Klar. Eine verkürzte Vollzeit von Frauen, insbesondere von Müttern, ist nur dann möglich, wenn sich Männer an den vielen anderen Tätigkeiten beteiligen: an der Kindererziehung, der Pflege von Eltern oder Schwiegereltern oder dem Einkaufen. Dabei kommt es auch auf das Mitdenken und die Organisation all dieser Tätigkeiten an, nicht nur auf deren Ausführung. Wichtig ist außerdem, dass Väter Elternzeit nehmen. Heute tut das nur jeder zweite Vater. Und bei der Dauer der Elternzeit ist sowieso noch viel Luft nach oben. Väter nehmen heute lediglich 1,2 Monate Elternzeit, Mütter dagegen 13 Monate. Warum bleibt immer noch die meiste Familienarbeit an den Frauen hängen? Strukturen und Kulturen halten Frauen in den ihnen traditionell zugewiesenen Bereichen. Eine wichtige Rolle spielen hier das Ehegattensplitting, durch das ungleiche Einkommen steuerlich be- günstigt werden, die kostenlose Mitver- sicherung, die sozialversicherungsfreien Minijobs und die mangelnde Infrastruk- tur für Kinder. Kulturen erkennen wir gut an vielen Stereotypisierungen dessen, was als typisch männliches und typisch weibliches Verhalten gilt. Eine Studie von WZB-Forscherin Lena Hipp macht das sehr deutlich: Mütter, die nur we- nige Monate Elternzeit nehmen, werden als weniger liebend wahrgenommen als Mütter, die lange aussetzen. Es ist für die Frauen also eine No-win-Situation. Unterbrechen Frauen ihre Erwerbs- arbeit nach der Geburt eines Kindes nur kurz, erhöhen sie die Aussicht auf eine erfolgreiche Karriere- und Gehaltsent- wicklung – gelten aber als »schlechte Mütter«. Diese negativen Zuschreibungen sehen wir bei Vätern so nicht. Zurück zur 4-Tage-Woche: Was ist mit Jobs, die eine kürzere Arbeitszeit nicht durch höhere Produktivität ausglei- chen können – zum Beispiel Verkäufer oder Straßenbahnfahrerinnen? Gerade hier hilft die Digitalisierung. Viele Geschäfte verzichten schon jetzt auf traditionelle Kassen und lassen die Kundinnen und Kunden ihre Waren selbst einscannen. Auch das autonome Fahren macht Fortschritte und wird in Zukunft Arbeitsplätze sparen. Im medi- zinischen Bereich ist es ähnlich. Wir können also viele Tätigkeits - bereiche zeitlich entlasten, indem wir »Es darf nicht sein, dass die 4-Tage-Woche ein Privileg von wenigen Menschen ist.« Jutta Allmendinger, Sozialforscherin Hilfssysteme nutzen – und die verblei- bende Zeit dann anders verteilen. Eine 4-Tage-Woche muss man sich auch leisten können. Was sagen Sie zur Frage des Lohnausgleichs? Da sprechen Sie einen Punkt an, der mir sehr wichtig ist. Es darf nicht sein, dass die 4-Tage-Woche ein Privileg von wenigen Menschen ist. Wir müssen dieses Modell allen ermöglichen, die pro Wochentag kürzer arbeiten oder ihre Arbeit auf nur vier Arbeitstage verteilen möchten. Möglich wird das durch einen Lohnausgleich. Auch die FDP will die 4-Tage-Woche ermöglichen. Allerdings bei gleicher Stundenzahl – also zum Beispiel 40 Wochenstunden an vier Arbeitstagen. Was halten Sie von diesem Vorschlag? In manchen Berufen mag das möglich sein, in den meisten aber nicht. Lange ZUR PERSON Jutta Allmendinger ist eine der bekanntesten deutschen Sozialfor- scherinnen. In ihrer Arbeit beschäf- tigt sie sich mit dem Arbeitsmarkt, mit Sozialpolitik und mit der Gerech- tigkeit zwischen den Geschlechtern. Zu diesen Themen schaltet sie sich immer wieder in die öffentliche Debatte ein. Sie ist Professorin an der Berliner Humboldt-Universität und leitet das Wissenschaftszen- trum Berlin für Sozialforschung. Politik & Gesellschaft metall 7/8 2023 21 Arbeitszeiten bei der Müllabfuhr, am Fließband, bei schweren körperlichen oder psychisch belastenden Arbeiten mögen für eine begrenzte Zeit machbar sein, auf Dauer sind sie es nicht. Hier ist Nachhaltigkeit gefragt. Dazu zählt präventive medizinische Ver- sorgung. Ich will ein machbares Modell für alle und keine neuen Brüche zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Wie könnte die 4-Tage-Woche konkret eingeführt und umgesetzt werden? Wer soll das tun und wie? Ich sehe das als Aufgabe der Tarifpar- teien und setze darauf, dass es hier schnell zu einer Breitenwirkung kom- men wird. Wir müssen uns dabei vergegen- wärtigen, dass es nicht zwingend um vier Tage geht. Sondern auch darum, kurze Arbeitstage zu ermöglichen und damit mehr Flexibilität. Aus dem Arbeitgeberlager kommt heftiger Widerspruch zur 4-Tage- Woche. Warum sollten die Arbeitgeber umdenken? Ganz einfach: Es ist in ihrem unterneh- merischen Interesse, mehr Frauen zu ge- winnen, nachhaltiger zu denken und bei allemal komplexer werdenden Aufgaben auf eine präventive Gesundheitsstrategie zu setzen. Derzeit gilt immer noch: Wer länger arbeitet, macht Karriere. Wie lässt sich diese tief verankerte »Leistungs- kultur« aufbrechen? Hier haben wir während der Coronapan- demie schon viel erreicht. Phasen von Homeoffice schwächen die Präsenzkul- tur, das lässt sich auch empirisch zeigen. Klare Zielvorgaben und Erwartungen der Führungskräfte tun das Ihre. Wenn die Leitung nicht vor Ort ist, hilft auch die Anwesenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wenig. Bei meinen schwedischen Kollegen wird lange Arbeitszeit regel- recht stigmatisiert. Es gehört sich, die Kinder abzuholen und Zeit mit der Familie zu verbringen. Einen solchen Kulturwandel traue ich uns auch zu. Wir brauchen ihn.