13. Dezember 2018
Gefahren für Textilbeschäftigte in Bangladesch
Brandschutzabkommen: Kündigung wäre verheerend
Bangladesch will das Abkommen kündigen, das seit fünf Jahren für mehr Sicherheit in Textilfabriken sorgt. Die Gewerkschafterin Nazma Akter warnt vor den Gefahren für die Beschäftigten.

Als vor fünf Jahren Rana Plaza einstürzte, hat das die Welt schockiert.

Nazma Akter: Ich habe selbst den Zusammensturz des Gebäudes in Rana Plaza miterlebt. Es war entsetzlich. Über 1100 Menschen starben. Ich kenne viele Arbeiter, die damals schwer verletzt überlebten und heute noch an den Spätfolgen leiden.

Danach kam das Brandschutzabkommen, der sogenannte Accord, zustande, der vom globalen Gewerkschaftsdachverband IndustriALL Global mitverhandelt wurde. Was hat es gebracht?

In unserem Land fehlen harte Vorschriften und staatliche Kontrollen gibt es kaum. Mit dem Accord wurde ein rechtlich bindendes Dokument geschaffen, bei dem sich die Modefirmen verpflichteten, es umzusetzen und sich finanziell zu beteiligen. So wurde Druck ausgeübt und eigens geschulte, unabhängige Inspektoren konnten die Schwachpunkte in vielen Fabriken aufdecken. Die Umsetzung des Accords und die Einhaltung seiner verbindlichen Regel gelingen nur mit kämpferischen und starken Gewerkschaften vor Ort.

Faire Löhne und sichere Arbeitsbedingungen müssen in Bangladesch weiter erkämpft und verteidigt werden: Nazma Akter (Mitte) mit ihren Mitstreitern. Foto: IndustriAll Global Union
 

 

Insbesondere deutsche Modefirmen haben erkannt, dass die Sicherheit in den Textilfabriken wichtig für ihr Image ist. Die Regierung in Dhaka will den Accord kündigen und die unabhängigen Kontrolleure des Landes verweisen.

Das wäre fatal, denn es sind bei Weitem nicht alle Missstände beseitigt. Deshalb halten ich persönlich und viele meiner Mitstreiter es für einen schweren Fehler, damit nach fünf Jahren aufzuhören. Nachhaltige Entwicklungen benötigen in Ländern wie Bangladesch mehr Zeit.

Was wurde konkret erreicht?

Mehr als 900 Fabriken haben gravierende Mängel beseitigt. Rettungstreppen und Notausgänge wurden geschaffen, Zwischendecken verstärkt. Die Unfälle und Brände sind zurückgegangen. Gibt es gravierende Sicherheitsmängel im Betrieb, können die Beschäftigten die Arbeit bei Lohnfortzahlung bis zu deren Beseitigung verweigern. Firmen, die die Mängelbeseitigung ablehnen, werden die Aufträge gekündigt. Doch das Erreichte ist jetzt in Gefahr. Getrieben von der Lobby der Fabrikbesitzer soll der Accord seine Arbeit beenden, sein Büro schließen und seine Inspektoren nach Hause schicken. Künftig würde wieder nur noch lasch vom Staat geprüft. Das wäre für die Beschäftigten verheerend.

Du leitest die Textilgewerkschaft SGSF in Bangladesch. Wie ist deine Reaktion darauf, dass das Brandschutzabkommen gekündigt werden soll? Die Regierung hat angekündigt, in Zukunft selbst Kontrollen durchzuführen.

Wir haben entschieden protestiert und werden damit auch weiter machen. Die Menschen wissen, was sie zu verlieren haben, nämlich ihre Gesundheit und im schlimmsten Fall ihr Leben. Eine Aufkündigung des Abkommens hieße ein Rückfall in alte Zeiten. Wir fordern auch die Modefirmen auf, Druck auf die Regierung in unserem Land auszuüben.

Wie hat sich das Abkommen auf Eure Arbeit als Gewerkschaften ausgewirkt?

Das Abkommen hat die Gewerkschaften im Land gestärkt. Wir wissen jetzt sehr viel mehr über Arbeitssicherheit im Betrieb, decken Missstände auf und fordern von den Fabrikbetreibern Mängelbeseitigung. Wir schaffen einen erfahrbaren Mehrwert für die ArbeiterInnen und konnten sie so in einigen Firmen davon überzeugen, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschließen und ihr Schicksal gemeinsam selbst in die Hand zu nehmen.

In Deutschland klagen Opfer aus Pakistan vor Gericht um Schadensersatz. Wie bewertest du das?

Das Feuer bei Ali Enterprises in Karatschi 2012 war fürchterlich. 259 starben, überwiegend Frauen. Dass den Opfern Entschädigungen zustehen, ist mehr als überfällig. Der internationale Druck ist wichtig, damit sich die Situation vor Ort verbessert. Ein Sicherheits- und Brandschutzabkommen wie in Bangladesch wäre dringend notwendig.

Du selbst hast schon im Kindesalter, mit elf Jahren, angefangen in einer Textilfabrik zu arbeiten und Unfälle und Brände miterlebt. Würdest Du Deinen zwei Kindern empfehlen, in einer Textilfabrik zu arbeiten.

Die Textilbranche ist für Bangladesch enorm wichtig. Jeder zweite Job hängt da dran. Deshalb kann ich meinen Kindern schwer empfehlen, diese Branche komplett zu meiden. Das ist praktisch kaum realisierbar. Wir kämpfen darum, dass sich die Sicherheitsbedingungen und die Entlohnung verbessern. Jetzt im Dezember werden die Löhne von 65 Dollar im Monat auf 95 steigen. Ohne uns Gewerkschaften wäre dieser Fortschritt nicht möglich gewesen.


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