1. Juni 2021
Jacqueline Sternheimer
Führungspositionengesetz
Eine Frau an der Spitze
Bald soll ein Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen verabschiedet werden. Ulla Müller ist 82 Jahre alt und war in den 70er-Jahren die erste Aufsichtsrätin in ihrem Betrieb. Die Metallerin weiß, wie steinig der Weg für Frauen war.

Bis in den vierten Stock muss Ulla Müller Treppen steigen, bis sie in ihrer Altbauwohnung angekommen ist. Mit 82 Jahren ist das eine sportliche Leistung – ein paar Pausen muss sie da schon einlegen. Aber Ulla ist willensstark. Das war sie schon immer. Sie will in der 124-Quadratmeter-Wohnung mitten in Berlin-Kreuzberg wohnen bleiben – mit Stuck an den Decken und alten Öfen. Seit 1970 ist das ihr Zuhause, nur hat sie früher sehr wenig Zeit darin verbracht.

Die Berlinerin war mit zahlreichen Ämtern viel beschäftigt und hat es weit gebracht in ihrem Leben: bis an die Spitze ihres Unternehmens. Und das, obwohl sie keine abgeschlossene Lehre hatte und obwohl das für Frauen in den 70er-Jahren noch deutlich schwerer war als heute. Sie war die erste weibliche Betriebsratsvorsitzende in dem Unternehmen Bosse Telefonbau – und sie war das einzige weibliche Aufsichtsratsmitglied. Wenn diesen Mai das Führungspositionen-Gesetz von Bundestag und Bundesrat verabschiedet wird (zu Redaktionsschluss war nicht klar, ob das tatsächlich geschieht), gehört Ulla Müller zu jenen, die den Weg für andere Frauen in Führungspositionen bereitet haben.


Von der Skepsis anderer angespornt

In den 60ern kam Ulla zu Bosse Telefonbau. Im Akkord hat sie dort einzelne Telefonelemente zusammengebaut. „Wir haben da gutes Geld verdient“, sagt Ulla, aber dabei hat sie es nicht belassen. „Dann bin ich Vertrauensfrau geworden. Da haben die wohl schon gemerkt, dass ich mir nichts gefallen lasse.“ Die Solidarität unter den mehr als 600 Beschäftigten hat sie von Anfang an begeistert. Ihre tiefe, verrauchte Stimme erzählt von den Festen, die sie im Betrieb gefeiert haben, und den Streiks, auf denen sie lautstark gekämpft haben. Die Arbeit hat sich gelohnt, findet sie. „Ulla, die wollen, dass Du Betriebsratsvorsitzende wirst“, haben die Kollegen schnell zu ihr gesagt. Bei ihrer ersten Betriebsratswahl wurde sie mit überwältigender Mehrheit gewählt und vom Betriebsrat zur Vorsitzenden ernannt.

Vom Betriebsrat wurde sie Mitte der 70er-Jahre für den Wirtschaftsausschuss und den Aufsichtsrat bestimmt. „Dann kamen die ganzen Schulungen“, erinnert sie sich. Besonders ist ihr ihr erstes Aufsichtsratsseminar im Gedächtnis geblieben. „Da saßen die ganzen Aufsichtsräte von VW, Mercedes und BMW – und nur Kerle.§ Ulla war die einzige Frau. Ob sie sich nicht im Seminarraum verirrt habe, fragte sie einer der Männer im Raum. Ulla antwortete: „Wieso, hier an der Tür steht doch: für Aufsichtsräte.“ Durch ihre offene Art habe sie sich schnell mit allen verstanden, sagt Ulla. Trotzdem musste sie sich durchbeißen.

„Ich habe natürlich geackert wie eine Verrückte. Wenn die anderen abends zusammen ein Gläschen getrunken haben, habe ich gebüffelt.“ Ihr Ziel war es nicht, nur so gut wie die Männer zu sein, sie wollte besser sein. „Da lernt man sich selbst mal so richtig kennen. Was man alles kann und wie man sich durchsetzen kann.“ Und sie setzte sich durch. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das bestehen kann. Ich war ungelernt und da saßen lauter erfahrene Leute. Aufsichtsratsmitglied sein ist ja nun nicht gerade ein Pappenstiel“, weiß Ulla. Doch sie bestand die Prüfung.


Die Kämpfe im Betrieb

Obwohl Bosse Telefonbau ein Betrieb mit vielen Frauen war – Akkordarbeit war häufig eine „Frauenangelegenheit“ –, hatten es die Frauen mit zunehmendem Anteil an männlichen Facharbeitern schwer. Manche Kollegen verweigerten die Arbeit, wenn die Meisterin eine Frau war. „Den haben wir schnell gezeigt, wie der Laden läuft“, sagt Ulla. „Bosse-Frauen waren taff. Das wusste jeder.“ Trotzdem blieb sie die einzige Frau im Aufsichtsrat. „Das war ein einsamer Kampf.“ Wenn neue Führungskräfte kamen, hat die Geschäftsleitung sie vor Ulla gewarnt. „Die haben so getan, als wäre ich die Hexe vom Dienst.“ Respekt erhielt sie trotzdem – „weil ich nie etwas getan habe, das der Firma geschadet hat“, sagt Ulla. „Wir haben unsere Firma ja geliebt. Wir haben alles dafür getan, dass der Laden läuft.“

Der Untergang ließ sich trotzdem nicht aufhalten. In den 90ern ging Bosse Telefonbau insolvent. Bis sie aufgrund einer Krebserkrankung in Frührente gehen musste, erkämpfte Ulla für die Beschäftigten einen guten Sozialplan. Aber einmal Verantwortung, immer Verantwortung muss Ulla sich gedacht haben, nachdem ihre Krankheit besiegt war. Damals baute sie den IG Metall-Seniorenarbeitskreis in Berlin mit auf. Für ihre Gewerkschaftsarbeit nahm sie 2006 das Bundesverdienstkreuz entgegen. Ulla ist zufrieden mit ihrem Lebenswerk. „Ich habe mich für andere eingesetzt und bin stolz auf das, was ich geleistet habe.“

Jetzt wünscht sich Ulla, dass noch mehr Frauen in Führungspositionen kommen. „Das wird doch auch Zeit“, sagt sie. Dass Quoten nichts Neues sind und funktionieren können, weiß sie aus eigener Erfahrung. „Wir haben unsere Quoten für Delegierte doch auch immer bei allen Wahlen erfüllt.“ Machbar ist es also, jetzt müssen die Jüngeren ran.
 

Das Gesetz soll Druck aufbauen

Noch heute sind Frauen deutlich seltener in Führungspositionen vertreten. Nur 15 Prozent der Führungsposten in den 30 DAX-Unternehmen besetzen Frauen. In Aufsichtsräten liegt der Frauenanteil mit 35 Prozent deutlich höher, das aber auch erst seit der 2016 gesetzlich eingeführten Quote für Aufsichtsräte, die 30 Prozent beträgt.

Ein Gesetz soll dafür sorgen, dass mehr Frauen in Führungspositionen vertreten sind. Im Gesetz ist seit 2016 vorgesehen, dass sich größere Unternehmen eine Zielquote für den Frauenanteil in den Vorständen setzen. Geplant ist, dass Unternehmen, die sich hier das Ziel null setzen, das künftig gesondert begründen müssen. Ansonsten drohen Bußgelder.

Im Entwurf für das Führungspositionen-Gesetz II ist auch vorgesehen, dass Vorstände, die aus mehr als drei Personen bestehen, mindestens eine Frau berufen müssen. Das betrifft etwa 70 Vorstände in Deutschland. Etwa 35 müssen handeln. „Das ist ein wichtiger Schritt, um mehr Frauen in Vorstände zu bringen – aber auch, um mehr Bewegung in den Ebenen darunter zu erzeugen. Frauen brauchen gute Entwicklungsmöglichkeiten auf allen Ebenen“, sagt Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall.


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