25. Februar 2021
Zukunftstarifvertrag bei Heller
Die Krise als Chance genutzt
Erst die Mobilitätswende – und dann Corona. Für 600 Beschäftigte beim Maschinenbauer Heller war 2020 keine Arbeit mehr da. Bis zu 250 Stellen sollen nun abgebaut werden, aber ohne Entlassungen. Die Zukunft der übrigen 1450 Beschäftigten haben IG Metall und Betriebsrat per Tarifvertrag gesichert.

680 Millionen Euro Rekordumsatz fuhr der Werkzeugmaschinenbauer Heller in Nürtingen 2019 noch ein. 2020 kam dann der Absturz auf 300 Millionen Euro. Es hatte sich angedeutet: Heller fertigt unter anderem Maschinen zur Bearbeitung von Verbrennungsmotoren, die rund 40 Prozent des bisherigen Umsatzes ausmachen. Doch die laufen aus. Die Autoindustrie steckt kaum noch Geld in den klassischen Verbrenner.

„Die Firma – aber auch wir als Betriebsrat haben die Transformation nicht mit dieser Dynamik im Blick gehabt“, meint der Betriebsratsvorsitzende der Heller Maschinenfabrik Bernd Haußmann selbstkritisch. „Und dann kam auch noch Corona.“

Für 600 der 1700 Beschäftigten war plötzlich keine Arbeit mehr da. Um möglichst viele Arbeitsplätze zu retten, hat der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber Kurzarbeit sowie Arbeitszeitabsenkungen auf eine 4-Tage-Woche vereinbart. Die IG Metall hat dem Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld zugestimmt. Bis zu einem Monatsgehalt verlieren die Heller-Beschäftigten dadurch im Jahr.

Zudem wurde vereinbart, dass Heller in Nürtingen bis zu 250 der rund 1700 Arbeitsplätze abbaut – über Abfindungen und Angebote zum Altersausstieg. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende Mai 2022 ausgeschlossen. „Trotzdem sind das harte Einschnitte“, gibt Haußmann zu. Aber sie haben gerettet, was ging.

Und Heller nutzt die Krise als Chance: Um nicht wieder in eine solche Notlage zu geraten, haben Betriebsrat und IG Metall in monatelangen Verhandlungen mit der Geschäftsführung einen Zukunftstarifvertrag durchgesetzt.


Tarifvertrag sichert Zukunft des Standorts

Die Zukunft des Standorts ist jetzt per Tarifvertrag gesichert. Dort steht schwarz auf weiß: Das Stammwerk von Heller in Nürtingen bleibt Entwicklungszentrum für alle Heller-Produkte sowie führender Produktions- und Montagestandort mit eigener Ausbildung. All das kann nun nicht mehr aus Kostengründen wegverlagert werden – etwa in die Heller-Standorte in Großbritannien, in die USA oder China. Nicht wachsweich versprochen, sondern hart per Tarif gesichert

Zudem sind in der Zukunftsvereinbarung Investitionen in den Standort festgeschrieben. Heller startet eine Innovationsoffensive, die gezielt neue Produkte definiert, die Arbeit bei Heller auch in Zukunft sichern. In dem Tarifvertrag vereinbarte die IG Metall die „kontinuierliche organisatorische und personelle Weiterentwicklung in allen Organisationseinheiten mit dem Ziel einer kontinuierlichen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“.

Das heißt: Produkte und Prozesse entwickeln – statt einfach nur sparen. Innovativ und besser – statt billiger.

Die Ideen für die Weiterentwicklung sollen von den Beschäftigten kommen. Betriebsrat und Arbeitgeber bereiten gerade ein systematisches Vorgehen für die Ideenfindung vor, die über bestehende Programme und übliche Kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) weit hinausgehen. Die Ideen der Beschäftigten werden gehört, bewertet und umgesetzt.


Mehr Qualifizierung – strategische Personalplanung

Die Beschäftigten werden für die Transformation umfangreich qualifiziert, vorwiegend während der Kurzarbeit. Heller bietet den Beschäftigten Aus- und Fortbildungen in Bildungsteilzeit sowie Stipendien an, auch über mehrere Jahre – mit vollem Rückkehrrecht. Auch die Auszubildenden etwa, für die nach der Ausbildung keine Arbeit da ist, können zu 100 Prozent in Kurzarbeit gehen und sich dabei weiterbilden. Geld dafür kommt vom Unternehmen und – wo möglich – aus staatlichen Fördergeldern.

„Wir haben schon seit längerem gesehen, dass die Arbeit nachlässt und haben frühzeitig angefangen zu planen. Wir konnten da auch auf unsere Erfahrungen aus der Krise 2008/2009 zurückgreifen“, erklärt Thomas Fruhstuck, Betriebsratsvorsitzender der Heller Services am gleichen Standort in Nürtingen sowie Leiter der Heller Academy.

„2020 haben wir uns dann dazu entschieden, den Weg der Zertifizierung von Schulungsmaßnahmen zu begehen. Es verging trotzdem fast ein Jahr von der Entscheidung bis zur Umsetzung der ersten Schulungsmaßnahme. Dabei stand das ganze Projekt mehrmals fast vor dem Scheitern, da die bürokratischen Hürden immens hochgelegt wurden und sich auch in dem laufenden Jahr mehrmals geändert haben.“

Seit Januar 2021 führt Heller nun selbst Schulungsmaßnahmen als zertifizierter Träger durch. Allerdings sind die Förderbedingungen heute schwieriger als damals, meint Fruhstuck. „Der Aufwand lohnt sich hoffentlich. Corona macht die Qualifizierung auch nicht einfacher.“

Wer wie qualifiziert wird – und mit welchen Maßnahmen, entscheiden Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam. So steht es in dem neuen Tarifvertrag, der damit die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Personalplanung gegenüber dem Betriebsverfassungsgesetz deutlich ausweitet: Betriebsrat und Arbeitgeber erarbeiten gemeinsam die Personal- und Qualifizierungsplanung. Dabei werden sie von Fachleuten des Transformationsprojekts der IG Metall Baden-Württemberg unterstützt – auch bei der Organisierung der Förderung und den Absprachen mit der Arbeitsagentur.

Die Ergebnisse werden regelmäßig kontrolliert und eventuell notwendige Nachjustierungen vorgenommen.


IG Metall-Mitglieder diskutierten mit und stimmten ab

Während der Verhandlungen besprachen die Mitglieder der gewählten IG Metall-Tarifkommission immer wieder das weitere Vorgehen mit den IG Metall-Mitgliedern im Betrieb und ließen sie darüber abstimmen.

„Wir haben unser Vorgehen in digitalen Mitgliederversammlungen offen diskutiert“, berichtet der Betriebsratsvorsitzende Bernd Haußmann. „Unsere IG Metall-Mitglieder erteilten uns dann den Verhandlungsauftrag, dass wir auch Abstriche auf tariflicher Ebene machen können, wenn wir im Gegenzug eine Beschäftigungs- und Zukunftssicherung erreichen.“

Im August 2020 standen dann erste Eckpunkte, bis Dezember feilschten Betriebsrat und IG Metall noch weiter mit dem Arbeitgeber um die Details. Der Tarifvertrag ist jetzt unterschrieben, die Beschäftigten wurden über Versammlungen, Briefe und Videobotschaften informiert.

 „Jetzt liegt es an der Umsetzung der vereinbarten Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, der Bereitschaft der älteren Kolleginnen und Kollegen die Ausscheideangebote anzunehmen, aber auch an einer wirtschaftlichen Stabilisierung der Märkte und einer weiteren positiven Entwicklung bei den Auswirkungen von Corona“, meint Bernd Haußmann. „Wir als Betriebsräte der beiden Heller-Firmen sind sehr zuversichtlich, dass die Zahl 250 deutlich reduziert werden kann und wir mit Altersausscheideprogrammen dieses Ziel erreichen.“

Für die mindestens 1450 Beschäftigten, die bleiben, ist die Zukunft gesichert – rechtlich verbindlich per Tarifvertrag.

„Wir hatten das Ziel, mit allen Beschäftigten durch die Krise zu kommen. Und wir wollten Sicherheit für die Beschäftigten und Perspektiven für die Zukunft. Das haben wir insbesondere erreicht über Vereinbarungen zu Qualifizierung, gesicherter Ausbildung und zur Übernahme der Azubis und dual Studierenden“, meint Gerhard Wick, Bevollmächtigter der IG Metall Esslingen.

„Die Verhandlungen und das Ergebnis bei Heller haben gezeigt, dass unsere tariflichen Krisenregelungen greifen und es möglich ist, passgenaue Ergänzungstarifverträge zu schließen. Die Forderungen des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall in der aktuellen Metall-Tarifrunde sind deshalb ein Schlag ins Gesicht für all unsere Mitglieder, die bereit waren, in der Krise befristete Verzichte gegen Beschäftigungssicherung zu akzeptieren.“


Besser mit Tarif

    Neu auf igmetall.de

    Link zum Artikel