Interview in Augsburger Allgemeine
„Söder muss das zur Chefsache machen“

Bei Premium Aerotec sind bis zu 1100 Jobs gefährdet. IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner appelliert an die Staatsregierung, sich für das Augsburger Werk einzusetzen.

13. April 201913. 4. 2019


Die Horror-Nachrichten für Augsburg reißen nicht ab. Jetzt sind beim Luftfahrt-Zulieferer Premium Aerotec bis zu 1100 Jobs gefährdet. Blutet Ihnen als Augsburger und Ex-Chef der IG-Metall in der Stadt das Herz?

Jürgen Kerner: Mir blutet das Herz. Ich bin aber zuversichtlich, dass die zuletzt erfolgten Rückschläge nicht die industrielle Basis des Standorts gefährden. Dazu müssen wir jedoch weiter auf Innovationen in den Firmen pochen. Der Flugzeugbau ist eine Stärke Augsburgs. Die Unternehmen müssen aber hier beweisen, dass sie nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal besitzen.


Was heißt das konkret?

Lange waren Werke wie Augsburg als Airbus-Lieferanten so erfolgreich, weil sie im hohen Maße am Bau der Flugzeugrümpfe beteiligt sind. Doch in dem Jobs garantierenden Bereich drängen Anbieter aus anderen Ländern wie aus der Türkei und Italien vor. Deshalb muss der Standort Augsburg bestrebt sein, in die modernste, also effektivste Fertigung von Flugzeugrümpfen zu investieren. Es muss massiv Geld in Automatisierung und Digitalisierung gesteckt werden. Zudem müssen die Beschäftigten durch Weiterqualifizierung in diesem Prozess mitgenommen werden.


Ist die Fertigung in Augsburg zu teuer?

Den Beweis hat die Geschäftsführung, zumindest wenn es um Einzelaufträge geht, noch nicht erbracht. Das Hauptmanko für Premium ist jedoch: Im zehnten Jahr des Bestehens der Firma ist immer noch nicht geklärt, wie es mit dem Unternehmen weitergehen soll. Die jetzige Situation als 100-prozentige Airbus-Tochter ist unbefriedigend.


Weshalb ist das so?

Weil der Eigentümer zugleich der dominierende Kunde ist. Und der Eigentümer bestimmt, ob andere Kunden beliefert werden dürfen. Neue Kunden wären aber gut für Premium, schließlich brächte es zusätzliche Einnahmen. Doch als etwa Chinesen bei Premium Flugzeugteile angefragt hatten, wurde das von Airbus verständlicherweise abgelehnt. Der europäische Konzern will schließlich nicht einen Konkurrenten groß machen. Doch die Lage, in der sich Premium befindet, führt nicht zu dauerhaft schwarzen Zahlen, kann sich der Zulieferer doch nicht gegen Airbus behaupten. Es ist einfach nicht klar, ob Premium ein Lieferant oder Teil des Airbus-Konzerns ist. Ich könnte mir grundsätzlich vorstellen, dass die Firma ein Teil von Airbus wird oder einen zweiten starken Gesellschafter neben Airbus bekommt.


Liegt jetzt der Ball beim neuen Airbus- Chef Guillaume Faury?

Der Ball liegt beim Airbus-Chef. Faury will erfolgreich sein. Das Erfolgsprodukt von Airbus sind Flieger der A320-Familie. Und für diese Flieger werden Teile in Augsburg gefertigt. Faury hat angekündigt, sich für die Modernisierung von Fertigungsstandorten einzusetzen. Das könnte Augsburg helfen. In Augsburg muss die Produktion stärker automatisiert werden. Dafür müssen mehr Roboter eingesetzt werden. Wenn das Werk wettbewerbsfähiger wird, bekommt es von Airbus zusätzliche Aufträge.


Doch die Katze scheint sich in den Schwanz zu beißen. Es wird nicht genügend in Automatisierung investiert und deshalb bekommt Augsburg keine zusätzlichen Aufträge von Airbus.

Den Teufelskreis wollen wir als Belegschaftsvertreter durchbrechen. Wir schlagen Premium und Airbus ein Zugum-Zug-Modell vor: Danach muss Airbus den ersten Zug machen und mehr Arbeit für Augsburg in Aussicht stellen, dann sichern wir im Gegenzug zu, alles für eine möglichst effiziente und kostengünstige Fertigung zu unternehmen. Wir müssen von einer Manufaktur- zu einer Form der Serienfertigung bei Premium kommen.


Aber mehr Automatisierung heißt auch weniger Arbeitsplätze. Da beißt sich die Katze wiederum in den Schwanz.

Wir haben keine Alternative dazu. Nur so können wir große zusätzliche Arbeitspakete gewinnen und den Stellenabbau trotz Automatisierung möglichst gering halten.

 

Glauben Sie wirklich, dass der angedrohte massive Stellenabbau abgemildert werden kann?

Diese Hoffnung hege ich wirklich, zumal der Markt für Flugzeuge deutlich wächst. Da wäre es doch absurd, in Augsburg Stellen für hoch qualifizierte Mitarbeiter abzubauen. Airbus ist ein hoch profitabler Konzern. Wir als Gewerkschafter reichen dem neuen Airbus-Vorstand die Hand. Wir lehnen aber eine Kultur der Angst ab.

 

Doch die Firmenleitung von Premium verbreitet mit ihrer Ankündigung, im schlimmsten Fall bis zu 1100 der 3600 Stellen abzubauen, Angst.

Statt Angst vor Ostern zu verbreiten, erwarte ich von der Premium- Geschäftsführung, dass sie sich mit uns Arbeitnehmer-Vertretern bei Airbus stark für mehr Arbeitspakete für Augsburg macht. Die Premium-Chefs sollten den Beschäftigten lieber Mut machen und aufzeigen, wie der Standort in fünf Jahren der modernste innerhalb des Unternehmens werden kann.

 

Besteht jetzt nicht die Gefahr, dass viele Mitarbeiter in Augsburg gehen und etwa zum Triebwerkshersteller MTU nach München flüchten?

Diese Gefahr besteht wirklich. Denn die Region München boomt. Fachkräfte aus dem Bereich der Luftund Raumfahrt werden dort händeringend gesucht. Der Schuss könnte also für Augsburg relativ schnell nach hinten losgehen. Wir müssen daher noch vor der Sommerpause zusätzliche Arbeitspakete für das Augsburger Werk unter Dach und Fach bringen.

 

Bedarf es dazu der Hilfe der Politik?

Gerade aus bayerischer Sicht ist das unerlässlich. Schließlich ist die Luftfahrtindustrie im Freistaat eine wichtige Branche. Und Franz Josef Strauß ist einer der Väter des Airbus-Erfolgs. So muss Ministerpräsident Markus Söder das Thema zur Chefsache machen. Aber h die Bundesregierung muss sich einschalten. Es besteht schließlich die Gefahr, wenn nicht gegengesteuert wird, dass das Augsburger Premium-Werk auf Dauer ausblutet.

 

Das Interview führte Stefan Stahl und erschien am 13. April 2019 in der Augsburger Allgemeinen.

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