14. Oktober 2025
Sozialstaat
Pflege-Reform: Was auf Beschäftigte zukommt – und wie es besser geht
Die Bundesregierung arbeitet an einem Neustart für die Pflegeversicherung. Aber wie genau soll die Reform aussehen? Die Arbeitgeberlobby will Leistungen kürzen und Beschäftigte zur Privatvorsorge zwingen. Die IG Metall hat eine andere Lösung – solidarisch und bezahlbar für alle.

Wenn Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) über das Thema Pflege spricht, scheut sie vor großen Worten nicht zurück. „Wir brauchen kein Reförmchen, wir brauchen eine grundlegende Reform“, sagte die Unionspolitikerin bereits im Sommer, als eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur gesetzlichen Pflegeversicherung startete.

Eine große Reform sei „dringend notwendig“, um das Pflegesystem „zukunftsfest zu machen“ und den Menschen „wieder mehr Sicherheit mit Blick auf die Pflege im Alter zu geben“.

Mittlerweile hat die Arbeitsgruppe der Ministerin erste Ergebnisse vorgelegt. Bis Jahresende sollen daraus Eckpunkte einer möglichen Pflegereform werden. 2026 will Ministerin Warken ihre Reform dann umsetzen.

Die kurz, aber heftig diskutierte Abschaffung des „Pflegegrad 1“ steht nicht auf der Liste der Pflege-AG. Trotzdem lassen die Vorschläge aus Sicht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wenig Gutes erwarten.

„Was bisher auf dem Tisch liegt, löst keines der vorhandenen Strukturprobleme“, sagt IG Metall-Sozialvorstand Hans-Jürgen Urban. „Der Vorschlag für eine obligatorische Privatvorsorge führt zu einer einseitigen Belastung der Beschäftigten.“

Urban kritisiert, dass die Reform-AG sich „unnötige Denkverbote“ auferlege – indem sie daran festhält, dass Versicherte auch in Zukunft einen großen Teil der Kosten selbst tragen müssen. „Wirkliche Entlastung brächte eine Bürgerversicherung, in die auch Beamte, Politiker und Besserverdienende einzahlen und die als Vollversicherung alle pflegebedingten Kosten übernimmt.“


Horrende Kosten

Schon heute reichen die Leistungen der Pflegeversicherung nicht aus. Die Zuzahlungen für Pflegeheimplätze sind kaum bezahlbar. Sie liegen im Schnitt bei mehr als 3100 Euro pro Monat. Nur sehr wenige IG Metall-Mitglieder erwarten laut Umfrage, dass sie diese Kosten stemmen können (siehe Grafik). 

Die große Mehrheit der IG Metall-Mitglieder sagt, dass sie im Pflegefall die Kosten nicht tragen kann.

Pauschale Leistungskürzungen würden die Mehrheit der Beschäftigten im Pflegefall hart treffen. Dass sie dennoch diskutiert werden – wie etwa die Abschaffung des Pflegegrads 1 – lässt für Arbeitnehmer nichts Gutes hoffen.

Auch der Vorschlag für mehr private Vorsorge muss Beschäftigte aufhorchen lassen. Denn wenn Pflegeleistungen privatisiert werden, dann kostet das Arbeiterinnen und Angestellte bares Geld.

Schließlich bedeutet private Vorsorge: Beschäftigte tragen die Kosten für die Zusatzvorsorge allein. Bei der gesetzlichen Pflegeversicherung teilen sie sich die Kosten mit den Arbeitgebern. Kein Wunder, dass Arbeitgeberverbände besonders laut nach mehr Privatvorsorge rufen.

Dabei zeigt das Beispiel Riester-Rente: Individuelle Zusatzvorsorge ist nicht nur ungerecht, sie funktioniert einfach nicht. Diejenigen, die sie am meisten bräuchten, können sich die privaten Policen gar nicht leisten. Am Ende profitieren vor allem Versicherungskonzerne, die schwer durchschaubare Verträge mit hohen Gebühren verkaufen.


Bürgerversicherung – solidarischer Neustart

Die Pflegeversicherung braucht einen Neustart, darüber sind sich alle einig. Aber Kaputtsparen und Privatisieren wäre dafür der unsozialste Weg. Und es ist auch nicht der einzige Weg – selbst wenn wirtschaftsnahe Politikerinnen und Ökonomen das immer wieder behaupten. Stattdessen lässt sich die Pflegeversicherung solidarisch reformieren.

Schritt eins wäre eine Obergrenze für die sogenannten Eigenanteile, also den Teil der Pflegekosten, den Versicherte oder deren Angehörige selbst tragen müssen. Sie sind so hoch, dass Pflege längst zum Armutsrisiko geworden ist.

Außerdem sollte der Bund Geld an die Pflegeversicherung zurückzahlen, das während der Coronapandemie für andere Zwecke verwendet wurde.

Herzstück einer großen Pflegereform wäre die Einführung einer Bürgerversicherung, in die alle Berufstätigen einzahlen.

Sie sollte als Vollversicherung künftig sämtliche pflegebedingten Kosten übernehmen, nicht nur einen Teil. Vollkasko statt Teilkasko: Ein großer Schritt zu mehr sozialer Sicherheit in einer Gesellschaft, die immer älter wird. Eine große Mehrheit der IG Metall-Mitglieder steht hinter dieser Forderung (siehe Grafik).

Die meisten IG Metall-Mitglieder wünschen sich eine Pflegeversicherung, die sämtliche pflegebedingten Kosten übernimmt.


Finanzierung auf breitere Basis stellen

Eine Bürgerversicherung würde die Finanzierung der Pflege auf eine breitere Basis stellen. Bislang sind Privatversicherte außen vor. Sie haben aber oft ein überdurchschnittliches Einkommen und weniger Gesundheitsrisiken. Durch diese Trennung ist die gesetzliche Pflegeversicherung systematisch im Nachteil.

Eine Bürgerversicherung, in die alle Berufstätigen einzahlen, würde die Spaltung beenden. Ergebnis wäre eine echte Solidargemeinschaft und das Ende der bisherigen Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Noch gerechter ließe sich die Pflege gestalten, wenn die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze angehoben würde – wenn sich Gutverdienende also etwas stärker an den Kosten des Sozialstaats beteiligen würden. Und wenn ein Beitrag zur Pflegeversicherung nicht nur auf Arbeitseinkommen fällig würde, sondern auch auf andere Einkommensarten – zum Beispiel Kapitalerträge oder Mieteinnahmen.

Berechnungen zeigen, dass mit einer solchen Reform eine „Vollkasko“-Pflegeversicherung möglich wäre. Und das bei stabilen Beitragssätzen.

Einfach wäre die Einführung einer Bürgerversicherung sicher nicht. Denn sie rüttelt an Privilegien. Aber Gesundheitsministerin Warken hat ja selbst gesagt: Sie will die Pflegeversicherung grundsätzlich neu aufstellen und nicht nur ein „Reförmchen“ wagen.

Wir sollten die Ministerin beim Wort nehmen.


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