2. September 2021
Interview mit dem Betriebsratsvorsitzenden
VW Salzgitter: Vom Motorenleitwerk zur Gigafactory
Ob Wettbewerber Tesla noch einzuholen ist, warum eine eigene Batteriefertigung für einen Elektroautohersteller so wichtig ist und wie aus einem Motorenwerk eine Gigafactory wird: Das erklärt Dirk Windmüller, Betriebsratsvorsitzender von VW Salzgitter im Interview.

Jahrelang haben Konzernlenker erzählt: Batterien kauft man besser ein, statt sie selbst zu fertigen. Jetzt baut Ihr in Salzgitter eine Gigafabrik zur Zellfertigung. Wie passt das zusammen?

Nur wer die Batterien selber fertigt, sitzt bei der E-Mobilität auf dem Fahrersitz: Für diese Erkenntnis haben wir IG Metall-Betriebsräte lange und intensive Diskussionen mit dem Vorstand geführt. Am Ende stand dann die gemeinsame Überzeugung, dass Leistung, Reichweite und Ladegeschwindigkeit eines E-Autos technisch im Haus beherrscht werden muss. Wenn man die Batterien extern einkauft, macht man sich abhängig und hat keinen Zugriff mehr auf Technik und Innovation. Wie wichtig die Batterie für das E-Auto ist, zeigen allein die Kosten: 40 Prozent eines E-Autos macht die Batterie aus

Wie habt Ihr die Batteriefertigung nach Salzgitter bekommen? 

Der Gesamtbetriebsrat bei VW hat schon 2010 den Aufbau der Batteriezellfertigung gefordert. Als sich VW nach Dieselgate und der Einführung verschärfter CO2-Grenzwerte für die E-Mobilität als Zukunftsgeschäft entschieden hat, war uns als Betriebsrat klar, dass wir handeln müssen, um unsere Beschäftigung abzusichern.

Denn Ihr seid ja ein Motorenwerk.

Salzgitter ist das Leitwerk von VW für Motoren, wir liefern in erster Linie an die fahrzeugbauenden Konzernstandorte in Europa. Volkswagen plant nun, dass 2030 circa 70 Prozent der in Europa verkauften Fahrzeuge E-Fahrzeuge sind. Das bedeutet: Es werden immer mehr Batterien und weniger Verbrennermotoren gebraucht. So haben wir Betriebsräte nach intensiven Verhandlungen 2016 einen Zukunftspakt durchgesetzt. Denn es macht keinen Sinn, auf einen Zug zu warten, wenn noch gar keine Gleise liegen.

Mit dem Zukunftspakt habt Ihr erstmal eine Pilotanlage bekommen. Warum war Euch die so wichtig?  

Unser Ziel war von Anfang an eine Batteriezellproduktion am Standort aufzubauen. Mit einer Pilotanlage haben wir die grundsätzlichen Kompetenzen aufgebaut, denn die hatte Volkswagen nicht. Nun ist die Entscheidung gefallen: die Batteriezellfertigung kommt. 2025 legen wir in Salzgitter mit der Produktion los. Ohne das Engagement des Betriebsrats und der IG Metall hätten wir das nicht geschafft und ohne eine solche alternative Produktion würden viele Arbeitsplätze verloren gehen.

Ihr spielt mit der Motorenfertigung in der Champions League. Jetzt startet Ihr in eine neue Sportart. Wie ist das für Euch?

Wir spielen tatsächlich in der Champions League, was Verbrenner angeht. Über 62 Millionen Motoren, vom Drei- bis zum Sechszehnzylinder, haben wir seit Bestehen des Werks gebaut. Aber wir sind überzeugt, dass wir auch parallel bei der Batterie ganz vorn mitspielen. Vor wenigen Jahren hatten viele noch bedenken, ob das mit der Elektromobilität alles so kommen wird. Aber nicht nur, wenn man die Zeitung aufschlägt, auch wenn man auf die Straße schaut, merkt man: Es tut sich was. Und natürlich: Wer bei einem ID.3 aufs Gaspedal drückt, wird sich schnell für die neue Sportart begeistern (lacht).

Sind beim Thema Batterie Wettbewerber wie Tesla überhaupt noch einzuholen?

Nun, die Vergangenheit zeigt: Wenn Volkswagen sich für einen technologischen Weg entschieden hat, dann wird dieser mit der geballten Kompetenz der gesamten Mannschaft und zwar nicht nur in Salzgitter, sondern mit allen Kolleginnen und Kollegen im Konzern gegangen. Der ID.3 und der ID.4 sind beispielsweise tolle Autos geworden. Aber ich bin auch überzeugt: Weitere Innovationen und das Thema Feststoffzelle werden in den nächsten Jahren noch mal die Reichweite und Ladezeiten wesentlich optimieren.

Welcher Batterietyp wird bei euch ab 2025 gebaut?

Wir werden in unserer Gigafabrik in Salzgitter eine Konzerneinheitszelle bauen, die in 80 Prozent der Konzernfahrzeuge passt. Darüber hinaus betreibt VW eine Kooperation mit Northvolt und plant 4 weitere Gigafabriken in Europa.

Und wann baut ihr die Feststoffzelle?

VW hat seit einigen Jahren eine Kooperation mit der US Firma Quantumscape, deren Experten an der Entwicklung einer Feststoffzelle arbeiten. Wenn diese Technologie serientauglich wird, dann werden wir als Betriebsräte uns dafür einsetzen, dass die dafür erforderliche Pilotlinie ebenfalls in Salzgitter aufgebaut und in Serie zum Einsatz gebracht wird. Aber das ist absolute Zukunftsmusik, wir konzentrieren uns nun auf den Aufbau der Zellfabrik und die damit verbundene Qualifizierung unserer Kolleginnen und Kollegen.

Seit einem halben Jahr habt Ihr in Salzgitter eine Pilotanlage zu Batterierecycling. Dabei läuft die Batterieproduktion ja erst 2025 an. Wozu braucht Ihr die jetzt schon?

Wir wollen mit der Pilotanlage Erfahrungen zum Thema Recyceln von Batterien aufbauen, um später mit hoher Kompetenz die Kapazitäten auszubauen. Hierbei geht es um Nachhaltigkeit, indem wertvolle Rohstoffe wieder in die Prozesskette der Herstellung zurückgeführt werden. Das sichert auf der anderen Seite auch Arbeitsplätze. Möglich machte die Pilotanlage unser Innovationsfonds 2, den wir im Tarifvertrag mit Volkswagen vereinbart haben. Der beschreibt, dass Volkswagen jedes Jahr 20 Millionen Euro für neue innovative Ideen zur Verfügung stellen muss. Ein Teil davon konnten wir für die Anschubfinanzierung der Pilotanlage durchsetzen.

Macht Ihr Euch mit dem Recycling auch unabhängig vom Markt für Batterierohstoffe? Da werden künftig Versorgungsengpässe erwartet.

Genau in diesen Zusammenhang ist Nachhaltigkeit für uns wichtig. Denn alles, was wir an Rohstoffen recyceln, müssen wir nicht aus der Erde ziehen. Unser Anspruch ist 95 Prozent aller Rohstoffe aus der Batterie wieder rauszubekommen. Aktuell sind wir bei über 70 Prozent. Aber Recycling ist nicht der erste Schritt.

Was ist der erste Schritt? 

Wenn die Batteriesysteme zurückkommen, prüfen wir, in welchem Zustand sie sind. Ist die Batterie nicht mehr leistungsstark genug, um nach einer Aufbereitung wieder ins Auto zu kommen, dann wird die Batterie für ein „Second Life“ genutzt. Sie wird also zum Beispiel in flexiblen Ladesäulen oder in stationären Batteriespeichern wiederverwendet. Wenn sie weder für das eine noch für das andere genutzt werden kann, wird sie recycelt.

Recycelt Ihr dann nur die eigenen Batterien oder kann da auch eine von Renault dazwischen sein?

Wir recyceln nur die Volkswagen-Batterien.

Weil Ihr da wisst, wie die zusammengebaut sind und wie man die am besten in ihre einzelnen Rohstoffe zerlegt?

Das stimmt, aber es geht auch um nachhaltige Verantwortung von eigenen Produkten für die Umwelt.

Woher kommen die Batterien, die Ihr in der Pilotanlage recycelt? Vom ID.3 können die ja noch nicht sein.

Nein, selbstverständlich nicht.  Die Batterien, die jetzt kommen, kommen aus Test- und Unfallfahrzeugen.

Wie viel Batterien werden in der Zellfabrik pro Jahr vom Band laufen?

Im Gegensatz zum einem Motorenwerk wird die Kapazität eines Batteriezellfabrik nicht in Stückzahlen gemessen….

…sondern in Gigawattstunden…

…genau. Das Werk wird anfänglich eine Kapazität von 20 Gigawattstunden pro Jahr haben. Das Ziel ist der Ausbau auf 40 Gigawattstunden.

Wie viel Autos sind das denn jetzt?

Die Frage zu beantworten ist schwierig. Der ID.3 wird beispielsweise mit drei verschiedenen Batteriegrößen angeboten. Für wie viele Autos wir Batteriezellen pro Jahr herstellen, liegt daran, welche Batteriegröße ins Fahrzeug eingebaut wird. Sind mehr kleine gefragt, versorgen wir mehr Autos mit unserer Kapazität. Sind vor allem die größeren Batterien gefragt, dann sind es weniger.

Machen wir mal ne Rechenaufgabe: 20 GWh hat Euer Werk am Anfang, die mittlere Batterie des ID.3 liegt bei 58 kWh. Das wären dann circa 300.000 Batterien für den ID.3 im Jahr.

So kann man rechnen. Aber wie gesagt, es hängt vom Kunden ab, welche Autos und Batterien er kauft.

Wie viele Arbeitsplätze werden hier in den kommenden Jahren entstehen?

Unser zuständiger Konzernvorstand hat deutlich gemacht, dass wir für den Start of Production 2025 1500 Beschäftigte benötigen. Meine persönliche Meinung ist, dass es nicht von Beginn an 1500 sein werden. Aber es auch nicht bei den 1500 bleibt, wenn wir 40 GWh produzieren werden. Auch für 2025 gilt: Eine neue Produktion hat immer eine An- und Hochlaufkurve. Und eins ist klar: Mit dem Wandel von der Motorproduktion hin zur Zellenproduktion steht eine riesige Herausforderung hinsichtlich der Qualifizierung der Belegschaft vor uns. Das ist eine wirkliche Transformation!

Was ist für Euch als Betriebsräte in dieser Phase wichtig?

Vorab haben wir abschließend Grundsätzliches geklärt: Auch in der zukünftigen Zellfabrik arbeiten ausschließlich VW-Beschäftigte, es gilt der Haustarifvertrag und wir als Betriebsrat sind zuständig. Wir müssen nun mit einem neuen Produkt und veränderten Arbeitsprozessen die Arbeitsbedingungen festlegen. Das wird nicht ohne Reibereien mit der Werkleitung abgehen. Aber da haben wir als IG Metall-Betriebsräte genug Erfahrung und Kompetenz, um die notwendigen Punkte im Interesse der Kolleginnen und Kollegen zu gestalten.

Wie qualifiziert Ihr die Leute für die neue Fertigung?

Da hilft uns unsere Pilotanlage. Wir haben aber auch eine Weiterbildung am Standort. Wir führen aktuell auf allen Ebenen Gespräche, um eine Batterieakademie aufzubauen. Mit ihr wollen wir Kompetenzen schaffen und Kolleginnen und Kollegen, auch von anderen Standorten, für die neuen Aufgaben qualifizieren. Denn VW will in Europa ja insgesamt sechs Gigafabriken aufbauen. Neben Salzgitter und in Kooperation mit Northvolt in Schweden sind vier weitere Fabriken in Europa geplant. Wir fordern als Gesamtbetriebsrat in diesen Zusammenhang eine zweite Zellfabrik für Deutschland.

Wann fangt Ihr mit der Qualifizierung am Standort an?

Die ersten Erfahrungen mit Qualifizierung haben wir schon mit den Kolleginnen und Kollegen für die Pilotanlage sammeln können. Der Start an Schulungen für die Zellfabrik wird aus meiner Sicht 2024 erfolgen, also ein Jahr vor Produktionsstart. Denn nach der Qualifizierung muss anschließend der konkrete Einsatz in der Produktion erfolgen, damit das Erlernte gleich in die Praxis umgesetzt werden kann.

Die Batterie kommt erst 2025, aber schon heute produziert Ihr in Salzgitter ein Teil, das in jedem ID.3-Elektromotor vorkommt.

Du spielst auf den Rotor-Stator an?

Genau.

Wir produzieren seit 2019 den Rotor-Stator. Auch das haben wir 2016 im Zukunftspakt durchsetzen können. Das ist das Herzstück des Elektromotors. In jedem ID.3 und ID.4 fährt ein Stück Salzgitter mit und darauf sind wir stolz. Und: Damit haben wir wieder über 200 Beschäftigte in der neuen Mobilitätswelt.

Wie geht es bei Euch mit dem Verbrenner weiter?

In unserer Standortvereinbarung haben wir sichergestellt, dass wir weiterhin die neusten Verbrennermotoren bauen werden - zum Beispiel auch für Plug-in-Hybride. Fakt ist: In den nächsten Jahren wird der Motor der wesentliche Teil unserer Produktion darstellen. Aber es werden zum Ende des Jahrzehnts hin sukzessive weniger.

Neue Geschäftsfelder wie die Batterieproduktion und Recycling auf der einen Seite, langfristiges Herunterfahren des Verbrenners auf der anderen Seite. Wie wird sich die Beschäftigtenzahl in den nächsten Jahren entwickeln?

Wir IG Metall-Betriebsräte haben eine Beschäftigungssicherung bis 2029 für alle Beschäftigten bei Volkswagen durchsetzen können. Denn Wandel braucht Sicherheit. Ansonsten entsteht Angst. Und Angst ist im Wandel ein ganz schlechter Begleiter. Langfristig werden es trotzdem weniger Arbeitsplätze in Salzgitter werden. Denn Beschäftigung ist tendenziell weniger in der E-Mobilität vorhanden als beim Verbrenner. Das werden wir ausschließlich über Altersteilzeit auffangen. Hier kommt uns der demographische Faktor entgegen, denn für die geburtenstarken Jahrgänge haben wir gute ATZ- Regelungen um- und durchsetzen können. Abschließend will ich aber deutlich machen: Die Zukunft von Volkswagen findet nicht ohne, sondern mit dem Standort Salzgitter statt. Dafür lohnt es sich zu streiten!


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