6. Dezember 2010
Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte: Zur Lage in Kolumbien
Wo Bedrohung und Mord zum Alltag gehören
Kolumbien ist das gefährlichste Land der Erde – für Vertreter von Arbeitnehmerrechten. In den letzten Jahren sind hunderte Gewerkschafter Opfer von Mord und Menschenrechtsverletzungen geworden. In dem aüdamerikanischen Land, das von jahrzehntelanger Gewalt geprägt ist und in dem korrupte Eliten ...

... von extremer sozialer Ungleichheit profitieren, ist gewerkschaftliches Engagement lebensgefährlich.

Zu Beginn einige Zahlen: 2005 starben laut Friedrich-Ebert-Stiftung allein 61 Prozent der weltweit ermordeten Gewerkschaftsaktivisten in Kolumbien. Nach Angaben des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) fielen 2008 in dem südamerikanischen Land 49 Gewerkschafter Mordanschlägen zum Opfer, in diesem Jahr sind es bisher etwa 30. Insgesamt wurden in Kolumbien seit 1986 über 2700 Morde an Gewerkschaftsfunktionären registriert. Die Aufklärungsquote bei diesen Verbrechen liegt knapp über vier Prozent. Damit hält Kolumbien seit Jahren einen traurigen Rekord: Es ist weltweit das gefährlichste Land für Arbeitnehmervertreter.

Gewerkschafter in Lebensgefahr
In ihren Berichten zeichnet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) ein düsteres Bild der Sicherheitslage in Kolumbien: „Im Kontext des seit 40 Jahren andauernden Bürgerkriegs werden Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und andere soziale Organisationen häufig von den Sicherheitskräften und deren paramilitärischen Verbündeten beschuldigt, die Guerillagruppen unterstützen oder mit ihnen zu kollaborieren. Die auf diese Weise Beschuldigten werden daraufhin oftmals bedroht, fallen dem ,Verschwindenlassen’ zum Opfer oder werden getötet. Guerillagruppierungen ihrerseits bedrohen oder töten MenschenrechtsverteidigerInnen, weil sie ihnen vorwerfen, auf der Seite ihrer Gegner zu stehen.“

„Straflosigkeit“ eines der Hauptprobleme
Dass es zu immer weiteren Gewalttaten kommt, ist für viele Beobachter auch eine Folge faktischer Straflosigkeit. Wer in Kolumbien einen Mord in Auftrag gibt, der müsse sich wenig Sorgen machen, dafür bestraft zu werden. Bei Gewaltverbrechen liegt die Straflosigkeit nach Angaben von Misereor bei über 90 Prozent, bei Menschenrechtsverletzungen sogar bei 97 Prozent.

Keine zufälligen Opfer
Gewerkschaftsmitglieder werden laut ai nicht zufällig Opfer von Gewalttaten. Die Menschenrechtsorganisation stellt einen „deutlichen Zusammenhang“ zwischen Arbeitskämpfen in Unternehmen und Demonstrationen gegen Privatisierungen von Staatsbetrieben auf der einen und Menschenrechtsverletzungen an Gewerkschaftern auf der anderen Seite fest: Sie würden „gezielt von staatlichen Sicherheitskräften und mit ihnen kollaborierenden paramilitärischen Gruppen eingeschüchtert.“

Wer steckt dahinter?
Über die konkreten Tatmotive lasse sich zwar oft nur mutmaßen, so Amnesty International. Klar sei jedoch, dass die Gewerkschafter „mächtigen Wirtschaftsinteressen“ im Wege stünden, wenn sie gegen die Privatisierung von Staatsunternehmen oder die Expansion von Unternehmen der Rohstoffwirtschaft protestierten. Davon seien unter anderem auch die Interessen kolumbianischer Politiker betroffen.

Die Rolle des Geheimdienstes
Dass viele paramilitärische Gruppen in der Vergangenheit Beziehungen bis in höchste Regierungskreise unterhalten haben und dies vermutlich weiterhin tun, bestätigen auch hochrangige Ex-Paramilitärs. Ein ehemaliger Leiter des kolumbianischen Geheimdienstes DAS hatte in einem Verfahren ausgesagt, seine Organisation habe 2004 eine Liste mit den Namen von Gewerkschaftsführern an Offiziere der Autodefensas Unidas de Colombia (Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens, AUC) weitergeleitet. Die AUC ist so etwas wie die Dachorganisation der rechtsgerichteten Paramilitärs. Einige der Personen auf der Liste wurden später bedroht, andere sogar ermordet.

„Gerechtigkeit und Frieden“
Im Kontext der andauernden Gewaltverbrechen an führenden Gewerkschaftern trat 2005 das Gesetz für „Gerechtigkeit und Frieden“ in Kraft. Gemäß Regierungsverlautbarungen soll es die Aussöhnung fördern und die Straflosigkeit bekämpfen, indem Paramilitärs und Guerilleros unter Zusicherung von Straferleichterungen demobilisiert – also resozialisiert – werden sollen.

Demobilisierung der Paramilitärs
Von einem Erfolg kann allerdings nur bedingt die Rede sein: Paramilitärs, die an die USA ausgeliefert werden, müssen sich dort lediglich für Drogendelikte verantworten. Eine juristische Aufarbeitung der von ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen bleibt in der Folge aus. Die Anerkennung der Opfer dieser Verbrechen findet nicht statt. Im Gegenteil: In manchen Regionen schließen sich demobilisierte Paramilitärs zu neuen Gruppierungen zusammen und verbreiten weiter Angst und Schrecken unter Menschenrechtsaktivisten und Gewerkschaftern. Misereor spricht in diesem Zusammenhang gar von einer Legalisierung paramilitärischer Gruppen und einer Konsolidierung ihrer Macht.

Die Regierung geht in die Offensive
Nachdem ai im Sommer 2007 einen kritischen Bericht zur Lage der kolumbianischen Gewerkschafter vorgelegt hatte, ging die Regierung Uribe in die Offensive, indem sie einzelnen Gewerkschaftern Mobiltelefone, Eskorten und gepanzerte Wagen zur Verfügung stellte. Die Maßnahmen wurden inzwischen jedoch sowohl von kolumbianischen Gewerkschaftern, als auch ai als nicht ausreichend kritisiert. Parallel bemühe sich die Regierung mit einer geschickten diplomatischen Offensive, das Problem im Ausland herunter zu spielen und die internationalen Gemeinschaft so für sich zu vereinnahmen, schreibt der Erste Vorsitzende der IG Metall und Präsident des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes (IMB) Berthold Huber im Dezember 2009 in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsministers Rainer Brüderle.

Gegen das Freihandelsabkommen
Kolumbien verhandelt derzeit mit der Europäischen Union (EU) über ein Freihandelsabkommen – nach aktuellen Berichten soll das Abkommen bereits unterschriftsreif sein. In seinem Schreiben macht Huber den kolumbianischen Staat selbst für eine Vielzahl der „Morde und anderer Greueltaten“ verantwortlich. Es sei daher „ein Schlag ins Gesicht der kolumbianischen und der globalen Gewerkschaftsbewegung“, wenn die EU, für die der Respekt vor Menschenrechten fester Bestandteil ihres Selbstverständnisses sei, engere Handelsbeziehungen mit dem Regime Uribe fördere und ihm so internationale Legitimation verschaffe.

Appell an die Politik
Im Namen der IG Metall und als Präsident des IMB appelliert Berthold Huber daher an die Bundeskanzlerin und den Wirtschaftsminister, ihren Einfluss geltend zu machen, die Freihandels-Verhandlungen zwischen der EU und Kolumbien zu unterbrechen, solange die Regierung soziale Grundrechte, zu denen auch Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte gehörten, mit Füßen trete. Nachdem die Europäische Kommission erklärt hat, der Abschluss des Abkommens stehe kurz bevor, hat die IG BAU eine Mail-Aktion an Abgeordnete des Europaparlaments gestartet.

Gewerkschaftsarbeit in Kolumbien: Wo Arbeitnehmerrechte nur auf dem Papier existieren Kolumbianische Gewerkschafter: „Wenn wir das hier nicht machen, wird es immer schlimmer“

IGB: Jährliche Übersicht über die Verletzungen von Gewerkschaftsrechten in Kolumbien Kolumbien Koordinationsgruppe von Amnesty International (ai) in Deutschland Spezial zu Kolumbien auf LabourNet.de

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