Unsere Werkshallen und Hütten brennen. Überall bauen Industriebetriebe Arbeitsplätze ab, verlagern, schließen. Besonders betroffen: Die Auto- und Zuliefererindustrie. Über 50 000 Arbeitsplätze gingen hier allein in den letzten 12 Monaten verloren.
Viele Industrieunternehmen wollen die Beschäftigten allein für die aktuelle Krise und die Transformation bezahlen lassen – obwohl es die Manager waren, die jahrelang verpennt haben in die Zukunft zu investieren. Jetzt fällt ihnen nichts Besseres ein als Personalabbau, Verlagerungen und Schließungen.
Schuld sei die Politik – und der teure Standort Deutschland, heißt es. Dabei liegt der Anteil der Lohnkosten in der Metall- und Elektroindustrie bei gerade mal 16,5 Prozent vom Umsatz. Und die Dividenden steigen und steigen: Für das Geschäftsjahr 2024 schütteten die 160 Unternehmen aus DAX, MDAX und SDAX die Rekordsumme von 62,5 Milliarden Euro an ihre Aktionäre aus – der dritte Rekord in Folge.
So nicht! Beschäftigte und IG Metall halten dagegen und kämpfen gegen den Kahlschlag, für die Zukunft von Standorten und Arbeitsplätzen.
Die Ausgliederung der Antriebssparte Division E beim Autozulieferer ZF mit bundesweit über 20.000 Beschäftigten ist vom Tisch. ZF will nun doch die elektrifizierten Antriebstechnologien aus eigener Kraft als „integralen Bestandteil“ weiterentwickeln. Das haben Gesamtbetriebsrat und IG Metall mit der Geschäftsleitung ausgehandelt.
Im Gegenzug soll bis 2027 eine halbe Milliarde Euro im hochverschuldeten ZF-Konzern eingespart werden – durch eine Absenkung der Arbeitszeit um 7 Prozent, tarifliche und betriebliche Beiträge sowie Effizienzmaßnahmen – jedoch ohne betriebsbedingte Kündigungen.
91 Prozent der IG Metall-Mitglieder der ZF-Standorte haben für das Verhandlungsergebnis zur Restrukturierung gestimmt. Fast 10.000 ZF-Beschäftigte hatten in den letzten Monaten mit bundesweiten Aktionen Druck gemacht.
„Dieses Ergebnis ist ein starkes Signal der Solidarität und des Zusammenhalts in schwierigen Zeiten“, betont Barbara Resch, Bezirksleiterin der IG Metall Baden-Württemberg. „Die IG Metall-Mitglieder bei ZF haben mit ihrem Votum gezeigt, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen – für die Zukunft ihrer Arbeitsplätze, ihrer Standorte und der Transformation bei ZF.“
Das Verhandlungsergebnis zeigt, dass Transformation nicht gegen, sondern nur mit den Beschäftigten gelingen kann, meint Helene Sommer, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben und IG Metall-Unternehmensbetreuerin für ZF. „Die Kolleginnen und Kollegen haben mit ihrer Zustimmung deutlich gemacht, dass sie bereit sind, diesen Weg mitzugehen – unter der Bedingung, dass Sicherheit und Perspektiven für die Menschen im Mittelpunkt stehen. Das Unternehmen wird nun seinen Teil dazu beitragen müssen – und daran werden wir es messen!“

„Mit einem blauen Auge davongekommen“: ZF-Aktionstag in Schweinfurt, wo besonders viele Beschäftigte in der Division E arbeiten.
Der Logistiktechnikhersteller Jungheinrich will 1000 Arbeitsplätze abbauen und das Werk Lüneburg schließen – trotz Rekord-Gewinn 2024 – und lehnt Gespräche über die Zukunft ab. Beschäftigte und IG Metall fordern einen Sozialtarifvertrag – und haben dafür zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit zwei Warnstreiks in Lüneburg Druck gemacht (großes Foto oben). Weitere Streiks sind in Planung.
„Wir lassen uns nicht einfach abwickeln“, macht IG Metall-Vertrauensmann Yusuf Cengiz klar. Sie fordern einen Sozialtarifvertrag und Zukunftsperspektiven für ihren Standort.
Firmengründer Friedrich Jungheinrich hatte vor mehr als 70 Jahren immer gesagt: „Ein Unternehmen ist kein Selbstzweck. Es hat den Menschen zu dienen.“
Dass Jungheinrich nun Gespräche über die Zukunft verweigert, ist aus Sicht von Beschäftigten und IG Metall ein Tabubruch.
„Die Kolleginnen und Kollegen haben sich vorbereitet – und sie sind entschlossen“, erklärt Florian Rebstock, Gewerkschaftssekretär der IG Metall. „Die Gesellschafterfamilie wird erklären müssen, warum sie jahrelang üppige Dividenden kassiert, sich aber ihrer Verantwortung für Lüneburg entzieht.“
13 000 Stellen will die Geschäftsleitung von Bosch bis 2030 an den deutschen Mobility-Standorten abbauen, obwohl in den letzten Jahren bereits 7500 Arbeitsplätze gestrichen worden waren. Damit will die Geschäftsführung eine drohende jährliche Kostenlücke von 2,5 Milliarden Euro schließen. Konzepte für die Zukunft? Fehlanzeige. Dabei hatte Bosch mit Betriebsrat und IG Metall Regelungen zur gemeinsamen Gestaltung der Transformation abgeschlossen, unter Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2027 – gegen Zugeständnisse der Beschäftigten.
Bundesweit wehren sich die Beschäftigten bei Bosch nun mit Demonstrationen.
„Statt wie vereinbart an den Standorten über Zukunftsbilder zu verhandeln, sollen nun erneut Tausende Menschen das Unternehmen verlassen“, kritisiert der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Bosch-Geschäftssektors Mobility, Frank Sell. „Es steht außer Frage, dass die Situation in der deutschen und europäischen Automobil- und Zulieferindustrie sehr angespannt ist. Einen Personalabbau dieser historischen Größenordnung - ohne gleichzeitige Zusagen zur Sicherung unserer Standorte in Deutschland - lehnen wir jedoch entschieden ab!“
Als Robert Bosch vor über hundert Jahren sein Unternehmen gegründet hat, sollte es nicht nur wirtschaftlich erfolgreich sein, sondern auch soziale Verantwortung übernehmen und dem Gemeinwohl dienen. „Ich zahle lieber mehr Lohn als mehr Dividende“, sagte Bosch damals. Doch heute scheinen dem Bosch-Management 3,17 Milliarden Euro Ebit-Rendite im abgelaufenen Geschäftsjahr 2024 nicht mehr zu genügen.
„Hinter den ‚Transformationsplänen‘ des Unternehmens verstecken sich oftmals auch knallharte Verlagerungspläne, um in „Best Cost Countries“ kostengünstiger zu entwickeln und zu produzieren“, kritisiert Adrian Hermes, Konzernbeauftragter der IG Metall und Aufsichtsratsmitglied bei Bosch. Mit der neuen Ankündigung werden über 20 000 Arbeitsplätze abgebaut sein – über ein Viertel der Arbeitsplätze von Bosch Mobility in Deutschland.

Bosch-Aktionstag gegen Stellenabbau vor der Konzernzentrale in Gerlingen bei Stuttgart 2024
„Robert Bosch würde im Grabe rotieren. Wir werden uns als IG Metall wehren“, macht die Erste Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner klar. „Es geht um viele tausend Beschäftigte von Bosch, die ihren Arbeitsplatz verlieren, es geht um deren Familien und es geht um Regionen, die Perspektive, Kaufkraft und Steuereinnahmen verlieren. Aber es geht auch um den Industriestandort als Ganzes, um Zuliefernetzwerke, die reißen. Um industrielle Strukturen, die brechen."
Die IG Metall fordert nun Verhandlungen, bei denen alle Kostenpositionen und Optionen auf den Tisch kommen – und Zusagen für deutsche Standorte insbesondere bei Zukunftstechnologien unter Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen.
„Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie Bosch sich aus der Verantwortung stiehlt und den Standort im Stich lässt“, betont Barbara Resch, Bezirksleiterin der IG Metall Baden-Württemberg. „Jetzt heißt es zusammenstehen – wir werden gemeinsam mit den Beschäftigten den Widerstand organisieren und für den Erhalt der Arbeitsplätze und eine starke Zukunft in der Region kämpfen.“
„Zukunft oder Widerstand“ – das war bereits vor drei Jahren das Motto der Beschäftigten beim Autozulieferer Musashi. Nun hat Lennard Aldag, erster Bevollmächtigter der IG Metall Celle-Lüneburg, dort einen weiteren Kampf zu führen. Damals, 2022, kämpften sie mit Warnstreiks gegen das Sparprogramm des Managements, das sich nicht um die Elektromobilität gekümmert hatte. Doch ihren damals erkämpften Zukunfts- und Sozialtarifvertrag, der die Beteiligung der Beschäftigten bei der Gestaltung neuer Produkte und Geschäftsprozesse beinhaltet, will das Management nun brechen: Zwei der fünf Standorte sollen ganz plattgemacht – und der Standort Lüchow, den Alldag betreut, zur Hälfte abgebaut werden.
Das lassen sich die kampferfahrenen Metallerinnen und Metaller bei Musashi nicht bieten. Aus allen Standorten kamen die Beschäftigten Mitte September zur Deutschlandzentrale im rheinland-pfälzischen Bad Sobernheim. Versuche des Arbeitgeberanwalts, den Warnstreik zu verhindern, liefen ins Leere: Die IG Metall holte die Polizei, um sich den zuvor verwehrten Zutritt in den Betrieb zu verschaffen. Und auch der Versuch, die Aktion verbieten zu lassen, scheiterte vor dem Arbeitsgericht.
Stattdessen muss Musashi nun mit der IG Metall über eine tarifliche Absicherung verhandeln. „Wir erwarten vom Arbeitgeber eine verbindliche Zusage zur finanziellen und sozialen Absicherung“, erklärt Ingo Petzold, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Bad Kreuznach und Unternehmensbeauftragter für Musashi.
Für den Fall, dass bis Ende November keine Lösung gefunden wird, bereitet die IG Metall eine Urabstimmung für einen Streik vor.
Überall in Deutschland kämpfen Beschäftigte gemeinsam mit der IG Metall für ihre Arbeitsplätze – und für die Zukunft unserer Industrie. Und es gelingt uns auch immer wieder, Abbau und Schließungen zu verhindern – etwa beim Autozulieferer Boge im rheinland-pfälzischen Simmern: Dort erkämpften Beschäftigte und IG Metall, dass die chinesische Konzernleitung die Fertigung von Eisenbahnteilen aus China nach Deutschland verlagert – und das Werk damit gesichert ist.
Doch die IG Metall sieht auch die Politik gefordert, endlich bessere Bedingungen für die Industrie zu schaffen – und so die Deindustrialisierung zu stoppen. Dazu gehören etwa günstigere Energiepreise, unter anderem die Einführung eines Industriestrompreises von 5 Cent pro Kilowattstunde (aktuell im Schnitt 18 ct/KWh), der schnellere Ausbau günstiger erneuerbarer Energien, von Stromnetzen, Speichern und Wasserstoff-Elektrolyse.
Zudem muss die Politik auf die veränderten Realitäten im Welthandel reagieren. Die IG Metall fordert daher Local-Content-Regelungen mit verbindlichen Quoten, um wieder mehr Wertschöpfung in Deutschland und Europa zu verwirklichen.
„Die USA und China haben sich vom fairen Wettbewerb verabschiedet“, erklärt die Erste Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, auf einer Industriekonferenz der IG Metall Ende September in Berlin. „Wir müssen dieser neuen Realität etwas entgegensetzen. Wir brauchen eine aktive Industriepolitik mit Gestaltungsanspruch. Der Markt allein wird es nicht richten.“
Dabei setzt sich die IG Metall auch Seite an Seite mit den Arbeitgebern in Berlin und Brüssel ein. Mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) etwa hat die IG Metall gerade eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht: „Jetzt Arbeitsplätze in der Automobilindustrie sichern“. Dort fordern sie bessere Rahmenbedingungen für die Elektromobilität und eine Flexibilisierung der CO2-Regulierungen. Das Ziel ist, dass „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und die gute Beschäftigung am Standort Deutschland dabei gewahrt bleiben.“
In der Stahlindustrie etwa demonstrierten Metallerinnen und Metaller bei mehreren Stahlaktionstagen für bessere Rahmenbedingungen und staatliche Förderung zum Umstieg auf klimaneutrale Technologien wie grünen Wasserstoff.
Umso enttäuschender ist es, dass die Arbeitgeber dann dieses Bündnis für unsere deutsche Industrie aufkündigen – und auf Abbau und Verlagerung setzen.
„Viele Arbeitgeber haben die gemeinsame Gestaltung des Wandels hin zu klimaneutralen Industrien aufgekündigt. Immer mehr stellen sich nicht mehr den gestalterischen Herausforderungen“, kritisiert Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall. „Statt auf Innovation und damit auf Wachstum zu setzen, versuchen sie Gewinne zu optimieren – das heißt: Arbeitsplätze abbauen und verlagern.“
So nicht! Die Arbeitgeber müssen Verantwortung übernehmen und sich zum Standort Deutschland bekennen – ansonsten müssen sie mit kampfbereiten Metallerinnen und Metallern rechnen. Zukunft oder Widerstand.