INTERVIEW IN DER SUEDWESTPRESSE
„Wir brauchen eine Tariferhöhung“

Metalltarifrunde: Eine Nullrunde, auf der die Arbeitgeber für 2021 bestehen, will der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann keinesfalls akzeptieren. Wenn sie sich nicht bewegten, blieben nur Warnstreiks.

22. Februar 202122. 2. 2021


Trotz der Corona-Pandemie startet am kommenden Donnerstag in Baden-Württemberg als letzter Region die dritte Runde der Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie. Jörg Hofmann, der Vorsitzende der IG Metall, begründet das: „Es wäre Wahnsinn, auf Tarifverhandlungen zu verzichten, wenn es um die Themen geht, die gerade jetzt die Menschen zu Recht bewegen: Beschäftigungssicherung, Zukunft der Arbeitsplätze, stabile Einkommen.“
 

Gibt es angesichts des gewaltigen Wirtschaftseinbruchs durch Corona überhaupt etwas zu verteilen?

Jörg Hofmann: Wir müssen die Einkommen stabilisieren, mindestens die Inflationsverluste 2020 und 2021 ausgleichen. Wie sollen wir aus der Konjunkturkrise herauskommen, wenn die private Nachfrage nicht stabil bleibt? Die IG Metall hat 2020 angesichts des Kriseneinbruchs auf eine Entgelterhöhung verzichtet. Wir hatten Kurzarbeit, Schichtzuschläge sind ausgefallen, die Arbeitszeit wurde reduziert – alles zu Lasten der Einkommen der Beschäftigten. Es geht um eine faire Verteilung der Krisenlasten.
 

Wie schätzen Sie die Entwicklung der Metall- und Elektroindustrie 2021 ein – wie viele der 3,9 Millionen Arbeitsplätze sind gefährdet?

Das hängt sehr davon ab, ob die Konjunktur den deutlichen Aufwärtstrend fortsetzt, den wir im dritten und vierten Quartal 2020 hatten. Derzeit gibt es einen Dämpfer, teils durch den erneuten Lockdown, teils durch die instabilen Lieferketten im Halbleiterbereich. Ich gehe davon aus, dass sich das über Ostern auswächst und dass sich der Wachstumspfad im zweiten Halbjahr deutlich fortsetzt.
 

Wollen die Arbeitgeber die schwierige Lage nutzen, um die Löhne zu drücken und das Rad bei sozialen Errungenschaften zurückzudrehen?

Ihre offiziellen Verlautbarungen hören sich so an. Davor kann ich nur warnen. Wir waren bisher sehr erfolgreich in der Krise, indem wir versucht haben, gemeinsam Lösungen zu finden. Wer meint, die aktuelle Lage nutzen zu müssen, um soziale und tarifliche Rechte abzubauen, ist auf dem falschen Weg. Wenn die Arbeitgeber den Tarifkonflikt eskalieren wollen, müssen sie so weitermachen.
 

Gerade in der Automobilindustrie kommt noch der Strukturwandel dazu. Wie wollen Sie den in den Tarifverhandlungen
berücksichtigen?

Wir haben von vornherein gesagt, dass es uns um drei Dinge geht. Zum ersten um die Beschäftigungssicherung. Wir brauchen Instrumente, um über einen längeren Zeitraum ein sinkendes Arbeitsvolumen so zu verteilen, dass keine Leute entlassen werden. Hier steht der Vorschlag der 4-Tage-Woche. Zum zweiten stehen Zukunftstarifverträge auf unserer Agenda. Die Unternehmen müssen Perspektiven für Investitionen, Produkte und Prozesse aufzeigen und was sie für die Beschäftigung bedeuten. Dazu gehört auch die Zeit für Qualifizierung. Großbetriebe sind da weiter. Aber gerade kleine und mittlere Unternehmen haben oft noch keine klaren Vorstellungen.
 

Und das dritte?

Ohne stabile Einkommen lassen sichbeschäftigungssichernde Maßnahmen nicht erträglich gestalten. Die Haushalte verkraften es nicht, wenn die Einkommen durch sinkende Arbeitszeit zurückgehen.
 

Die Arbeitgeber würden am liebsten direkt mit den Betriebsräten ohne die IG Metall flexible Lösungen aushandeln. Machen Sie das mit?

Nein. Warum sollten wir ein solches Machtungleichgewicht akzeptieren? Tarifverträge schaffen Balance. Wenn nötig kann die IG Metall auch dazu aufrufen, die Arbeit niederzulegen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gerade bei Zukunftsfragen ist dagegen mehr als dünn. Wenn die Arbeitgeber konsequent wären, müssten sie dann auch eine Ausweitung der Mitbestimmung durch die Verbesserung der Betriebsratsrechte bei Investitionen, Innovationen und Qualifizierung fordern. Von einer solchen Initiative habe ich noch nichts gehört.
 

In Nordrhein-Westfalen haben die Arbeitgeber angeboten, nach einer Nullrunde 2021 im ersten Halbjahr 2022 eine Einmalzahlung zu leisten und im zweiten Halbjahr eine prozentuale Erhöhung. Könnte das ein Modell sein?

Nein. 2020 gab es keine Tariferhöhung. In diesem Jahr brauchen wir sie, weil sonst die Arbeitnehmer einen Verlust bei den Reallöhnen erleiden. Das wäre kontraproduktiv. Nicht nur konjunkturell, sondern auch mit Blick auf eine gerechte Verteilung der Krisenlasten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
 

Es geht auch anders: In der Textilindustrie haben Sie gerade nur eine Einmalzahlung für 2021 vereinbart.

Die Textilbeschäftigten hatten 2020 eine Tariferhöhung von 2,3 Prozent, die Metaller gar keine. Und die Textilbeschäftigten bekommen bis 2022 insgesamt 2,7 Prozent hinzu.
 

Heißt das erste Angebot in NRW, dass dort der Pilotabschluss ausgehandelt werden soll?

Das war kein erstes Angebot. Bei Beschäftigungssicherung und Zukunftsvereinbarung gab es nur Worthülsen, und bei der Lohnerhöhung heißt es nur, vielleicht gibt es irgendwann 2022 irgendwas. 2021 sollen die Beschäftigten leer ausgehen. Die IG Metall wird sich in einer konjunkturellen Situation, in der wir offensichtlich aus der Krise herauskommen, nicht mit einem langen Tarifvertrag binden lassen. Wir wollen eine kurze Laufzeit.
 

Am 1. März läuft die Friedenspflicht aus. Können Warnstreiks die Arbeitgeber überhaupt erschrecken?

Es gibt ausreichend viele Betriebe, die gut ausgelastet sind. Bei denen wirkt ökonomischer Druck. Angesichts von Corona wird es sicher keine ganz großen Versammlungen vor den Betrieben geben, Aber wer arbeitet, kann auch nicht arbeiten. Und zu diesen Warnstreiks werden wir dann aufrufen.
 

Passen Rituale wie Warnstreiks überhaupt noch in die Zeit?

Passen Arbeitgeber in die Zeit, für die offensichtlich die Nöte und Interessen der Beschäftigten keine Priorität haben? Da hilft allein argumentieren offensichtlich wenig. Wenn sich am Verhandlungstisch nichts bewegt, bleibt der IG Metall kein anderer Weg.
 

Gibt es einen Abschluss bis Ostern? Die Arbeitgeber sagen, an ihnen solle es nicht liegen.

An uns auch nicht. Solange die Arbeitgeber allerdings darauf bestehen, dass es 2021 keine Tariferhöhung geben darf, werden wir keinen Abschluss finden.
 

Im Osten ist die Arbeitszeit noch drei Stunden länger als im Westen. Ist die IG Metall im Westen bereit, für eine Änderung zu kämpfen?

Erst einmal ist die IG Metall im Osten dazu bereit. Da wird sie auch die Solidarität der Kollegen in Westdeutschland erleben. Aber wir können in Baden-Württemberg oder NRW keine Tarife für den Osten aushandeln. Ich bin guten Mutes, dass wir entweder in der Fläche oder in einzelnen Betrieben zu Lösungen kommen.

Das Interview ist am 20. Februar 2021 in der Südwestpresse erschienen. Autor: Dr. Dieter Keller

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