6. Oktober 2020
Pflege
Armutsrisiko bleibt: Warum Spahns Pflegereform zu kurz greift
Gesundheitsminister Spahn will Pflegebedürftige und deren Angehörige entlasten. Doch das zentrale Problem der Pflegeversicherung lösen seine Vorschläge nicht.

Stationäre Pflege ist teuer. So teuer, dass Pflegebedürftige und deren Angehörige sie oft nicht bezahlen können . Die Pflegeversicherung deckt nämlich nur einen Teil der tatsächlich anfallenden Kosten. Alles was darüber hinaus geht, müssen Pflegebedürftige aus eigenen Mitteln stemmen. Aktuell liegt der Eigenanteil für stationäre Pflegekosten im Bundesdurchschnitt bei 786 Euro pro Monat. Anfang 2018 waren es noch 593 Euro.

Dieses Problem will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun anpacken. Er schlägt vor, den Eigenanteil an den stationären Pflegekosten auf 700 Euro im Monat zu begrenzen. Diesen Betrag sollen Pflegebedürftige maximal 36 Monate lang zahlen müssen. Die Zahlungen für häusliche Pflege – Pflegegeld und Sachleistungen – sollen mit der Inflationsrate steigen.

Außerdem sollen Pflegeheime und ambulante Pflegedienste ihre Beschäftigten künftig nach Tarif bezahlen müssen, wenn sie Leistungen mit der Pflegeversicherung abrechnen wollen.

Die Debatte um die Pflege ist damit wieder offen. Aus Sicht der IG Metall greifen Spahns Vorschläge aber zu kurz.


Armutsrisiko bleibt

„Der von Spahn vorgeschlagene Deckel der Eigenanteile ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt Hans-Jürgen Urban, der im IG Metall-Vorstand für Sozialpolitik zuständig ist. „Viele Pflegebedürftige werden auch weiterhin insgesamt über 2000 Euro im Monat für ihre stationäre Pflege zahlen müssen. Pflegebedürftigkeit bleibt so mit einem hohen Armutsrisiko verbunden.“ Spahns Vorschlag klinge vielversprechend, werde jedoch bei vielen falsche Hoffnungen wecken und bleibe hinter den Anforderungen zurück.

Denn die pflegebedingten Kosten – die Spahn deckeln will – sind nur ein Teil der Gesamtkosten, die Pflegebedürftige aus eigenen Mitteln für die stationäre Pflege zahlen müssen. Dazu kommen die Kosten für Unterkunft und Verpflegung und sogenannte Investitionskosten. Rechnet man alle drei Posten zusammen, kommt man auf einen Betrag von durchschnittlich 2015 Euro, den Pflegebedürftige aktuell für die Pflege im Heim aufbringen müssen. Die regionalen Unterschiede sind groß: In NRW kostet die stationäre Pflege sogar 2405 Euro monatlich.

Hinzu kommt: Selbst Eigenanteile von 700 Euro können sich viele Pflegebedürftige nicht leisten. Sie werden weiterhin Sozialhilfen beantragen müssen. Und wer einen Eigenanteil von unter 700 Euro hat, wird durch Spahns Reform überhaupt nicht entlastet.


Pflegeversicherung bleibt „Teilkasko“

Letztlich geht Spahns Reformkonzept am Grundproblem der Pflegeversicherung vorbei: Die Pflegeversicherung ist als einzige Sozialversicherung keine Vollversicherung. Sie ist eine „Teilkasko“ und zahlt den Versicherten im Pflegefall lediglich einen Zuschuss zu den Pflegekosten. Pflegebedürftigkeit bleibt damit ein soziales Risiko.

„Die IG Metall fordert, die Pflegversicherung zur Vollversicherung auszubauen – finanziert als Bürgerversicherung, in die alle einzahlen“, sagt Hans-Jürgen Urban.


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