INTERVIEW IN ENERGIE UND MANAGEMENT
„Es fehlt an der notwendigen Dynamik“

Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, fordert eine Beschleunigung der Energie- und Wärmewende auch um Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen

27. Februar 202027. 2. 2020


Premiere bei der IG Metall: Ende Januar hatte die Gewerkschaft rund 100 Betriebsräte aus fossilen und regenerativen Unternehmen zu einer gemeinsamen Branchenkonferenz eingeladen, um Strategien zu überlegen, wie der Ausbau der Energiewende wieder forciert werden kann. Die IG Metall vertritt im Energiesektor Arbeitnehmer aus vier Branchen, und zwar dem konventionellen Anlagenbau, der Heizungs-, Wind- sowie der Solarindustrie. Über die Forderungen der Betriebsräte sprach E&M mit Wolfgang Lemb, geschäftsführendem Vorstandsmitglied der IG Metall.


Herr Lemb, sieht die IG Metall die Energie- und Wärmewende auf dem richtigen Weg?

Wolfgang Lemb: Die grundsätzlichen Weichenstellungen gehen schon in die richtige Richtung. Es fehlt aber seit Längerem an der notwendigen Dynamik, um die erforderlichen Maßnahmen umzusetzen. Vieles hängt seit Monaten in der Warteschleife.

 

„Ich setze auf den politischen Willen“

 


Woran denken Sie?

Es fängt bei der Windbranche mit den Dauerbrennern fehlende Flächenausweisungen und Abstandsregelung sowie dem nach wie vor unzureichenden Ausbau der Off- und Onshore- Windenergie an. Dabei gibt es bei Energieexperten keinen Zweifel daran, dass ohne einen jährlichen Windkraftzubau von 5.000 Megawatt an Land das 65-prozentige Ökostromziel 2030 überhaupt nicht zu schaffen ist. Der Photovoltaikausbau droht in Kürze eingeschränkt zu werden, wenn der Förderdeckel in Höhe von 52.000 Megawatt erreicht wird. Die Absätze in der Heizungsindustrie lägen schon längst höher, wenn es ein Konzept für eine weitaus höhere Rate bei der energetischen Modernisierung im Gebäudebestand gäbe. Wir brauchen endlich eine jährliche zweiprozentige Modernisierungsrate, damit die Wärmewende im Heizungssektor und die CO2-Einsparung vorankommen. Was zu tun ist, liegt auf der Hand. Nur von der Bundesregierung kommt nichts.


Welche Forderungen haben Sie für den konventionellen Kraftwerksbau?

Nach dem beschlossenen Aus für die Atom- und Kohlekraft brauchen wir angesichts der volatilen Einspeisung von Wind und Sonne flexible Gaskraftwerke in größerer Zahl. Auch hierfür ist ein Konzept der Bundesregierung überfällig. Die Energieversorger und die Beschäftigten im Anlagenbau brauchen endlich Planungssicherheit.


Warum?

Damit für Betriebe und deren Beschäftigte klar ist, welche Investitionen getätigt werden. Und: Aus Sicht der IG Metall muss der eingeleitete Umbau und Strukturwandel in der Energie- und Wärmeversorgung fair verlaufen. Das heißt, es muss auch eine entsprechende arbeitsmarktpolitische Begleitung geben. Konkret bedeutet das: Es muss nicht nur einen besseren Zugang zum Kurzarbeitergeld geben. Die Unternehmen müssen außerdem ihre Aus- und Weiterbildung verstärken, die Beschäftigten für zukunftsorientierte Technologien qualifizieren und eine vorausschauende Personalplanung betreiben. Investitionen sind nur erfolgreich, wenn die Kompetenzen der Beschäftigten weiterentwickelt werden.


Halten Sie die aktuelle Bundesregierung noch für fähig, alle die von Ihnen skizzierten Maßnahmen umzusetzen?

Die Bundesregierung muss endlich ihre eigenen Beschlüsse und die selbst gesetzten Klimaziele ernst nehmen. Ich setze auf den politischen Willen, die Detailfragen anzupacken und all die angesprochenen Maßnahmen umsetzen. Bei unserer Branchenkonferenz haben viele Betriebsräte große Skepsis gezeigt, ob genau dieser politische Wille für eine schnellere Umsetzung der Energie- und Wärmewende überhaupt noch vorhanden ist.


Erwarten Sie beim Blick nach vorn zusätzliche Arbeitsplätze in den von der IG Metall betreuten Energieteilbranchen?

Dazu Zahlen zu nennen, fällt mir wirklich schwer. Es gibt bei der künftigen Arbeitsplatzentwicklung jede Menge Chancen, aber natürlich auch Risiken. Wie die zukünftige Beschäftigungssituation aussieht, hängt von der Geschwindigkeit ab, wie schnell all die erwähnten Maßnahmen politisch umgesetzt werden. Wenn es dazu nicht kommt, besteht die Gefahr, dass nicht nur weitere Arbeitsplätze, beispielsweise in der Windindustrie, abgebaut werden, sondern dass wir in Deutschland die industrielle Substanz und wichtige Teile der Wertschöpfungsstruktur verlieren. Wenn die Hersteller von Windenergieanlagen bei uns ihren Heimatmarkt verlieren, fertigen sie demnächst ortsnah ihre Anlagen, also dort, wo die Märkte im Aufbau sind.


Was muss nach Ihrer Einschätzung energiepolitisch passieren?

Wir brauchen schnellstens mehr Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit bei allen Maßnahmen, die für mehr Klimaschutz notwendig sind. Unsere Forderungen sind abgestimmt mit den anderen Gewerkschaften im DGB, sei es mit der IGBCE oder Verdi. Deshalb werden wir auch in Kürze zusammen einen Brief an die Bundesregierung und die Politiker verschicken, um eine Beschleunigung der Energie- und Wärmewende zu fordern.

Das Interview ist am 15. Februar 2020 in Energie & Management erschienen. Autor: Ralf Köpke
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