7. Oktober 2021
Kurzarbeit Opel Eisenach
Stellantis will Steuerzahler und Beschäftigte blechen lassen
Opel Eisenach soll bis Weihnachten die Tore dichtmachen. Die Beschäftigten wurden in Kurzarbeit geschickt. Der Chipmangel sei schuld. Politik und Beschäftigte vermuten aber, der niederländische Mutterkonzern will auf ihre Kosten sparen.

Am Dienstag war Betriebsversammlung bei Opel in Eisenach, da ahnten die Beschäftigten noch nicht, dass sie drei Monate in Kurzarbeit geschickt werden. Mittwochabend ließ der Konzern dann die Bombe platzen. Der Chipmangel würde sie dazu zwingen, die Produktion bis Weihnachten zu stoppen: Kurzarbeit Null. Die Beschäftigten sollen zuhause bleiben. Die Ankündigung kurz nach der Betriebsversammlung zeigt, dass die Manager kritische Nachfragen von Belegschaft und Betriebsräten scheuten.

Nicht verwunderlich, denn irgendwie stinkt da was bei der Geschichte. Das vermutet Thüringens Ministerpräsident und wittert Trickserei auf Kosten von Beschäftigten und Steuerzahlern. IG Metall und die Opel-Betriebsräte sehen indes weitere rote Linien, die der Mutterkonzern Stellantis deutlich überschreitet.


Ministerpräsident wittert Trickserei

Die aktuelle Kurzarbeiterregelung in Deutschland hilft, Beschäftigung in der Corona-Krise zu sichern. Die IG Metall hatte darum vereinfachte Kurzarbeiter-Regelungen gefordert und das Arbeitsministerium um Hubertus Heil (SPD) lieferte. Vor knapp drei Wochen verlängerte das Bundesministerium die Regelungen nochmal. Damit gilt bis Jahresende, dass nur zehn Prozent der Beschäftigten eines Betriebes vom Arbeitsausfall betroffen sein müssen, damit der Betrieb Kurzarbeit anmelden kann. Und, dass die Bundesagentur für Arbeit den Arbeitgebern weiterhin die Sozialbeiträge bei Kurzarbeit in voller Höhe erstattet. Die Idee dabei ist: Eine unverschuldete Krise wie die Corona-Pandemie darf nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen. Auch hat die Finanzkrise von 2008 gezeigt, wer seine Beschäftigten in Kurzarbeit schickt, statt sie zu entlassen, kommt schneller wieder aus der Krise.

Gutes Recht also für Opel, die Kurzarbeit, die seit geraumer Zeit schon im Betrieb läuft, auch auf die letzte Schicht auszuweiten und so den Laden für die kommenden Monate ganz dicht zu machen? Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow bezweifelt das. Der Politiker wirft dem Konzern vor, seine Probleme auf Kosten der Steuerzahler zu regeln. „Es geht darum, ob das Kurzarbeitergeld mit einkalkuliert wird, für die eigene Gesamtproduktivitäts-Rechnung“, sagte Ramelow dem MDR. Wenn der Weltkonzern meine, gut durch die Krise gekommen zu sein, dann wäre das ein „bitteres Entlasten des eigenen Versagens auf dem Rücken der Steuerzahler“.


Niederländisches Management verteilt die Chips

Will sich der „niederländische“ Konzern Stellantis auf Kosten des deutschen Steuerzahlers bereichern, wie es Ramelow vermutet? Fakt ist: Computerchips, die mittlerweile zuhauf in Autos verbaut werden, sind Mangelware und einige Hersteller mussten daher schon in Kurzarbeit gehen. Fakt ist aber auch: Stellantis, zu dem der Opelkonzern gehört, baut weiterhin Autos. Zugegeben weniger als sie gerne würden, aber die Bänder stehen nicht in allen Werken still. Welche Werke die begehrten Chips bekommen und welche leer ausgehen und so die Produktion runterfahren oder gar aussetzen müssen, das entscheidet die Konzernzentrale in der europäischen Steueroase Amsterdam.

Geht es nach Stellantis, soll nun Eisenach zu den Verlierern gehören, das Werk bis Ende des Jahres die Tore verschlossen halten. Uwe Baum, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Opel, der selbst erst aus der Zeitung von den Plänen seines Mutterkonzerns erfahren hat, kritisiert diese scharf: „Bislang gab es das Gentlemen‘s Agreement, dass die Chips auf alle Werke verteilt werden, sodass überall produziert werden kann. Jetzt soll ausgerechnet in Eisenach das Werk komplett leer ausgehen“, so der Metaller.


Grandland muss in Eisenach bleiben

In Eisenach bauen die Beschäftigten den Opel Grandland. Also wird der nun vorerst nicht mehr gebaut? Nein, den wird es weiterhin geben. Nur soll der erstmal wieder in Sochaux in Frankreich gebaut werden. Der Witz an der Sache: Die Franzosen haben den Grandland längst aus ihren Produktionsportfolio genommen. „Den dort jetzt anlaufen zu lassen ist so, wie wenn man mit der Produktion eines ganz neuen Autos startet. Das kostet viel Zeit und Geld“, erklärt Bernd Lösche, Betriebsratsvorsitzender in Eisenach.

Für Lösche ist der Versuch, die Produktion in Eisenach für die kommenden drei Monate zu schließen und die Produktion nach Sochaux auf Kosten der Beschäftigten in Eisenach und der deutschen Steuerzahler zu verlagern, die erste rote Line. Der Konzern könnte aber aufgrund einer Gesetzeslücke damit durchkommen.

Schluss mit Lustig ist für den Betriebsratsvorsitzenden beim Thema Facelift Grandland: Eigentlich sollten die Beschäftigten in Eisenach nun beginnen, die neue Version des Grandland zu bauen, denn bald soll der in den Autohäusern verfügbar sein. Sollte nun Stellantis planen, den Grandland mit der überarbeiteten Karosserie auch in Frankreich zu bauen, würden sie den Beschäftigten in Eisenach ihr Produkt für die nächsten Jahre klauen. „Das werden wir nicht mit uns machen lassen“, kündigt Lösche an. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Baum betont, dass es auch nicht im Interesse von Stellantis liegen könne, den Beschäftigten die Arbeit wegzunehmen, da betriebsbedingte Kündigungen für alle Opel-Standorte bis 2025 ausgeschlossen sind. IG Metall und Betriebsräte hatten dies im Zukunftstarifvertrag erstritten.


Bis zu 11 Millionen Autos werden nicht gebaut

Nicht nur Opel, auch Volkswagen, Daimler, BMW und Ford mussten dieses Jahr bereits viele Wochen ihre Pforten schließen, da nicht genug Halbleiter auf dem Markt zu bekommen sind. Weltweit wissen Automobilkonzerne, aber auch Unternehmen wie Sony oder Microsoft nicht, wie ihren Chiphunger stillen können. Ergebnis in der Unterhaltungselektronik: Sonys und Microsofts neuen Spielkonsolen, die Playstation 5 und die Xbox Sieries X, sind seit Monaten ausverkauft.

Statt mit ihren neuen Produkten ordentlich Reibach bei Gamern zu machen, plagen sie Produktionsengpässe. Und auch den Aufschwung in der Automobilindustrie, der nun nach schwierigen Monaten der Corona-Pandemie einsetzt, bremst der Chipmangel kräftig ab. Die Beratungsgesellschaft Boston Consulting geht davon aus, dass zehn bis elf Millionen Fahrzeuge in diesem Jahr nicht gebaut werden können. Schuld an dem Chaos ist eine auf die Spitze getriebene Globalisierung und Managementfehler der Autoindustrie.


Globalisierung und Managementfehler zerstörten Wertschöpfung

Die Nachfrage nach Halbleitern ist rasant gestiegen. Kaum ein elektrisches Gerät kommt noch ohne die Silicium-Platinen aus. Doch obwohl die Chips so begehrt sind, ist der Preiskampf in diesem Segment äußerst hart. So gibt es Halbleiterproduktion fast nur noch in Fernost. Und die Hersteller dort müssen unter voller Auslastung fahren, sonst rentiert sich das Geschäft nicht. Mit einer Ausweitung des Geschäfts sind sie folglich zögerlich, vor allem da zuletzt nicht abzusehen war, wie lange die Corona-Pandemie Verkaufszahlen bei Autos und anderen Produkten bremsen würde.

Doch auch die Autohersteller sind schuld an ihrer Misere: Als die Autokäufe in der Corona-Pandemie einbrachen, stornierten sie ihre Chipbestellungen und dachten, sie können diese jederzeit wieder auf dem Markt bekommen. Pustekuchen. Als sich die Wirtschaft erholte und die Hersteller wieder loslegen wollten, waren andere schneller. Sie haben Stellantis & Co. die Chips vor der Nase weggeschnappt.

„Der Markt regelt das“ ist ein gern verwendeter Ausdruck von neoliberalen Managern. Doch was die studierten „Wirtschaftsexperten“ dabei gerne vergessen ist, dass das meist sehr lange dauert. Und auch bei den Chips ist es nicht anders. Erst Mitte kommenden Jahres soll der Rohstoffhunger langsam wieder gesättigt werden. Für deutsche Hersteller gibt es aber einen Lichtblick aus dem „Silicon Saxony“: Helfen, die gestaute Nachfrage abzuarbeiten, wird zu Teilen auch die neue Chip-Fabrik von Bosch, die gerade in Dresden an den Start ging. Der Zulieferer zeigt, dass Chipproduktion auch in der Bundesrepublik ein Zukunftsthema und lohnendes Geschäft ist. Politik und Unternehmen sollten sich ein Beispiel nehmen und die Chipproduktion in ganz Europa weiter fördern, um die heimische Industrie unabhängiger vom Weltmarkt zu machen. 


Stellantis vermeidet klare Stellungnahme zu Eisenach

Ob im Januar mit der Kurzarbeit in Eisenach Schluss ist und die Produktion endlich wieder richtig losgeht, ist recht unklar. Stellantis will sich hier alle Türen offenlassen. Der Konzern spricht nur davon, dass er im Januar die Produktion wieder anlaufen lassen wolle, sollte dann der Chipmangel überwunden sein. Nun sprechen Experten aber davon, dass bis Mitte nächsten Jahres der Halbleitermarkt angespannt bleibe. Dazu kommt, dass der Chipmangel in Eisenach seine Ursache in der Chefetage der Konzernzentrale in Amsterdam hat.

„Mit Stellantis vagen Aussagen können die Beschäftigten und wir Betriebsräte nichts anfangen“, schimpft der Eisenacherbetriebsratsvorsitzender Lösche. Er fordert das Management auf, Klartext zu sprechen. Zwar wird Dank IG Metall und den Opel Betriebsräten das Kurzarbeitergeld auf 92 Prozent aufgestockt, doch wie bezahlter Urlaub wird sich die Zeit für die Metallerinnen und Metaller bei Opel Eisenach nicht anfühlen. Die Angst ist groß, der Konzern plane das Werk langfristig zu schließen. Dass die Beschäftigten in Eisenach nervös sind, liegt an dem seit Jahren herrschenden strikten Sparprogramm. Das geht soweit, dass der Rasen um das Werk nicht mehr gemäht wird. Statt Technologieunternehmen sieht es in dem Eisenacher Betrieb nun eher nach Industrieruine aus.


IG Metall kämpft für stark gebeuteltes Westthüringen

Betriebsschließungen haben in den letzten Jahren das Bild in Westthüringen geprägt. Besonders Zulieferer waren betroffen. „Betriebe wie JD Norman, Mitec, Plastic Omnium und Autotest mussten schließen oder bekamen neue Eigentümer. Unterm Strich stand immer ein kräftiger Arbeitsplatzabbau“, berichtet Uwe Laubach, Bevollmächtigter der IG Metall in Eisenach. Statt wirklicher Transformation mit dem Aufbau neuer Produkte sei in seiner Region bislang nur Arbeitsplatzabbau zu erkennen, kritisiert Laubach die zuständigen Unternehmenslenker. So wundere er sich nicht, dass die Opelaner in Eisenach nervös wären.

Für die Beschäftigten und eine erfolgreiche Transformation will er kämpfen. Genauso die Betriebsräte und Beschäftigten von Opel. Die IG Metall hat bereits von politischer Seite Unterstützung für die Region zugesagt bekommen. So ist die IG Metall dabei, ein Transformationsnetzwerk aufzubauen, das den Wandel hin zur klimaneutralen Mobilität unterstützen wird. Zudem haben Politiker, nicht nur aus Thüringen, sondern auch aus Berlin, zugesagt, das Vorgehen von Stellantis in Eisenach genau unter die Lupe zu nehmen.


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