29. Oktober 2019
Interview mit Mandy Anding
„Unser Job ist, dass jeder nach dem Umbau seinen Platz findet“
Elektroautos statt Verbrenner - im VW Werk Zwickau zeigt sich, was die Transformation der Mobilität bedeutet. Betriebsrätin Mandy Anding kämpft seit einem Jahr dafür, dass der Umbau nicht zu Lasten der Beschäftigten geht.

Gerade startet ihr in die Serienfertigung eures neuen Elektroautos, des ID.3. Ein Jahr lang habt ihr dafür bereits das Werk umgebaut, was bedeutete das für die Beschäftigten?

Mandy Anding, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende VW Sachsen: Die Fabrik wird bei laufender Produktion umgebaut. Das heißt, ein Teil der Mannschaft baut noch den Golf Variant während ein anderer schon den ID.3 fertigt. Es gibt aber auch Überschneidungen.

Der Mannschaft wird jede Menge abverlangt. Es kommt zu Personalverwirrbelungen, die ursprünglichen Teamkonstellationen haben keine Konstanz mehr. Das bedeutet, dass sich für einige das ganze soziale Umfeld ändert und das mitunter nicht nur ein Mal im Prozess. Darüber hinaus hatten wir während der Umbauphase Personalüberhänge zu steuern.


Wie genau steuert ihr den Personalüberhang? Das Thema wird Euch weiter begleiten, denn der Umbau geht ja noch weiter. Kommendes Jahr läuft bei Euch die Verbrennerproduktion aus, dafür sollen neben dem ID.3 noch fünf weitere Elektro-Modelle in Produktion gehen.

Uns ist es gelungen mit dem Arbeitgeber eine Regelung zu verhandeln, durch welche die Umbauzeiten nicht ausschließlich zu Lasten der Mannschaft gehen, sondern es eine faire Verteilung gibt.
 

Produktion des ID.3 in Zwickau. (Foto: Volkswagen AG)

Zum einen hilft uns dabei, dass die IG Metall in der letzten Tarifrunde die Wandlung des tariflichen Zusatzgeldes in 8 freie Tage für 3-Schichter und Beschäftigte mit speziellen Betreuungsaufwand durchsetzen konnte. Betrieblich konnten wir die Wandlungsmöglichkeit in 6 freie Tage für alle Kolleginnen und Kollegen durchsetzen. Dadurch können wir einiges abfedern.

Gleichzeitig haben wir ein neues Zeitkonto eingeführt, das nur zur Hälfte zu Lasten des Arbeitnehmers geht. Die andere Hälfte muss der Arbeitgeber tragen. Außerdem ist das Konto gedeckelt.


Die Interessenvertretung von Volkswagen konnte eine Beschäftigungsgarantie bis 2029 durchboxen. Wie habt ihr das denn geschafft? Ihr baut doch gleich nur noch Elektroautos, für deren Fertigung weniger Arbeitskraft benötigt wird, da weniger Teile verbaut werden.

Vor allem durch die gute Zusammenarbeit innerhalb der Betriebsräte der VW Standorte in Deutschland. Die IG Metall Fraktionen der Standorte arbeiten seit vielen Jahren eng zusammen. In Zwickau hilft uns die Kapazitätssteigerung. Künftig rollen gut 330.000 Autos vom Band, statt zuvor 300.000.


Für wie viele ändert sich der Job?

Es gibt auch bei uns im Werk Bereiche da bleibt alles gleich. Zum Beispiel werden wir weiterhin die Karossen für Bentley und Lamborghini bauen.

An anderer Stelle, zum Beispiel im Karosseriebau fallen dafür einfachere Tätigkeiten wie das Einlegen weg. Denn bei der Karosseriefertigung für den ID.3 wurde einiges automatisiert. Wir haben jetzt knapp 1600 Roboter im Einsatz. Dafür brauchen wir aber mehr Anlagenfahrer, also Beschäftigte, die die Maschinen steuern und überwachen.


Wer vorher Bauteile in eine Maschine eingelegt hat und nun Maschinen führen soll, der braucht eine Qualifizierung. Wie sieht die aus?

Nicht alle Einleger werden Anlagenfahrer. An einigen Stellen haben wir uns dafür eingesetzt, dass auch einfache Tätigkeiten weiterhin Bestand haben.

Die rund 200 zusätzlichen Anlagenfahrer, die perspektivisch im Werk zum Einsatz kommen werden, werden über mehrere Wochen bis hin zu Monaten auf die neue Technik geschult. Zudem haben 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Expertenschulung über bis zu 24 Monate zum Thema Elektrik/ Elektronik erhalten und 150 Kolleginnen und Kollegen wurden über 18 Wochen zu Elektrofachkräften geschult.


Wie läuft dabei die Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber?

Sicherlich gibt es bei Volkswagen eine andere Mitbestimmungskultur als in vielen anderen Unternehmen, doch wir fordern uns unser Mitspracherecht auch immer wieder ein. Der Umbau ist ein großer Kostenfaktor und natürlich versucht ein Unternehmen die Leute möglichst wertschöpfend einzusetzen.

Aber das funktioniert nicht einfach so. Bei 8000 Menschen sind wir auch nur ein Spiegel der Gesellschaft. Da gibt die unterschiedlichsten Interessenlagen, ob das nun Fragestellungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder der Einsatz von Kolleginnen und Kollegen mit gesundheitlichen Einschränkungen sind. Es ist unser Job aufzupassen, dass jeder nach dem Umbau seinen Platz findet und keiner hinten runter fällt.


Durch die bei euch fortschreitende Automatisierung könnte man meinen, dass die Arbeit durch den Kollegen Roboter leichter wird. Wie sieht die Realität aus?

Den Arbeitgebern geht es bei Transformation und Automatisierung um die Steigerung von Effizienz und Produktivität. Das Thema Ergonomie spielt nur teilweise eine Rolle. Damit das Thema Automatisierung aber für den Menschen genutzt wird und ihnen die Arbeit erleichtert, müssen wir als Betriebsrat häufig einfordern.


Ihr seid dabei alle Beschäftigten für das Thema Elektromobilität zu sensibilisieren. Wie muss man sich das vorstellen?

Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besuchen eine Tagesveranstaltung namens „Change Convention“. Hier können sie die neuen Komponenten anschauen und erfahren, wie der Umbau abläuft und wie das neue Auto funktioniert. Bislang besuchte rund die Hälfte der Beschäftigten dieses Event, die andere Hälfte folgt bis Ende des Jahres. Immer 70 pro Veranstaltung.


Ihr habt bestimmt das Thema Elektromobilität auch auf euren Betriebsversammlungen gehabt. Wie seid ihr das angegangen?

Wir hatten BVs, die wir bewusst zum Thema Elektromobilität durchgeführt haben. Wir luden dazu Experten ein, um aufzuklären und mit einigen Mythen aufzuräumen. Denn viel stimmt hier eben nicht oder wird stark dramatisiert. Zum Beispiel bei der Ladezeit: Wer von Zwickau von Amsterdam fährt, muss zwischendurch den Akku nur 35 Minuten laden. Dass bei dieser Strecke von über 700 Kilometern eine halbe Stunde Pause ganz guttut, das kann wohl jeder nachvollziehen.


Wie kommen die Change Convention und eure Expertengespräche bei der Belegschaft an?

Fast immer gut. Für die Belegschaft wird so das Thema Elektromobilität fassbarer. So ist es leichter sich darauf einzulassen.


Gibt es auch Sorgen in der Belegschaft?

Manche in der Mannschaft machen sich Sorgen, ob das Auto denn auch gekauft wird. Vor allem machen sie sich deshalb sorgen, weil die Ladeinfrastruktur noch nicht ausreichend zur Verfügung steht, weil sie zum Beispiel zuhause keine Ladesäule in der Nähe haben.


Ist das nicht eine berechtigte Sorge?

Bei der E-Mobilität muss man umdenken. Man fährt nicht mehr zum Tanken. Das Tanken kann zum Beispiel während des Einkaufens auf dem Parkplatz des Supermarkts miterledigt werden. Oder in der Parkgarage des Arbeitgebers, während man auf Arbeit ist. So muss nicht jeder zuhause seine eigene Ladestation haben. Aber es stimmt schon, die Politik muss beim Thema Ladeinfrastruktur noch deutlich nachlegen.


Welche Tipps kannst du an andere BRs geben, die selber gerade in der Transformation stecken?

Du musst den Prozess schon sehr intensiv mitbetreuen und genau gucken, was da gemacht wird. Die wichtigsten Themen dabei sind natürlich Beschäftigungssicherung, Qualifizierung und Ergonomie, damit es nicht zu Lasten der Beschäftigten geht. Aber auch die Entgeltsicherung muss man auf dem Schirm haben, wenn Beschäftigte durch den Veränderungsprozess den Job wechseln müssen.


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