INTERVIEW STUTTGARTER ZEITUNG
IG Metall: Corona-Generation verhindern

Eine Gewerkschaftsumfrage zeigt eine geringere Bereitschaft der Betriebe bei Ausbildung und Übernahme.

27. Juli 202027. 7. 2020


Bis zum Start des neuen Ausbildungsjahres ist noch vieles im Fluss, doch die Vorzeichen sind ungünstig: Nach einer neuen Umfrage der IG Metall hat sich der Anteil der Betriebe, die mit Problemen bei der Übernahme rechnen, im Juli gegenüber April/Mai von 7,4 auf 15,6 Prozent verdoppelt.
Der Anteil der Betriebe, die weniger ausbilden wollen, hat sich von 7,2 auf 11,0 Prozent bei den Auszubildenden und von 5,1 auf 6,1 Prozent bei den dual Studierenden erhöht. Ausbildungsplätze würden eher gestrichen als Plätze für dual Studierende. Grundlage der Resultate sind Rückmeldungen aus 492 Betrieben. Für Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, sind diese Zahlen ein Warnsignal: „Wir kriegen hier ein Problem“, sagte sie unserer Zeitung. Deutschland habe eine relativ geringe Jugendarbeitslosigkeit. „Jetzt müssen wir alles dransetzen, eine Corona-Generation zu verhindern, und dafür sorgen, dass die jungen Menschen eine sichere Bahn in die Zukunft haben.“ Vielen von ihnen drohten schlechtere Chancen beim Einstieg in den Beruf. „Unsere guten Ausbildungsstrukturen dürfen in der Krise nicht kaputtgehen.“ Dies würde die Probleme bei der Fachkräftesicherung noch verstärken.
Viele Betriebe könnten wegen der Pandemie keine Bewerber rekrutieren und Ausbildungsstellen derzeit nicht besetzen. „Wir richten den Blick schon auf das nächste Jahr“, sagt Benner. In einzelnen Unternehmen zeige sich, dass die Ausbildungskapazitäten um ein Fünftel reduziert würden. Da werde „brutal mit dem Dreisatz“ gerechnet: In gleichem Maße, wie der Absatz zurückgehe, solle die Belegschaft abgebaut werden. „Es wäre desaströs, wenn das auf die Ausbildung ausgedehnt würde“, warnt sie. „Wir müssen daher alles für eine Absicherung des nächsten Ausbildungsjahres tun.“
Die IG Metall beobachtet, dass Stellennormaler Auszubildender eher gestrichen werden als für dual Studierende –und Hauptschulabgänger hätten einen schlechteren Zugang zum Ausbildungsmarkt als Abiturienten. „Was passiert mit den Hauptschülern, wenn der Ausbildungsmarkt einbricht?“ Im technologischen Wandel werde es immer schwerer, Fuß zu fassen.
Benner lobt zwar Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, der jüngst an die Wirtschaft appellierte: „Bildet weiter kräftig aus!“ Und wo die IG Metall betriebliche Zukunftsvereinbarungen aushandele, da gelinge es ihr auch, Ausbildungszahlen abzusichern. Doch fordert sie den Arbeitgeberverband zu mehr Gemeinsamkeit auf: „Ich würde mir hier einen noch stärkeren Schulterschluss wünschen“, mahnt sie.
„Wir alle appellieren an die Betriebe“, sagt der Südwestmetall Geschäftsführer Stefan Küpper. „Jeder hat verstanden, dass der Fachkräftemangel weiter auf der Agenda steht.“ Daher werde es keine Absage an die duale Berufsausbildung geben. „Die große Mehrzahl unserer Ausbildungsbetriebe, die sich seit Langem da auch aus Eigeninteresse engagieren, wird das nicht hinschmeißen.“ Klar sei aber auch, dass die Aufstockung von Lehrstellen „gerade extrem schwer fällt“.
Das vom Bundeskabinett am 24. Juni beschlossene Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ begrüßt die Gewerkschaftsvize im Grundsatz, sieht die Details aber skeptisch: „In Anbetracht der Kosten, die eine Ausbildung aufwirft, ist das nicht so der Bringer.“ Gefördert werden kleine und mittlere Betriebe (KMU) bis 249 Beschäftigte, die durch die Pandemie schwer getroffen sind. So gibt es Zuschüsse von 2000 bis 3000 Euro pro Ausbildungsvertrag, wenn sie zum Beispiel ihr Ausbildungsniveau im neuen Ausbildungsjahr verglichen mit den drei Vorjahren beibehalten oder erhöhen – oder wenn sie Azubis aus insolventen Firmen übernehmen. Benner zufolge gibt es einen großen Beratungsbedarf, gerade im Handwerk. Auch seien manche Hürden hoch. Vor allem aber werde das Programm in größeren Unternehmen, wo die Masse an Ausbildungsplätzen angeboten wird, wegen der Begrenzung auf die KMU „nicht greifen“.
Auch die Arbeitgeber sind skeptisch: Eine solche Prämie decke nicht die Kosten einer dreijährigen Ausbildung ab, sagt Küpper. „Wir bekommen aber aus unseren Metallbetrieben die Rückmeldung, dass sie angesichts der Liquiditätsprobleme derzeit wirklich helfen würden.“
Benner verweist zudem auf ein akutes Problem:„Auch die Stellen der Ferienjobber werden in hohem Maße gestrichen.“ Der Umfrage zufolge gibt es in einem Drittel der Betriebe Werkstudierende und Ferienjobber. In sieben Prozent der Firmen wurden Betroffene bereits gekündigt, Neueinstellungen wurden bei 30 Prozent zurückgefahren. Ferienjobs gäben die Chance, Berufspraxis zu sammeln und an ein Arbeitsoder Ausbildungsverhältnis zu gelangen. „Diese Zugänge fallen in diesem Jahr weg.“ Für die Studierenden – von denen die IG Metall gut 50 000 organisiert – bedeute dies zudem neue Nöte bei der Finanzierung des Studiums.
Als Beispiel für einen „gravierenden Rückgang“ der Ferienjobs nennt Benner auch Daimler in der Region Stuttgart. Das Unternehmen selbst hält sich im Detail allerdings bedeckt: „Grundsätzlich werden wir in Summe weniger Ferienbeschäftigte im Einsatz haben als in den vergangenen Jahren“, sagt eine Sprecherin. „Zu einzelnen Werken können wir derzeit aber keine konkreten Angaben machen.“

Erschienen am 27.07.2020 in der Stuttgarter Zeitung. Autor: Matthias Schiermeyer