3. April 2018
Widerstand
Zuhause ist Meer
Wer an der Küste geboren wurde wie Amke Wilts-Heuse, geht hier nur weg, wenn es unbedingt sein muss. In Zeiten von Internet und mobilen Rechnern muss es nicht sein, findet die Betriebsratsvorsitzende von Thyssen-Krupp Marine Systems in Emden.

Im Sommer geht Amke Wilts-Heuse morgens vor der Arbeit manchmal kurz mit der Rosenschere durch den Garten. Zur Arbeit braucht sie zehn Minuten. Dabei genießt sie die frische Luft und den Blick über die Weite Ostfrieslands. Autokolonnen, die sich morgens und abends durch die Stadt wälzen oder Abgaswolken an Bahnhaltestellen kennt die Betriebsratsvorsitzende von Thyssen-Krupp Marine Systems in Emden nur von ihren Terminen in Hamburg, Essen oder Kiel. Großstadtluft ist nichts für die Ostfriesin.

Seit sie auf der Welt ist, lebt sie in Emden. Hier lebten ihre Großeltern, hier lebte ihre Mutter, hier lebt ihr Vater, hier geht sie nicht weg, wenn es nicht sein muss. „So sind wir Ostfriesen“, sagt die 47-Jährige, „uns verpflanzt man nicht so einfach.“ An der Heimat zu kleben ist für Amke alles andere als rückständig – im Gegenteil. In Zeiten von mobilen Telefonen, Rechnern und Internet können Menschen dort arbeiten, wo sie zu Hause sind. Es macht keinen Unterschied, ob ihr Büro in Emden oder in Hamburg ist. Amke sieht sich an der Spitze des Fortschritts.


Widerstand im Norden

Deshalb kann sie es immer noch nicht fassen, dass ihr Arbeitgeber ausgerechnet ihre Arbeitsplätze von Emden nach Hamburg, Bremen und Kiel verlagern wollte. 222 Menschen sollten umziehen, Konstrukteure, Ingenieure, Kaufleute, IT-Spezialisten – alle arbeiten am Rechner. Wenn sie in der Produktion am Band gestanden hätten und das Band an einen anderen Ort verlegt worden wäre, hätte Amke es ja noch verstanden. Aber so?

 

Amke Wilts-Heuse lebt seit 47 Jahren in Emden.
Amke Wilts-Heuse lebt seit 47 Jahren in Emden. Foto: Britta Cornelius

 

Bei einem Technologiekonzern, der sich als familienfreundlich bezeichnet? Das nennt Amke rückständig. Es ging schließlich nicht um die Arbeitsplätze. „Sie haben immer gesagt, dass sie alle Fachkräfte brauchen. Durch einen Umzug würden sie viele verlieren“, sagt die Betriebsrätin. Sie hätten sich etwas anderes gesucht, da, wo sie zu Hause sind. So war es schon einmal bei einer Verlagerung.

Amke schüttelt ihre roten Locken, sie ist immer noch entsetzt. Dann streckt sie den Rücken durch und sagt: „Aber wenn man Ostfriesen die Pistole auf die Brust setzt, geht schon mal gar nichts.“ Sie leisteten Widerstand, dort oben an der Küste, am Anfang der Welt. Organisierten Demos, Betriebsversammlungen und drehten ein Video, warum sie überall arbeiten können. Wie in dem Video trägt Amke auch an diesem Morgen ihr schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift: „Heimathafen Emden.“ Sie trug es auf ihrer ersten Betriebsversammlung, nachdem die Geschäftsführung die Verlagerung angekündigt hatte. Ein paar Wochen zuvor hatte sie es zufällig im Internet gefunden. Sie fand es schön und bestellte es. Nach ihrem Auftritt bei der Betriebsversammlung tauchten immer mehr Kolleginnen und Kollegen mit dem T-Shirt auf. Inzwischen ist es das Symbol für ihren Widerstand und ihren Willen, sich nicht einfach verpflanzen zu lassen.

Thyssen-Krupp Marine Systems nahm die Pläne vorerst zurück. 2020 will das Unternehmen erneut entscheiden, ob die Arbeitsplätze in Emden bleiben. Die Beschäftigten wollen die Zeit gemeinsam mit der IG Metall nutzen, um ihre Ideen für einen zukunftsfähigen Standort umzusetzen.


Seit drei Generationen im Schiffbau

Amke arbeitet seit 28 Jahren bei Thyssen-Krupp Marine Systems. Nach dem Abitur sagte ihr Vater: „Du gehst erstmal auf die Werft und lernst ein Handwerk.“ Auf der Werft haben auch ihr Vater und ihr Großvater gearbeitet. Schon ihr Großvater war in der IG Metall.

Amke blieb in Emden. Sie bedauert es nicht. Viele, die in jungen Jahren weggegangen sind, kamen irgendwann zurück. Amke ist 47 wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen. „Das ist das Alter, in dem die Eltern langsam Hilfe brauchen und die Kinder noch nicht ganz aus dem Haus sind“, sagt sie. Da zieht man nicht einfach mal 200 oder 300 Kilometer weiter. Ihr Vater ist 77. Jeden Freitagnachmittag geht sie auf einen Tee bei ihm vorbei. Ihre Tochter ist zwar ausgezogen, zum Studium nach Hildesheim, aber ihr Sohn ist 14 und geht noch zur Schule. In Emden hat sie ihre Freunde, ihr Haus, ihren Garten. Gartenarbeit ist für sie Erholung. „In Hamburg müsste ich dafür ins Fitnessstudio. Das ist für mich kein Ausgleich.“ Was für sie nicht gut ist, kann auch für ihren Arbeitgeber nicht gut sein. Die frische Luft, das Meer, die Küste sind ihr Ausgleich. Das gibt es in Hamburg und Kiel doch auch. „Ja,Hamburg und Kiel liegen am Wasser“, sagt Amke, „aber es ist nicht die Heimat.“


Für die Beschäftigten viel erreicht

Nach massivem Widerstand von IG Metall, Betriebsrat und Belegschaft hat Thyssen-Krupp Marine Systems die Schließung des Standorts Emden bis Ende 2020 ausgesetzt. IG Metall-Bezirksleiter Meinhard Geiken sagte dazu: „Trotz schwieriger und langwieriger Verhandlungen haben wir für die Beschäftigten viel erreicht. Statt über die Schließung sprechen wir jetzt darüber, wie der Standort und die Arbeitsplätze erhalten werden.“

IG Metall und Betriebsrat setzen sich dafür ein, die bislang ungenutzten Potenziale des Standorts etwa durch Kooperationen besser zu nutzen.


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