1. Mai 2021
Simon Che Berberich
Montanmitbestimmung
Ein Zukunftsmodell wird 70
Nirgendwo können Beschäftigte so viel mitentscheiden wie in der Eisen- und Stahlindustrie. Das Gesetz dazu gibt es seit Mai 1951. Heute gilt die „Montanmitbestimmung“ wieder als Vorbild für die Zukunft.

Als Hans Böckler seinen größten Erfolg feiert, hat er nur noch wenige Wochen zu leben. Ende Januar 1951 fährt der DGB-Vorsitzende zu Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU). Er will noch einmal für die Forderung der Gewerkschaften werben: gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeitnehmer in allen großen Unternehmen, mindestens aber in denen der Eisen- und Stahlindustrie und im Bergbau, den Schlüsselindustrien der damaligen Zeit.

Böckler bringt nicht nur Argumente mit an den Kanzlertisch. Er hat auch ein mächtiges Druckmittel.

Kurz zuvor hatten IG Metall und IG Bergbau in den Zechen und Hüttenwerken Urabstimmungen durchgeführt. Weit mehr als 90 Prozent der Beschäftigten stimmten dafür, die Forderungen nach Mitbestimmung notfalls mit einem Streik durchzusetzen.

Böckler kommt also nicht allein zu Adenauer. Hinter ihm stehen Zigtausende Gewerkschaftsmitglieder, bereit zum Arbeitskampf.

Vor diesem Hintergrund lenkt die Bundesregierung schließlich ein. Im April 1951 verabschiedet der Bundestag das Gesetz zur Montanmitbestimmung. Am 21. Mai wird es verkündet. Die metallzeitung titelt: „Eine erste Bresche ist geschlagen.“


Signal für die gesamte Wirtschaft

Das Gesetz zur Montanmitbestimmung hat Signalwirkung: Es bringt die Arbeitnehmer auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern. In den Aufsichtsräten können die Beschäftigten jetzt nicht mehr überstimmt werden.

Bis heute regelt das Montan-Mitbestimmungsgesetz die Arbeitsbeziehungen in der Eisen- und Stahlindustrie. Nirgendwo sonst können Beschäftigte so viel mitentscheiden.

Allerdings gilt das Gesetz für immer weniger Unternehmen. Der Steinkohlebergbau ist in Deutschland Geschichte. Die Eisen- und Stahlindustrie beschäftigt viel weniger Menschen als in den 1950er-Jahren. Derzeit fallen noch 18 ­Unternehmen unter die Montanmitbestimmung.

Hans Böcklers Vision ist deshalb so aktuell wie vor 70 Jahren: Nicht nur im Staat, auch in den Betrieben soll es demokratisch zugehen. Oder, wie Böckler selbst es ausdrückte: „Bürger, nicht Untertanen wollen wir sein!“

So funktioniert die Montanmitbestimmung

In der Eisen- und Stahlindustrie haben die Beschäftigten weitreichende Mitbestimmungsrechte. Grund dafür ist das „Montan-Mitbestimmungsgesetz“. Es sichert der Arbeitnehmerseite eine gleichberechtigte Position im Aufsichtsrat eines Unternehmens. Die Beschäftigten stellen die Hälfte der Aufsichtsratssitze – genauso viele wie die Eigentümer. Die Beschäftigten können also nicht überstimmt werden. Außerdem gibt es einen Arbeitsdirektor oder eine Arbeitsdirektorin, die das Vertrauen und die Stimmen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hat. Diese Position entspricht in der Praxis meist der des Personalvorstands.


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