kommen. Es dauerte, bis sich alles einge- spielt hat. Auch wenn er grundsätzlich immer offen für gleichberechtigtes Arbeiten war, brauchte es einen »starken Antreiber«, je- manden, der ihm aus dem Korsett half: seine Frau Friederike, eine promovierte Psychologin. »Hätte sie es nicht vorange- trieben, wäre ich wahrscheinlich in das nor- male gesellschaftliche Fahrwasser gekom- men.« Was der Metaller damit meint? »Der Mann arbeitet voll; die Frau hält ihm den Rücken frei, arbeitet eventuell halbtags und kümmert sich um Kinder und Haushalt.« »Wir mussten viele Krisen durch- machen und reichlich Stress bewältigen. Ohne solche Krisen ist aber eine Weiterentwicklung gar nicht möglich.« Die Gerstenbergs haben sich anders entschieden. Seither diskutieren, prüfen und verhandeln sie immer wieder, wie sie Familien- und Erwerbsarbeit am bes ten und fair aufteilen. Die Zeiten der beiden im Beruf sind so verteilt, dass ein Eltern- teil die Töchter – drei und sechs Jahre alt – mittags und nachmittags betreuen kann. Im Haushalt sind die Aufgaben ebenfalls klar zugeordnet: Steffen Gers - tenberg macht etwa die Wäsche oder kümmert sich ums Frühstück. Hinzu kommen Paarzeit, Sport oder Elternbei- rat. Pufferphasen findet er deshalb beson- ders wichtig: »Manchmal weiß ich ja mor- gens nicht einmal, ob sich meine dreijährige Tochter mit oder ohne Schuhe ins Auto setzen lässt.« Der Koordinations- aufwand ist ohne familiäre Unterstützung in der Nähe hoch; eine lange Vorauspla- nung für alle Termine notwendig. Bei alldem ist Steffen Gerstenberg eine respektvolle Partnerschaft wichtig: »Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist Dauerthema bei uns im Haus.« Das führte den zweifachen Familienvater auch zur IG Metall: Der Tarifvertrag in der Metall- und Elektroindustrie hat ihn restlos überzeugt: »Die Verbesserungen zur Vereinbarkeit von Leben und Er- werbstätigkeit haben mich sehr beein- druckt.« Starke Unterstützung Der Leiter eines Teams, zu dem fünf Festangestellte und vier Studierende zählen, betont: »So wie wir leben wollen, hat das natürlich auch Auswirkungen auf meine Arbeit in der Firma.« Mit allen Konsequenzen. Dazu gehört es auch, dem Vorgesetzten mal Nein zu sagen. Dazu gehört es auch, sich in Besprechungen vertreten zu lassen und darauf zu vertrauen, dass die eigenen In- teressen berücksichtigt werden. Dazu ge- hört es, Lücken im Terminkalender zu las- sen, um Freiraum für kreative Ideen zu haben. »Mein Chef unterstützt mich dabei sehr«, sagt Steffen Gerstenberg. »Am Ende zählt ja die Leistung und nicht, wie lange eine Führungskraft an einem Pro- jekt gearbeitet hat.« Wegen seiner reduzierten Anwesen- heit in der Firma beschäftigt sich der Me- taller mit zwei Fragen: »Welche Aktivitä- ten oder Besprechungen hätte ich mir heute sparen können oder vom Zeitauf- wand reduzieren sollen?« Und: »Was ist der Kern meiner Tätigkeit, was kann ich weglassen und auf was sollte ich mich konzentrieren, damit wir als Team erfolg- reich sind?« Seine Rolle im Team sieht der 39-Jährige als Begleiter, er arbeitet dabei mit agilen Methoden: Es gibt reichlich Freiräume, Feedback, Teamentwicklung, allerdings auch klare Zielvorgaben. »Jeder meiner Mitarbeiter arbeitet dabei so viel in der Firma, wie dies bei ihm in die Le- bensphase passt.« Gers tenberg macht es eben als Führungskraft mit reduzierter Stundenzahl vor. Wenige Vorbilder Dass ihm das die Zu- schreibung »Eisbär in der Wüste« einbrin- gen würde, hat ihn überrascht. Die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Ben- ner, bezeichnete in der metallzeitung Füh- rungskräfte in Teilzeit überspitzt mal so, weil sie nach wie vor überaus selten in der Wirtschaft sind. Steffen Gerstenberg schrieb ihr daraufhin in einer charmanten Mail: »Hallo Christiane, ... ich bin der Eis- bär in der Wüste.« Der 39-Jährige weiß, dass er Glück hat, in Verhältnissen zu leben, die es mög- lich machen, weniger zu arbeiten und mehr Zeit zum Leben zu haben. Der Metaller will aber keinesfalls – und das ist ihm ganz wichtig – den Eindruck aufkommen lassen, als fiele seiner Familie und ihm alles zu: »Wir mussten viele Krisen durchmachen, reichlich Stress bewältigen. Ohne solche Krisen aber ist eine Weiterentwicklung gar nicht möglich. Wo wir jetzt stehen, das ist das Ergebnis der letzten Jahre und der Pro- zess geht kontinuierlich weiter.« Leider gebe es noch viel zu wenig Vor- bilder, an denen man sich orientieren könne, sagt er. »Darum haben meine Frau und ich alles individuell für uns entschei- den und regeln müssen.« Die Gerstenbergs jedenfalls haben es geschafft, so sehen sie es, ein gesellschaftliches Korsett abzulegen. Jens.Knuettel@igmetall.de 19 metallzeitung Mai 2019 k c o t S e b o d A / s u b e D n i t r a M : o t o F Fair produzierte Kleidung wünschen sich viele. Die Realität in vielen Textilfabriken sieht anders aus. Hofmann plädiert für Gesetz zur Sorgfaltspflicht Der Einsturz von Rana Plaza vor sechs Jahren ist unvergessen. Höchste Zeit für ein Gesetz, das Unternehmen in die Verantwortung nimmt. Vor wenigen Wochen brannte es erneut in einer Fabrik in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. 70 Men- schen starben dabei qualvoll. Der Unfall erinnert fatal an das größte Unglück in der Geschichte des Landes vor sechs Jahren. Im April 2013 stürzte die Textilfabrik Rana Plaza ein. Der Einsturz kostete über 1100 Men- schen das Leben. Nach der Katastrophe wurde ein Abkommen für Brandschutz und Gebäudesicherheit vereinbart, das der Gewerkschaftsdachverband Indus - triALL Global mit durchgesetzt hat. Ausländische In- spektoren sorgen seitdem für mehr Sicherheit. Der Zustand der Fabriken hat sich verbessert. Doch nun will Bangladesch das Abkommen einseitig kündigen und hat dafür Verfahrensschritte eingeleitet. Beschäf- tigte und Gewerkschaften laufen im In- und Ausland dagegen Sturm. »Leib und Leben von Textilbeschäftigten sind weiterhin gefährdet, ein Ausstieg aus dem Abkom- men wäre grob fahrlässig«, erklärt Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall in seiner Eigen- schaft als Präsident von IndustriALL Global. Wäh- rend das Brandschutzabkommen in Gefahr ist, setzt sich die IG Metall in Deutschland für mehr Verbind- lichkeit bei der Umsetzung des »Nationalen Aktions- plans« ein und begrüßt den Entwurf des Gesetzes für menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Entwicklungs- minister Gerd Müller (CSU). Der Entwurf zielt auf Unternehmen in einem Hochrisikosektor oder in Kon- fliktgebieten. Das geplante Gesetz verpflichtet zur Einhaltung von Menschenrechten in globalen Wert- schöpfungsketten. Die Unternehmen müssen ein Risi- komanagement und einen Beschwerdemechanismus einführen, die sich an den UN-Leitprinzipien orientie- ren. Bei Nichteinhaltung sollen Bußgelder bis zu einer Million Euro fällig werden.