Was ist der Maßstab für die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern mit vergleichbaren Jobs? Reicht der Vergleich mit einem Kollegen oder muss es ein Mittelwert einer vergleichbaren Gruppe sein? Diese Fragen, die in vielen Unternehmen und Verwaltungen für Streit sorgen, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt mit einem Grundsatzurteil geklärt und damit die Position von Frauen gestärkt.
Die höchsten deutschen Arbeitsrichter entschieden, dass sich Frauen nicht mit einem Mittelwert begnügen müssen, wenn sie die gleiche Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen erhalten wollen. Sie können sich im besten Fall auch am Spitzenverdiener oder einem anderen Kollegen mit vergleichbarer Tätigkeit in ihrem Unternehmen orientieren, sollten sie den Verdacht haben, sie werden wegen ihres Geschlechtes diskriminiert, entschied das Bundesarbeitsgericht am Donnerstag. Rügt eine Arbeitnehmerin also eine zu niedrige Bezahlung aufgrund ihres weiblichen Geschlechts, reicht es für diese Vermutung und einen möglichen Lohnnachschlag aus, dass sie einzelne, besser verdienende männliche Kollegen in gleicher Funktion benennt, so die Erfurter Richter.
Eine Arbeitnehmerin hatte vom Arbeitgeber hinsichtlich mehrerer Entgeltbestandteile rückwirkend die finanzielle Gleichstellung mit bestimmten männlichen Vergleichspersonen eingefordert, die allesamt ein höheres Einkommen erhalten. Der Arbeitgeber war jedoch der Ansicht, dass die zum Vergleich herangezogenen Kollegen nicht die gleiche oder gleichwertige Arbeit wie die Klägerin verrichten. Zudem beruhe die unterschiedliche Entgelthöhe auf Leistungsmängeln der Klägerin. Aus diesem Grund werde die Klägerin sogar unterhalb des Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe vergütet.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg als Vorinstanz war davon ausgegangen, dass angesichts der Größe der männlichen Vergleichsgruppe und der Mittelwerte beider vergleichbarer Geschlechtergruppen keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung und damit kein Indiz iSv. § 22 AGG vorliege. Die Klägerin habe aber hinsichtlich einzelner Vergütungsbestandteile einen Anspruch in Höhe der Differenz zwischen dem Medianentgelt der weiblichen und dem der männlichen Vergleichsgruppe.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat das Urteil des LAG auf die Revision der Klägerin und die beschränkte Anschlussrevision der Beklagten teilweise aufgehoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. „Das BAG hat mit seiner Entscheidung die Rechte von weiblichen Beschäftigten gestärkt“, sagt Johanna Wenckebach, Justitiarin der IG Metall zu dem Richterspruch. „Es hat die bisherige Rechtssprechung zu Entgeltgleichheit bestätigt und den Auskunftsanspruch gestärkt, den Frauen jetzt nutzen können.“
Über die auf einen Paarvergleich gestützten Hauptanträge kann noch nicht abschließend entschieden werden. Aber: Bei einer Entgeltgleichheitsklage ist keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung erforderlich. Ein solches Erfordernis wäre mit den Vorgaben des primären Unionsrechts unvereinbar.
Für die – vom Arbeitgeber zu widerlegende – Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts genügt es, wenn die klagende Arbeitnehmerin darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass ihr Arbeitgeber einem anderen Kollegen, der gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, ein höheres Entgelt zahlt. Die Größe der männlichen Vergleichsgruppe und die Höhe der Medianentgelte beider Geschlechtsgruppen ist für das Eingreifen der Vermutungswirkung ohne Bedeutung.
Die Klägerin hat hier – unter Verweis auf die Angaben im Intranet des Arbeitgebers – in Bezug auf eine Vergleichsperson hinreichende Tatsachen vorgetragen, die eine geschlechtsbedingte Entgeltbenachteiligung vermuten lassen.
Das LAG wird im fortgesetzten Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob diese Vermutung widerlegt wurde.
BAG vom 23. Oktober 2025 – 8 AZR 300/24