine Fortbildungskosten. Das findet Patrick Maurer gut. Deshalb ist er jetzt in die IG Metall eingetreten, so wie 140 andere Beschäftigte bei Marquardt, die vorher noch nicht dabei waren. „Ich will auch mitbestimmen und selbst entscheiden wie es weitergeht.“

 

Kandidat für den Betriebsrätepreis

Patrick Maurer ist nicht der einzige. Drei weitere Kollegen in seiner Abteilung wollen ebenfalls die neue bezahlte Bildungsteilzeit nutzen. Auch sein Meister ist unter den Bewerbern. „Die Beschäftigten waren ja schon während der Verhandlungen immer informiert. Wir haben in dieser Zeit 22 Abteilungsversammlungen gemacht“, erzählt Betriebsrat Piovano. „Seitdem sprechen uns ständig Kollegen an: Wann ist es denn so weit? Ich will auch in Bildungsteilzeit gehen.“

Für den neuen Tarifvertrag, die Sicherung der Arbeitsplätze und die bezahlte Bildungsteilzeit ist der Betriebsrat von Marquardt in Rietheim-Weilheim nun auch für den Deutschen Betriebsrätepreis nominiert worden. Mit dem Betriebsrätepreis wird gute Betriebsratsarbeit von einer Jury aus Arbeitsrechtlern und Gewerkschaftern prämiert. Die Preisverleihung ist Anfang Oktober in Bonn.