Am 25. November ist es in vielen Betrieben unübersehbar: Vor den Werkstoren hängen Banner mit der orangenen Hand, in den Kantinen liegen Flyer mit Notrufnummern aus, und im Intranet tauchen Fotos von Kolleginnen und Kollegen auf, die ernst in die Kamera schauen. Der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen hat längst seinen Platz in den Betrieben gefunden. Beschäftigte, Betriebsräte und Vertrauensleute machen sichtbar: Gewalt gegen Frauen geht uns alle an – auch am Arbeitsplatz.
Die Zahlen sind alarmierend. Gewalt gegen Frauen findet in allen gesellschaftlichen Bereichen statt. Am Arbeitsplatz hat bereits jede dritte Frau sexuelle Belästigung erlebt, unter den 18- bis 29-Jährigen sogar jede zweite. Für Betroffene ist es oft schwer, sich zu wehren – aus Angst vor Nachteilen oder weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden können.
Umso wichtiger ist es, dass klare Strukturen bestehen: Betriebsräte und Vertrauensleute sind erste Ansprechpartner, die betriebliche Beschwerdestelle, bei der Beschäftigte vertraulich Meldung machen können, muss laut Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in jedem Betrieb eingerichtet sein. Zudem bieten die jeweiligen IG Metall Geschäftsstellen Mitgliedern vertrauliche Hilfe und Rechtsschutz.
Wie wichtig es ist, das Thema sichtbar zu machen, zeigt Nadine Freitag, Mitglied der Vertrauenskörperleitung bei Mercedes-Benz in Ludwigsfelde. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen organisiert sie in diesem Jahr bereits zum dritten Mal eine Aktion zum Tag gegen Gewalt an Frauen. Herzstück ist eine Fotoaktion, bei der Beschäftigte ihre Hand gegen Gewalt erheben – die Bilder werden im Intranet, in den Bereichen an den Litfaßsäulen und vor dem Betriebsrestaurant der Kantine gezeigt. „Es geht darum auf die Lebensrealität vieler Frauen aufmerksam zu machen“, sagt Nadine. „Mit unserer Aktion zeigen wir, dass wir das Thema im Betrieb ernst nehmen – am Aktionstag selbst, aber auch an jedem anderen Tag im Jahr.“
Die Resonanz in den letzten Jahren sei positiv gewesen, berichtet sie: „Manchmal haben die Leute Flyer oder Notrufnummern von unseren Info-Ständen unbeobachtet mitgenommen“, erinnert sich Nadine. „Alleine damit haben wir schon eine Menge erreicht: Vielleicht erinnern sie sich später daran, wenn sie selbst oder jemand im Kollegen-, Freundes- oder Familienkreis Hilfe braucht.“ Die Flyer mit den Notrufnummern werden bei Mercedes-Benz in Ludwigsfelde auch außerhalb des 25.11 ausgelegt.
Auch bei Volkswagen Salzgitter setzt das Frauennetzwerk ein starkes Zeichen. Müge Kilic, Frauensprecherin in der Vertrauenskörperleitung, schildert, was sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen gemeinsam geplant hat: „Wir hängen große Banner an allen Werkstoren auf und verteilen Sticker, die Kolleginnen und Kollegen sichtbar anbringen können. Damit zeigen wir: Wir sind solidarisch und wir schweigen nicht.“ Zusätzlich gibt es einen Empowerment-Kurs und eine Sonder-Sitzung der Vertrauensfrauen mit einem Vortrag über Handlungsmöglichkeiten bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.
Mit ihren Aktionen wollen Müge und ihre Kolleginnen Betroffene ermutigen, sich Unterstützung zu holen. „Gewalt ist niemals die Schuld der Betroffenen. Hilfe zu suchen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke“, betont sie. Zugleich richtet sie den Blick nach außen: Die Politik müsse mehr tun, um Frauen wirksam zu schützen. „Frauenthemen werden oft vernachlässigt – dazu gehört auch Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz.“
Genau hier setzt die Kampagne des DGB zum Tag gegen Gewalt an Frauen an. Im Mittelpunkt steht die zügige Einführung des Gewalthilfegesetzes. Die Dringlichkeit ist offensichtlich: Jeden zweiten Tag wird eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet, alle drei Minuten wird eine Frau Opfer häuslicher Gewalt. Dennoch fehlen tausende Frauenhausplätze, die Finanzierung ist lückenhaft und vielerorts von Spenden abhängig. Der DGB und die IG Metall fordern deshalb eine konsequente Umsetzung des Gewalthilfegesetzes, eine ausreichende Finanzierung des Hilfesystems und einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für alle Betroffenen – unabhängig von Einkommen, Aufenthaltsstatus oder Herkunft.
Der 25. November ist damit weit mehr als ein Aktionstag. Er ist ein Appell an alle Beschäftigten, hinzusehen und zu handeln. Gewalt darf nicht verschwiegen werden – weder im privaten Umfeld noch im Betrieb. Für die IG Metall ist klar: Respekt und Sicherheit am Arbeitsplatz sind kein Luxus, sondern ein Recht.