Auch die vierte Tarifverhandlung bei Volkswagen brachte keinen Durchbruch. Die Konzernspitze hatte angekündigt, Löhne kürzen, Werke schließen und Tausende Beschäftigte entlassen zu wollen – IG Metall und Betriebsrat haben ein Alternativkonzept vorgelegt.
„Trotz eines deutlich konstruktiveren Gesprächsklimas bleiben die Positionen weiterhin weit auseinander. Für die IG Metall ist entscheidend: Es muss eine Lösung ohne Standortschließungen und betriebsbedingte Kündigungen gefunden werden“, machte IG Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger nach der Verhandlung klar. „Investitionen in zukunftsweisende Geschäftsfelder müssen gesichert sein. Die Lasten zum Stemmen der Zukunftsinvestitionen dürfen nicht einseitig auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Auch Vorstand und Aktionäre sind in der Pflicht, ihren fairen Beitrag zu leisten.“
Im Ringen um Perspektiven für die finanziell unter Druck stehende Volkswagen AG haben Gesamtbetriebsrat und IG Metall der Arbeitgeberseite erneut ihren Zukunftsplan erläutert, welcher die Sparziele der Unternehmensspitze über Änderungen bei den Personalkosten mit circa 1,5 Milliarden Euro flankieren könnte. Weiterhin braucht es dafür im Gegenzug Garantien und Sicherheit, beispielsweise in Form einer neuen Beschäftigungssicherung, dem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen sowie Perspektiven für alle zehn Volkswagen-Werke in Deutschland. Nicht zuletzt müssen Vorstand und Anteilseigner zwingend einen Beitrag zur Zukunftsfestigkeit des Autobauers leisten.
„Die Atmosphäre unserer jüngsten Gespräche kann man vielleicht am ehesten als ‚bedingt gestaltungsbereit‘ beschreiben“, sagt Daniela Cavallo, Mitglied der IG Metall-Verhandlungskommission und Vorsitzende des VW-Konzernbetriebsrats. „Das ändert aber nichts daran, dass es bis zu einer möglichen Annäherung noch sehr weit ist. Wir sind bereit, den jetzt eingeschlagenen konstruktiven Weg nächste Woche konsequent weiterzugehen.“
Allein 38.000 Beschäftigte demonstrierten am Montag in Wolfsburg
Die Verhandlungen wurden am Montag von Warnstreiks an neun Volkswagen-Standorten begleitet. Hier legten bis zum Nachmittag rund 68.000 Beschäftigte vorzeitig die Arbeit nieder. Bereits in der letzten Woche waren 100.000 Beschäftigte bundesweit im Warnstreik.
Allein bei der Warnstreik-Kundgebung vor dem „Markenhochhaus“ im Stammwerk Wolfsburg demonstrieren am Vormittag 38.000 Beschäftigte aus der Früh- und Normalschicht gegen die Pläne des VW-Vorstands – Werkschließungen, Massenentlassungen, Lohnkürzungen.
„Wir sind kompromissbereit, doch für einen Kompromiss müssen beide Seiten aufeinander zugehen“, macht Christiane Benner, die Erste Vorsitzende der IG Metall in ihrer Rede klar – und verweist auf den Lösungsvorschlag von IG Metall und Betriebsrat, der durch Arbeitszeitverkürzung 1,5 Milliarden Euro einsparen würde. „Fakt ist doch: Das VW-Management hat seit Jahren viele falsche Entscheidungen getroffen. Ihr seid diejenigen, die VW erfolgreich gemacht haben. Und deshalb bin ich fassungslos über das Agieren eures Vorstands: Statt intelligenter Lösungen bieten sie Kahlschlag und Stellenabbau. Wir haben immer gesagt: Wir sind verhandlungsbereit. Aber wir sind auch kampfbereit.“
Benner sichert den VW-Beschäftigten die volle Solidarität der gesamten IG Metall zu – und überbrachte auch Grüße von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern aus ganz Deutschland und Europa. Kolleginnen und Kollegen aus Standorten des Volkswagen-Konzerns in ganz Europa sind heute zur Kundgebung nach Wolfsburg gekommen – von Audi in Ingolstadt und Neckarsulm, aus Tschechien, Polen und der Slowakei, aus Bosnien-Herzegowina und Italien. „Wir sind seit gestern hier, um uns als Arbeiterinnen und Arbeiter zu solidarisieren“, erklärt Mario Garagnani aus dem Lamborghini-Werk in Sant’ Agata bei Bologna, der eine Fahne der italienischen Metall-Gewerkschaft FIOM trägt. „Wir arbeiten lange Seite an Seite mit unseren Kolleginnen und Kollegen von der IG Metall zusammen.“
Nicht nur die internationale Solidarität, sondern auch das internationale Medieninteresse ist groß. Vor dem Beginn der Verhandlung in der Volkswagen-Arena befragen Kamerateams Volkswagen-Beschäftigte. Sie kommen aus ganz Europa, aus den USA – und sogar zwei Fernsehteams aus Südkorea sind hier. Bei Kia etwa kommt die Krise jetzt auch an, erzählen sie. Daher schauen sie dort genau hin, was bei VW passiert.
„Der Vorstand muss endlich zur Vernunft kommen und von seinen Maximalforderungen abrücken“, fordert die VW-Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo in ihrer Rede – und verweist auf die 23 Milliarden Euro Gewinn, die der Konzern noch 2023 gemacht hat. „Natürlich gilt es, die Gewinnkraft zu erhalten – aber nicht einseitig auf Kosten von Standorten und Beschäftigten.“
Cavallo wirft dem VW-Vorstand Realitätsverlust vor – und kritisierte sein Auftreten bei der Betriebsversammlung letzte Woche. „Da gibt es einen Vertreter aus dem Vorstand, der wünscht der Belegschaft hier im Stammwerk bei der Betriebsversammlung „Schöne Weihnachten“, und „dass alle mal wieder runterkommen“, und wir seien ja „eine coole Truppe“.
Cavallo erinnert daran, dass schließlich Generationen von Beschäftigten Volkswagen aufgebaut haben. „Die Generation wie mein Vater zum Beispiel, der mitgeholfen hat, Volkswagen groß zu machen, der schon die erste Generation unseres Golfs gebaut hat.“
Die ältere Generation ist heute auch hier, bei der Warnstreik-Kundgebung im Volkswagenwerk. Etwa Hans-Jürgen „Steini“ Steinbach, der 33 Jahre lang beim Werkschutz gearbeitet hat. „Zwei meiner Kinder arbeiten noch hier. Die Beschäftigten können nichts dafür, dass die Geschäftsführung eine falsche Modellpolitik betrieben hat: Luxus – statt Volkswagen fürs Volk“, findet „Steini“, der als Rentner weiter ehrenamtlich für die IG Metall in seinem Wohnbereich Gifhorn arbeitet und bei fast jeder Kundgebung unterstützt.
IG Metall und Volkswagen verständigten sich darauf, die Tarifgespräche am 16. und 17. Dezember fortzusetzen. Sollte es vor Weihnachten keine Einigung im Sinne der Beschäftigten geben, behält sich die IG Metall vor, Warnstreikmaßnahmen im Jahr 2025 deutlich zu intensivieren.
„Die Proteste von bisher mehr als 160.000 Teilnehmenden bis zum jetzigen Zeitpunkt hat Volkswagen mehr als nur registriert“, erklärt Thorsten Gröger, Verhandlungsführer und Bezirksleiter der IG Metall Niedersachsen-Sachsen-Anhalt. „Wir haben am Verhandlungstisch ebenfalls betont, dass wir keine weitere Eskalation wollen, aber wenn nötig auch bereit sind, den Tarifkonflikt weiter zuzuspitzen!“
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